Wittenburg, Siegfried/Wolle, Stefan: Die sanfte Rebellion der Bilder. DDR-Alltag in Fotos und Geschichten, Darmstadt 2008.
Von Daniel Rübel (Universität Heidelberg)
Das geschichtliche Fotobuch soll laut Klappentext entlang von Bildern aus dem letzten Jahrzehnt der DDR über das dortige Leben erzählen. Die Bilddokumente stammen von dem Rostocker Fotografen Siegfried Wittenburg und bilden über elf Kapitel verteilt den Rahmen für eine Geschichte des Lebens der Menschen in der DDR der 1980er-Jahre. Zu jedem Bild gibt es einen kleinen erläuternden Text am Rand, jedoch stehen sie sonst nur „lose” und allgemein mit dem jeweiligen Thema des Kapitels in Verbindung. Der Text zu den Abschnitten stammt von dem Historiker Stefan Wolle, der unter anderem während der friedlichen Revolution 1989 Mitarbeiter im Komitee für die Stasi-Auflösung war und der heute wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin ist.
Gefühlslagen und Lebenswirklichkeiten
Die Absicht der Autoren ist nicht, einen besonderen Gesichtspunkt des DDR-Alltagslebens in neuer Form darzustellen. Es gelingt ihnen einerseits mit den Bildern, andererseits mit den Texten eine Art Gesamtbild der Gefühlslagen und der Lebenswirklichkeiten der Menschen von damals zu entwerfen. Die einzelnen Kapitel beleuchten entsprechend nicht alle Facetten des jeweiligen Themas und gehen erstaunlich ungenau mit einzelnen Fakten um: Der Historiker zitiert zudem nicht aus der Forschung, sondern schreibt prosaisch. Lieber reißt er viele Dinge nur kurz an und stellt nicht belegte Behauptungen auf, als dass er seine Aussagen mit Fakten unterfüttert.
Staat als absoluter Planer
Dafür bekommt man den Eindruck eines Staates vermittelt, der sich auf allen Ebenen (von der Familienplanung bis zum Städtebau und sämtlichen wirtschaftlichen Fragen) als ein absoluter Planer betätigte und dabei versuchte, sich in alle Beziehungen, Strukturen und Lebenswelten einzumischen, um diese nach seinen utopischen – in der Umsetzung regelmäßig zu anti-utopischen verkommenden – Leitbildern umzuformen.
Bürger mit „Antrag”
Diese Art von Staat wird im Text so dargestellt, dass einzelne Besonderheiten herausgearbeitet werden, die bisher wohl den meisten Nicht-DDR-Bürgern unbekannt waren – wie dem Schicksal der „Bürger mit [Ausreise-]Antrag”, die teilweise jahrelang im Ungewissen gehalten und so vom Staat aus ihrem regelmäßigen Leben geworfen wurden. Leider hat diese Art der Arbeit den Nachteil, dass manche Fakten in den kurzen Kapiteln nicht erwähnt werden. Der Autor schreibt so zum Beispiel im Kapitel „Eine Sache des Ruhmes und der Ehre. Arbeit als Mythos und Realität” richtig von der „systematische[n] und gezielte[n] Diskriminierung von Kindern selbstständiger Handwerker im Bildungsbereich”, denen weiterführende Bildung „wesentlich erschwert” war. Wie es mit dem Zugang von Arbeiterkindern zu Hochschulen aussah, oder wie es um deren Fortbildungsmöglichkeiten an weiterführenden Schulen bestellt war, schreibt er nicht.
Fotografien dienen nur zur Illustrierung
Die Bilder sind alle in schwarz-weiß gehalten, einige sind auf zwei Seiten vergrößert, die meisten sind wenigstens eine Drittelseite groß und stammen zum größten Teil aus Rostock, der Heimat des Fotografen. Leider fehlt direkt am Bild in der Regel der Verweis auf das Jahr und den Ort der Aufnahme: Um diese herauszufinden, muss man mühsam ans Ende des Bandes zum spärlichen Abbildungsverzeichnis blättern. Außerdem versäumen es die Autoren, moderne Tendenzen der historischen Bildforschung zu berücksichtigen und arbeiten nicht mit den Fotografien im Sinne einer Quellenkritik, sondern nutzen sie – bis auf sehr wenige und dann auch nur oberflächliche Ausnahmen – lediglich zur Illustrierung. Das ist deshalb besonders schade, da die abgedruckten Bilder durchaus eine andere Realität zeigen als die, die man zum Beispiel durch die letzten populären Filme über den untergegangenen Staat kennen gelernt hat. Auch die Gegenüberstellung „offizieller” Propagandafotografie mit diesen Fotos eines freien Fotografen (oder besser noch, mit den Fotos vieler verschiedener freier Fotografen) würde interessante Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung der Fachdiskussion bieten.
Bewertung
Erzählung, Geschichten – es ist schon beim Gebrauch dieser Wörter in Titel und Klappentext klar, dass es sich nicht um eine dezidiert wissenschaftliche Arbeit handelt. Als solche müssten deutlich mehr Belege für die Aussagen angeführt werden als die (immerhin aktuelle) Kurzbibliografie im Anhang des Buches. Die Stärke des Fotobuches liegt in der guten Zugänglichkeit. Das immer wieder durch die Fotografien aufgelockerte Schriftbild lädt zum Lesen ein, die großformatigen Bilder lassen den Leser einfach mal blättern, ohne sich an die Kapiteleinteilung zu halten. Ankreiden lassen müssen sich die Autoren, dass sie aus dem Konzept „private Fotos, die eine bisher wenig wahrgenommene Seite der DDR zeigen” zu wenig gemacht haben. Ein leicht zu lesender Band der Alltagsgeschichte, also der Geschichte „von unten”, mit einigen neuen, unbekannten Perspektiven auf den ehemaligen Staat im Osten Deutschlands, ist es allemal geworden.
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