1986 wurde beim A6-Autobahnparkplatz „Weißer Stock” ein Frauenskelett gefunden

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Durch eine neue wissenschaftliche Weichteilrekonstruktion konnte das mögliche Gesicht einer 1986 als Skelett bei St. Leon-Rot aufgefundenen unbekannten Frau am Computer wiederhergestellt werden.

(Foto: Landeskriminalamt Baden-Württemberg)

Noch nicht einmal das genaue Todesdatum steht fest: Seit kurzem versucht die Kriminalpolizei Heidelberg und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Identität einer vor etwa 25 Jahren ermordeten Frau herauszufinden. Am 16. März 1986 war an einer Böschung der Autobahn A6 in Fahrtrichtung Mannheim-Heilbronn eine Leiche gefunden worden. Diese war weitgehend skelettiert, konnte einer Frau zugeordnet werden und lag schon mehrere Monate in unmittelbarer Nähe des Parkplatzes „Weißer Stock” auf der Gemarkung von St. Leon-Rot. Schon bei der damaligen Obduktion stellte sich heraus, dass die Unbekannte zwischen Frühjahr und Herbst 1985 einem Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen war.

Weichteilrekonstruktionen des Gesichts geben Opfern ein Gesicht

Nach über 20 Jahren wurde der Fall wieder aufgenommen und ein DNA-Profil erstellt. Durch ein anthropologisches Institut konnte zudem eine völlig neue wissenschaftliche Weichteilrekonstruktion des Gesichts gefertigt werden, so dass die Ermittler der Kriminalpolizei Heidelberg die Hoffnung haben, zumindest die Identität der Toten rasch festzustellen. Bei der Auffindung war der skelettierte Frauenkörper mit einer roten Grobcordhose, einem hellroten dünnen Oberteil (vermutlich Größe 36) und Tennisschuhen (Größe 36) bekleidet. Am linken Sprunggelenk hatte die Frau ein mehrfach verknotetes Lederbändchen umgebunden. Die Tote trug zudem eine Oberkieferprothese. Am Leichenfundort konnte auch ein Fingerring, bestehend aus drei zusammengedrehten Drähten (silber-kupfer-goldfarbig), sichergestellt werden. Doch die knapp 160 Zentimeter große Tote, die damals zwischen 27 und 33 Jahren alt war, eventuell nordeuropäisch aussah und rund acht Zentimeter lange Haare hatte, konnte bislang nicht identifiziert werden.

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Die möglicherweise aus Nordeuropa stammende Tote trug eine Oberkieferprothese. Am Leichenfundort konnte auch ein Fingerring, bestehend aus drei zusammengedrehten Drähten (silber-kupfer-goldfarbig), sichergestellt werden. (Fotos: Landeskriminalamt Baden-Württemberg)

Im Regierungsbezirk Karlsruhe von Freudenstadt bis Mannheim werden die Leichen von getöteten Menschen in der Regel an das Heidelberger Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums gebracht. Dort untersucht sie so rasch wie möglich Professor Rainer Mattern und seine Mitarbeiter, um in erster Linie herauszufinden, was genau passiert, wie der auf dem Seziertisch liegende Mensch starb und ob Mord im Spiel ist. „Die wichtigste Frage bei der Untersuchung von aufgefundenen Leichen ist, wie lange diese schon liegt”, sagt Mattern nüchtern. Denn wie im Fall von Moorleichen oder dem berühmten „Ötzi” gingen Gerichtsmediziner zuerst davon aus, dass die mumifizierten Körper erst vor kurzem ums Leben kamen.

Wie alt war der Mensch beim Eintreten seines Todes überhaupt?

„In der Rechtsmedizin interessieren uns vor 100 oder 1000 Jahre gestorbene Menschen nicht, auch wenn sie umgebracht wurden, da dann auch der Mörder nicht mehr lebt”, betont der Professor. In Schädelvertiefungen von erst seit kurzem liegenden Leichen fänden sich zum Beispiel immer wieder noch nicht von Maden gefressene Gehirnreste. Auch Kniegelenke lösten sich nicht sofort auf. Bei den rechtsmedizinischen Obduktionen stellt sich dann in der Folge die zweite Kardinalfrage: Wie alt war der Mensch beim Eintreten seines Todes überhaupt? Dabei kann eine genaue Untersuchung des Schädels weiterhelfen, da die Knochen an der Kopfoberfläche erst im Laufe eines Lebens an ihren Nähten zusammenwachsen und verknöchern. Außerdem wird sofort untersucht, wie ein Mensch ums Leben kam, ob und wie er ermordet wurde. „Ein Kehlkopfbruch lässt auf Erwürgen schließen, Kerben in Wirbelsäulenknochen auf eine tödliche Messerattacke”, beschreibt Rainer Mattern seine Detektivarbeit.

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Professor Rainer Mattern vom Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg untersucht mit seinen Mitarbeitern alle im Regierungsbezirk Karlsruhe (Nordbaden) aufgefundenen Mordopfer. (Foto: CJ)

Bei Bedarf wird zudem untersucht, ob eine Leiche vor ihrem Ableben nicht vergiftet wurde. Auch wenn die ersten Analyseschritte der Obduktion erfolgreich abgeschlossen wurden, heißt dies noch nicht, dass auch die Identität der jeweiligen Toten festgestellt werden kann. „Wenn keine Dokumente wie ein Reisepass gefunden wurden oder eine auf die Person passende Vermisstenmeldung vorliegt, kann die Identifizierung sehr schwierig und langwierig werden”, sagt der 64-jährige Mediziner ernst. Wie im Fall der 1986 gefundenen Frauenleiche ist es bei Autobahnfunden durchaus vorstellbar, dass Mordopfer dort erst abgelegt wurden und aus einem anderen Land stammten, wo auch die Tötung stattfand. „Besonders heikel ist dies bei jungen Frauen um die 30, die in Deutschland als Prostituierte arbeiteten und aus einem osteuropäischen Land eingeschleust wurden”. Weiterhelfen kann in diesem Fall ein Gebissschema, DNA- und Verwandtschaftsanalysen, die Untersuchung der Knochen auf Bruchversorgungen oder Metallentfernungen oder die Erstellung von computeranimierten Bildern des Gesichtes durch eine komplizierte Weichteilrekonstruktion.

Am Tag werden bis zu sechs Leichen obduziert

In Deutschland gibt es zurzeit 210 Rechtsmediziner. Die Fachärzte beschäftigen sich aber nicht nur mit den knapp 1000 jährlichen Mordopfern in Deutschland, sondern müssen beispielsweise auch bei Verdachtsfällen, fahrlässigen Tötungen oder Verkehrsunfällen obduzieren. Im Heidelberg Institut geschieht die Arbeit trotz wenig Personals und einer teilweise veralteten Diagnosetechnik ohne Komplikationen. Bis zu zwölf Stunden arbeitet Rainer Mattern dort täglich und obduziert an manchen Tagen bis zu sechs Leichen. Der geschäftsführende Direktor beschäftigt sich seit 1970 mit der Rechtsmedizin. Im Rahmen seiner Doktorarbeit kam er zufällig zu seiner heutigen Profession. Eigentlich sollte er die allgemeinmedizinische Praxis seines Vaters übernehmen, wurde dann aber bei der Bundeswehr als Pathologe und nicht als Truppenarzt eingesetzt, so dass er der eingeschlagenen Fachrichtung treu blieb. Gruselig oder eklig findet er seine für Außenstehende kaum nachvollziehbare Tätigkeit nicht. „Ich konzentriere mich auf die Arbeit und habe ein großes Interesse an der Befunderhebung. Dabei ist es wichtig, Erscheinungen präzise wahrzunehmen, wenn bei einem Fall etwas anders als sonst ist”. Denn durch eine besonders genaue wissenschaftliche Arbeit kann im Bedarfsfall sogar ein Mörder identifiziert werden.

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