Kowalczuk, Ilko-Sascha: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009.
Von Christina Thenuwara (Universität Heidelberg)
In seinem vor kurzem erschienenen Buch „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR” setzt sich der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls 1989 und der Wiedervereinigung 1990 mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes auseinander.
Der Autor legt seinen Fokus auf das Endstadium der sozialistischen Republik sowie auf punktuelle Ereignisse aus der Vorlaufzeit deren Zusammenbruchs und ermittelt diverse Ursachen und Faktoren, die einen bemerkenswert rapiden Systemkollaps begünstigt und bewirkt haben.
Aus Stabilität wurde Zerfall
Neben einer Darstellung historischer Chronologie und Schilderung der politischen Situation konzentriert sich der Autor insbesondere auf die Analyse der gesellschaftlichen Dimension der „Revolution” von 1989. Der Widerspruch zwischen der scheinbaren Stabilität und Überlebensfähigkeit der DDR auf der einen und dem abrupten Zerfall dieses maroden Systems auf der anderen Seite bildet das Leitmotiv seiner Untersuchung und veranlasst ihn dazu, die Ursachen in einer gesellschaftlichen Krisensituation zu suchen.
Misswirtschaft, Korruption und Ämterpatronage
In Anlehnung an diese Erklärungstendenz behandelt Kowalczuk im ersten Teil seines drei-gliedrigen Werks die gesellschaftlichen Krisenfaktoren, die nicht nur das starre, reformunwil-lige und -unfähige System der DDR vor die Existenzfrage stellten. Er nimmt die gesamteu-ropäische Situation in Augenschein und stellt die in den 1980er-Jahren deutlich zu Tage tretenden gesellschaftlichen Probleme der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten dar, vorangetrieben von machtpolitischen – wirtschaftlichen und militärischen Interessen -, forciert durch Misswirtschaft, Korruption und Ämterpatronage, und sich fatal auf die Gesellschaft auswirkend. Eine durch Indoktrinierung, Repression und Monotonie verkorkste Gesellschaft ist, seiner These folgend, nicht mehr lebensfähig und wenn es nichts zu verlieren gibt, so bilden sich früher oder später oppositionelle Kräfte aus, die kräftig am Fundament des sie unterdrückenden Staates zu rütteln vermögen.
Oppositionelle hatten nichts zu verlieren
Im zweiten und dritten Teil seines Werks zeigt der Autor die Konsequenzen dieser Gesellschaftskrise auf, die eine Gegenbewegung auf den Plan rief und damit die Krise des politischen Systems entfesselte. Je stärker und offensichtlicher der gesellschaftliche Verfall sich abzeichnete und je versteifter und ideenloser die SED-Diktatur ihm begegnete, umso zahlreicher und nachdrücklicher wurden die Proteste, die in einen zunehmend aktiven Widerstand mündeten. Der Historiker rekapituliert den Weg, der zur Wende führte, er schildert den Widerstand zersplitterter Oppositionsgruppen, den Protest geheimer Bürgerrechtsorganisationen, das Ausmaß der kirchlichen Politisierung und aller weiteren Einflüsse und Bewegungen, auf deren Basis eine gesellschaftlichen Mobilisierung stattfand. Die Tatsache, dass bei dieser Agitation die „normalen” Bürger quantitativ den Ausschlag gaben, und sich die Opposition nicht ausschließlich auf radikale „Staatsfeinde” beschränkte, dass ihnen außerdem nur eine Systemreform, kein Systemumsturz – geschweige denn eine zeitnahe Wiedervereinigung – vorschwebte, versteht der Autor als Beleg für seinen gesellschaftspolitisch basierten Erklärungsansatz.
Sachbuch für breites Publikum und Wissenschaftler
Stilistisch gelingt Kowalczuk eine sachliche und präzise Schilderung der Historie, an keiner Stelle schlägt seine Darstellung in eine monotone Geschichtschronologie um. Ohne Pathos, mit großen literarischem Geschick und viel Liebe zum Detail, legt er ein spannendes und unterhaltsames historisches Sachbuch vor, das durch eine umfassenden Einbeziehung von Quellenmaterial zudem ausgezeichnet wissenschaftlich fundiert ist. Damit vermag er ein breites Publikum anzusprechen und sowohl den Historiker als auch den Laien zu begeistern und zu bereichern.
Autor ist selbst Zeitzeuge
Interessant und aktuell ist sein Werk vor allem vor dem Hintergrund der DDR-Aufarbeitung in der deutschen Öffentlichkeit, die zunehmend eine zweigleisige Erinnerungskultur produziert. Neben der sachgerechten und faktenbasierten Darstellung von Geschichte setzt sich eine Verklärungstendenz durch, die mit einer Verharmlosung der SED-Diktatur einhergeht und MfS-Mitarbeiter zu Sympathieträgern erhebt. Als Zeitzeuge und Geschichtswissenschaftler ist Kowalczuk zudem in der Position, dieser Tendenz entgegenzuwirken.
Historische Objektivität gibt es nicht
In der Einleitung schildert der in der DDR geborene Autor deshalb seine Intentionen und Ansprüche an das Werk und räumt ein, aufgrund seines eigenen Hintergrunds ein persönlich motiviertes Interesse an dieser Thematik zu besitzen, das Auswirkungen auf seine Arbeit nicht ausschließen lässt. Er erteilt der Herausforderung der historischen Objektivität entschieden eine Absage und folgt ganz der Linie Thomas Nipperdey’s, der die Herauslösung eines Geschichtswissenschaftlers aus seinem „Standort” als unrealistisch beschreibt. Kowalczuk lässt allerdings das subjektive Interesse an diesem Thema nicht zum Problem für eine wissenschaftliche Herangehensweise und Auseinandersetzung werden.
Geistreiche Denkansätze
Mit „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR” hat Ilko-Sascha Kowalczuk somit ein gelungenes und empfehlenswertes historisches Sachbuch auf den Markt gebracht, das den Laien sowie den Historiker anzusprechen vermag. Das Buch lebt von geistreichen Denkansätzen und wissenswerten Details. Die gute Lesbarkeit und spannende Darstellung ziehen keine Einbußen an wissenschaftlicher Qualität nach sich, sondern sind viel mehr in der Lage, einem breiten Publikum einen umfassenden und wissenschaftlich fundierten, weder von Verklärung noch Ostalgie geprägten, Einblick in die DDR-Geschichte zu geben.
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