An der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hat sich die Esoterik eingenistet. Wie konnte das passieren? Wie steht die Öffentlichkeit dazu? Was sagen die Verantwortlichen? Ein Rückblick in drei Teilen zum Jahresausklang.
Teil 1: Das IntraG und sein Masterstudiengang
Als akademischer Skandal darf es wohl bezeichnet werden, was sich 2010 am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) der Uni Viadrina in Frankfurt/Oder ereignete. Das erst 2007 gegründete und der kulturwissenschaftlichen Fakultät zugehörige Institut sah es als seine Kernaufgabe, einen berufsbegleitenden Masterstudiengang zu entwickeln, der in erster Linie der Weiterbildung von Ärzten, Apothekern und Psychotherapeuten dienen sollte. Dieser Studiengang wurde 2008 genehmigt und nahm schließlich 2009 seinen Betrieb auf. Es handelt sich um den Masterstudiengang Komplementäre Medizin – Kulturwissenschaften – Heilkunde, der mit dem akademischen Grad eines Master of Arts (M.A.) abschließt. 60 Studienplätze zu je € 10.000 sollen jährlich vergeben werden.
Für Ärzte mit Fortbildungsverpflichtung ist der Studiengang ein verlockendes Angebot: Zusätzlich zum akademischen Grad können bis zu 250 Fortbildungspunkte erworben werden. Der Lehrbetrieb findet großteils als Fernstudium statt, nur maximal 20 Tage Präsenzzeit an Wochenenden erlauben ein berufsbegleitendes Studium neben dem Praxisbetrieb. Und schließlich: “Praxisrelevante Methoden der modernen Naturheilkunde” werden versprochen, was der Ausweitung des ärztlichen Angebots Richtung stark nachgefragter und privat bezahlter alternativmedizinischer Therapiemethoden den Weg bereitet. Zusätzlich winkt die “sektorale Heilpraktikererlaubnis” für alle Nichtärzte.
Die Lehrinhalte des
Studienganges werden zu einem großen Teil vom Kooperationspartner des
IntraG verantwortet, der Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin (IGBM). Ein mit dieser eng verbandelter weiterer Kooperationspartner ist die Internationalen Gesellschaft für Homöopathie und Homotoxikologie
(IGHH). Es handelt sich dabei um Vereine, in denen sich die Vertreter der jeweiligen
alternativmedizinischen Richtungen organisiert haben, um gezielte
Lobbyarbeit zu betreiben. Ihr Ziel ist es unter anderem, ihre
wissenschaftlich nicht anerkannten Therapiemethoden im akademischen
Bereich zu etablieren und in Arztpraxen und Apotheken als Zusatzangebot zu verbreiten.
Ende
2009 wurde die Leitung des IntraG sowie des Studienganges an die neu
geschaffene Professur für Forschungsmethodik der Komplementärmedizin gekoppelt,
die an den Psychologen und CAM-Forscher Harald Walach ging. Es handelt
sich dabei um eine Stiftungsprofessur, die durch die Firma Biologische Heilmittel Heel GmbH finanziert wird, einem Big Player der Homöopathie-Industrie, der eng mit der IGBM und der IGHH verflochten ist.
Ein
weiteres Ziel des IntraG war es, den Absolventen seines Studienganges
den Weg zu einer Zweitpromotion zu ebnen. Viele ältere Ärzte, so hatte
man erkannt, würden sich “der geisteswissenschaftlichen Wurzeln der
Medizin besinnen” und würden die Beschäftigung mit diesen Wurzeln gerne
mit einem “Dr. phil” auf der Visitenkarte krönen. Das Problem dabei:
Ärzte haben generell wenig Zeit zum Dissertieren. Was also tun? Ein
Lösungsweg lag nahe:
Daher muss an dieser Stelle betont werden, dass die Teilnehmer des philosophischen/philologischen Zweitstudiums häufig nebenher arbeiten und man an ihre Abschlussarbeiten nicht die Maßstäbe anlegen darf, die gemeinhin an geisteswissenschaftliche Doktoranden gestellt werden.
Die
Idee war also, die Ansprüche herunterzuschrauben, um den gestressten
Berufstätigen ihre Nebenher-Promotion zu ermöglichen. Damit tat sich
jedoch ein neues Problem auf: Die so entstehenden Arbeiten könnten
eventuell von minderer Qualität sein und damit dem Ruf der Universität
schaden. Doch auch dieses Problem sei gar keines, wusste das IntraG:
Die Argumentation ist bestechend: Die zu
erwartenden minderwertigen Dissertationen würden ohnehin nicht
publiziert werden, da Ärzte erstens sowieso kaum Zeit zum Publizieren
hätten und zweitens im Notfall das peer-review System schon dafür sorgen
würde, dass deren Beiträge abgelehnt werden. Welche Erleichterung!
Universitäre Fortbildung für Ärzte an einer kulturwissenschaftlichen Fakultät? Homöopathie und Homotoxikologie als “geisteswissenschaftliche” Zusatzleistungen in der Arztpraxis? Eine ausgerechnet von der Homöopathie-Industrie gesponserte Professur für CAM- Forschungsmethodik? Man erkennt wohl bereits an dieser Stelle, was die primäre Motivation der ganzen Unternehmung ist: Die Ärzteschaft soll an der steigenden Nachfrage nach obskurer Paramedizin endlich gehörig mitverdienen dürfen und dafür im Gegenzug einen Obolus an die Uni abliefern, die ihnen dieses lukrative Geschäft erst ermöglicht und dabei gleichzeitig den unter Medizinwissenschaftlern eher schäbigen Ruf der alternativen Therapieverfahren akademisch adelt.
Kommentare (76)