Stuhler, Ed: Die letzten Monate der DDR. Die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit, Berlin 2010.

Von Christoph Erbelding (Universität Heidelberg)

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Der Name „de Maizière” spielt auch heute noch eine gewichtige Rolle in der deutschen Politik. Dafür verantwortlich ist Thomas de Maizière, der aktuell im Kabinett Merkel II das Amt des Innenministers innehat. Informationen über Thomas de Maiziére sind dementsprechend leicht zu erhalten. Dass es via Internet-Suchmaschinen aber leichter zu sein scheint, sich über den aktuellen deutschen Innenminister zu informieren als über den letzten Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, überrascht.

Letztgenannter hieß ebenfalls de Maizière und ist unbekannter als sein Cousin Thomas – das behauptet zumindest die Suchmaschine „Google”, die zunächst Informationen über Thomas de Maizière anzeigt, wenn sie beauftragt wird, Neuigkeiten über dessen Nachnamen darzustellen. Namensvetter und Cousin Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR, folgt als Nummer zwei.

Dabei bildete er in der DDR im Jahr 1990 immerhin das Pendant zum ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, der oft als Vater der deutschen Einheit bezeichnet wird. An Kohl wird in der öffentlichen Wahrnehmung im 20. Jahr der Wiedervereinigung oft erinnert. De Maizière, der damals in der DDR ebenfalls der CDU (Ost) vorstand, kann da nicht mithalten. Wieder ist er nur die Nummer zwei. Doch wird das dem letzten DDR-Regierungschef gerecht? Und überhaupt: Ist es gerecht, Politiker wie Kohl, Gorbatschow oder Bush im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung immer wieder hervorzuheben, während Vertreter aus der (damals noch existenten) DDR kaum noch Beachtung finden?

Vom 18. März bis zum 3. Oktober 1990

Der Publizist Ed Stuhler bietet in diesem Zusammenhang ein Buch an, das bei der Beantwortung nach dieser Frage helfen kann. In seinem Werk „Die letzten Monate der DDR. Die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit” geht er der Frage nach, welche Aufgaben de Maizière mit seinen politischen Weggefährten der letzten DDR-Regierung, die gleichzeitig auch als erste und einzige direkt gewählte in die Geschichte eingegangen ist, zu bewältigen hatte. Angefangen mit der Regierungsbildung nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 über die beiden Staatsverträge und dem ersten Besuch eines DDR-Ministerpräsidenten in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Wirtsschafts- und Währungsunion, die 2+4-Verhandlungen, die Verhandlungen über den Einigungsvertrag bis hin zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 durchleuchtet Stuhler detailliert, was in den Monaten der Deutschen Demokratischen Republik unter politischen Gesichtspunkten geschah, welche Rahmenbedingungen für die Wiedervereinigung geschafft wurden und welche Leistungen die einzelnen Akteure auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Schieflage und vergangenen Verstrickungen mit der Stasi dafür vollbringen mussten, um das Ziel, die Auflösung der DDR, zu erreichen – und das ebenso noch weit vor dem Ende der zweijährigen Frist, die sich die Beteiligten auferlegt hatten.

Alle kommen zu Wort

Lothar de Maizière steht dabei im Mittelpunkt. Eine Biografie seiner Person bietet Stuhler aber gewiss nicht an. Alle 24 Mitglieder des Kabinetts de Maizière kommen zu Wort – und das ist wortwörtlich zu nehmen. Denn die Arbeit beruht auf einer Serie von Fernsehinterviews. So findet sich während der Lektüre kaum eine Seite, die nicht mit einem in die Länge gestreckten Zitat eines politischen Akteurs der damaligen Zeit gespickt ist. Das hat Vor- und Nachteile. Stuhler bemüht sich darum, die einzelnen Minister, die Akteure, die ihren persönlichen Teil zur Wiedervereinigung aus Sicht der DDR beigetragen haben, in den Mittelpunkt zu stellen und ihre einzelnen Persönlichkeiten hervorzuheben. Jedem Leser sollen Namen wie Klaus Reichenbach (der letzte Minister im Amt des DDR-Ministerpräsidenten) oder Regine Hildebrandt (die letzte DDR-Ministerin für Arbeit und Soziales) nach der Lektüre ein Begriff sein, scheint Stuhler für sich als Ziel formuliert zu haben. Ein prinzipiell guter Ansatz, dem sich kein Leser wird entziehen können. Die vielen Zitate bieten zudem eine gute Grundlage, das Wissen über das Kabinett de Maizière zu
erweitern.

Personeneinordnung – ein Fall für Experten

Der Leser wird durch diese Herangehensweise jedoch mit sehr vielen Personen überhäuft. Es kommt einer Mammutaufgabe gleich, alle Personen, die in diesem Werk zu Wort kommen, auf Anhieb einzuordnen. Dessen muss sich jeder Laie auf dem Gebiet der DDR-Geschichte vor der Lektüre bewusst sein Nur Experten für die letzten Monate der Deutschen Demokratischen Republik bleiben hiervon verschont. Ausgewiesene Fachleute für die letzte Phase der Deutschen Demokratischen Republik scheint es allerdings ohnehin nicht im Überfluss zu geben. Stuhler prangert an, dass selbst auf einer DVD-Produktion des Mauermuseums „Bernauer Straße” in Berlin der SED/PDS-Politiker Hans Modrow als letzter DDR-Ministerpräsident genannt wird und nicht etwa de Maizière.

Wer der Verbreitung solcher Wissenslücken im Bezug auf die DDR-Geschichte entgegenwirken will, dem sei dieses Werk empfohlen, dass sich dagegen sträubt, nur die Verdienste der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion für die Wiedervereinigung hervorzuheben. Denn gerade in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1990 ist es ungerecht, nur eine Seite der Medaille zu sehen und die andere völlig außer Acht zu lassen – so wie es ungerecht erscheint, die beiden Politiker de Maizière nicht zumindest auf einer Ebene zu führen.

Kommentare (1)

  1. #1 Wb
    April 29, 2010

    Der Webbaer würde sich insbes. auch eine geschichtliche Würdigung derjenigen wünschen, die mit allerlei Versuchen die DDR intakt halten wollten, sei es als reformsozialistischen Staat, sei es als “besseres Deutschland”.
    Hier gab es seinerzeit etliche Tiefpunkte, die möglicheriwese der historischen Bearbeitung bedürfen.
    BTW, warum biss Lothar de Maiziere (und in der Folge viele andere) vorzeitig ab?
    A: Achso.

    MFG
    Wb