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Rezension – Boysen, Jacqueline: Das „weiße Haus” in Ost-Berlin. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR, Berlin 2010.

Von Pascal Jahn (Universität Heidelberg)

Das Zitat des ehemaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Egon Bahr (* 1922) „Bisher hatten wir keine Beziehungen zueinander, jetzt werden wir schlechte Beziehungen haben.” über den proklamierten „Wandel durch Annäherung” aus dem Jahr 1972 bildet den Auftakt zur Studie Jacqueline Boysens über die Arbeit der bundesrepublikanischen Ständigen Vertretung bei der Deutschen Demokratischen Republik in Ost-Berlin.

Hierbei handelt es sich um die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung zu dem weiß gestrichenen Gebäude in der Hannoverschen Straße 28-30 in Berlin-Mitte, das von 1974 bis 1990 als „politische Relaisstation zwischen West und Ost” und ebenso als „administrativer Arm” der westdeutschen Bundesregierung im seit 1961 eingemauerten Teil Deutschlands fungierte.

Ost-Berliner nannten die „Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR (StäV)” das „weiße Haus”, für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war es das „Objekt 499″. Schon das Wörtchen „bei” in der Bezeichnung dieser quasi-diplomatischen Einrichtung veranschaulicht, von welchen Schwierigkeiten die beiderseitige Beziehung geprägt war. Jacqueline Boysen, Kulturkorrespondentin im Hauptstadtstudio des Deutschlandradios, rekonstruiert im Rahmen ihrer informativen und unterhaltsamen Dissertation die Gesamtgeschichte dieser quasi-diplomatischen Vertretung und analysiert deren Bedeutung für die deutsch-deutschen Beziehungen.

Sie stellt dabei die unterschiedlichen politischen Aspekte heraus, wobei sich synchrone und diachrone Betrachtungsweisen abwechseln. Zudem werden soziale und alltägliche Begebenheiten aufgenommen. Die Autorin bietet dem Leser eine Rundumschau über Vorkommnisse und Personen, welche in die politischen Verhältnisse der jeweiligen Zeit eingeordnet werden. Hervorzuheben ist ein besonders gelungenes eigenes Kapitel über die „Staatssekretäre auf besonderem Posten”, also jene Leiter der StäV, die sich nicht als Botschafter bezeichnen durften.

Im Fokus der Arbeit, die Anfang Dezember 2009 von der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen wurde, steht in der Tat das Haus der StäV in Ost-Berlin selbst und alles, was sich bis 1990 darin und um dieses herum ereignet hat. Hierbei handelt es sich um einen Ort von historischer Bedeutung, der den Sammelpunkt für die komplizierten politischen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten bildete und an dem dessen Mitarbeiter den Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus auszutragen hatten.

Deutlich wird, dass sich die StäV in ihrer Rolle als „fleißige deutsch-deutsche Sachbearbeiterin einrichtete, die Haltung der DDR antizipierte und keine großen Sprünge wagte”. Eine Einschränkung ihres Handlungsspielraums erfuhr sie beispielsweise durch die enge Anbindung an das Bonner Bundeskanzleramt.

Boysen verzichtet in ihren mit vielfältigen Zeitzeugenberichten und Zitaten versehenen Ausführungen auf eine rein theorielastige und forschungszentrierte Ausarbeitung, ihre Sprachwahl ist als ironisiert-distanziert zu charakterisieren. Ihre Monografie gleicht dabei mehr einer historisch-journalistischen Reportage als einer wissenschaftlichen Doktorarbeit. Kenntnisreich schildert sie, wie in der Phase des Niedergangs der DDR die StäV zum Fluchtpunkt einer Vielzahl von ostdeutschen Bürgern wurde, die das Gebäude in der Hoffnung auf eine schnelle Ausreise besetzten. Mit dem Mauerfall verlor das Haus rasant an Bedeutung. Die Einrichtung der StäV wurde nicht mehr benötigt. Die Mission war erfüllt. Oder wie der letzte Leiter der StäV in Ost-Berlin, Franz Bertele, am Vortag der Deutschen Einheit 1990 treffend bemerkte: „Heute haben wir sehr gute Beziehungen zur DDR. Morgen brauchen wir keine mehr. Der Kreis hat sich geschlossen.”