Falls Sie es noch nicht mitgekriegt haben: Wir befinden uns mitten in der Woche der Homöopathie 2011, und aus diesem Anlass gab und gibt es in Wien (und anderswo) eine Reihe von öffentlichen Vorträgen zur Homöopathie. Einer der ersten dieser Vorträge fand am vergangenen Donnerstag im Wiener Kolpinghaus statt.
Da die Woche der Homöopathie diesmal im Zeichen der Frauengesundheit steht, war es nicht überraschend, dass beim Vortrag der Wiener Ärztin und Homöopathin Dr. Jutta Czedik-Eysenberg zum Thema Wiederkehrende Harnwegsinfekte und Pilzinfektionen weibliche Zuhörer die Mehrheit stellten. Genau genommen bestand das Publikum aus rund 40 Frauen und einem Mann. Der Mann war ich.
Frau Czedik-Eysenberg beschäftigt sich seit 24 Jahren mit Homöopathie, führt seit 14 Jahren eine homöopathische Praxis in Wien und ist auch seit vielen Jahren in der ÖGHM engagiert, die die Woche der Homöopathie organisiert. (Sie bloggt
übrigens auch, aber eher selten.) Ihren Vortrag hatte ich nicht
aufgrund eines besonderen Interesses an Harnwegsinfekten ausgewählt,
sondern weil er sich für mich zeitlich und örtlich gerade anbot.
Moderiert wurde der Vortrag von Gabriele Kuhn, Kurier-Redakteurin und (ebenfalls bloggende) Sex-Kolumnistin, die sich gleich zu Beginn als “absoluter Globuli-Fan” outete. Das erklärt zumindest ihren als Reaktion auf die 10:23-Aktion im Kurier abgedruckten und völlig unkritischen Kommentar “Globulisierung? Ja, bitte!“, in dem sie den Placebovorwurf mit “Und was ist mit Babys? Oder Tieren?” konterte.
Frau Kuhn registrierte die weibliche Übermacht im Publikum und führte
diese nicht nur auf das Thema des Vortrags zurück, sondern auch darauf,
dass Frauen einen “eher intuitiven Zugang zur Homöopathie” hätten,
während Männer da eher nüchtern seien und lieber “Stuuudien und Zaaahlen”
hätten. Aus den gedehnten Vokalen schloss ich, dass Studien und Zahlen
für Frau Kuhn etwas Anrüchiges sind, was meine Erwartungen an den von
ihr eingeleiteten Vortrag etwas dämpfte.
Zu Recht, wie ich bald feststellte. Frau Czedik-Eysenberg hatte eine
vierseitige Broschüre zum Thema vervielfältigen lassen, die zur Entnahme
vor dem Vortragssaal auflag, und die ich während des Wartens auf den
Vortragsbeginn gelesen hatte. Studien und Zahlen, also Evidenz, kamen
darin schlicht nicht vor. Ebenso nicht in ihrem Vortrag, dessen Inhalt
mit dem der Broschüre identisch war. Tatsächlich las sie ihren
einstündigen Vortrag mehr oder weniger wörtlich vom Blatt ab, unterbrochen nur durch
Bemerkungen zu den präsentierten Bildern, die vor allem Wasser-Motive
zeigten.
Nach einer allgemein gehaltenen Einführung in die Homöopathie kam die
Vortragende schnell auf die unterschiedlichen Symptombilder von
Harnwegsinfekten zu sprechen und stellte die aus homöpathischer Sicht
passenden Mittel vor. Als sie auf die häufige Problematik der
rezidivierenden Pilzinfektionen zu sprechen kam, meinte sie,
Bei wiederkehrenden Pilzinfektionen ist die Schulmedizin so gut wie hilflos. Da hilft eigentlich nur mehr die Homöopathie.
Diese Behauptung halte ich für bemerkenswert, und zwar aus einem
einfachen Grund: Vor dem Vortrag hatte ich mich ein wenig vorbereitet
und in pubmed
gestöbert, was denn an klinischer Evidenz zu Homöopathie bei
Harnwegsinfekten, insbesondere Pilzinfekten, so vorhanden ist.
Tatsächlich gibt es dazu offenbar nur eine einzige klinische Studie;
noch dazu eine aus Wien, die 2009 publiziert wurde.
In dieser dreiarmigen randomisierten Vergleichsstudie von Witt et al (Armin,
nicht Claudia!) wurde der Behandlungserfolg bei rezidivierender
Pilzinfektion verglichen, und zwar von klassischer, individualisierter
Homöopathie einerseits und dem Antimykotikum Itraconazol
mit bzw. ohne Zugabe von Milchsäurebakterien andererseits. Am Ende des
Beobachtungszeitraums von 12 Monaten waren in den Itraconazol-Gruppen
noch 23% der Patientinnen infiziert, in der Homöopathiegruppe 61%, also
fast dreimal soviele. Entsprechend waren auch die Beschwerden und die
Unzufriedenheit in der Homöopathiegruppe deutlich höher.
Von Homöopathen werden bekanntlich routinemäßig Therapieempfehlungen bei
Indikationen abgegeben, die durch fehlende Evidenz auffallen und
lediglich durch die “eigene Erfahrung” argumentiert werden. Hier ist es
wesentlich schlimmer: Die einzige verfügbare klinische Evidenz sagt
genau das Gegenteil dessen, was Frau Czedik-Eysenberg in ihrem Vortrag
behauptet.
In der anschließenden Diskussion sprach ich die Vortragende auf diesen
offensichtlichen Widerspruch an. Sie meinte, sie könne zu dieser Studie
nichts sagen, weil sie sie nicht kenne. Ich halte das für erstaunlich
und bedauerlich zugleich.
Frauen, die gemäß dem Rat von Frau Dr. Czedik-Eysenberg bei Pilzinfekten
auf Homöopathie statt Pharmakologie setzen, verlängern ihr Leiden
unnötig und riskieren Folgeerkrankungen – ein typischer Fall von
Therapieverschleppung.
Was entgegnete nochmals Dr. Frass auf unsere entsprechenden Vorwürfe an die Homöopathie anlässlich der 10:23-Aktion?
Das wäre
der Fehler des Homöopathen,
aber nicht
ein Fehler der Methode.
Ob “die Homöopathie” schuld ist oder “der Homöopath”, sei hier einmal
dahingestellt. Dieser “Fehler” ist in der Homöopathie und ihrer Praxis
systemimmanent: Homöopathen ignorieren konsequent jegliche Evidenz, die
ihren Heilsideen zuwiderläuft.
Viele Menschen leiden unter Homöopathie. Sie wissen es nur meist nicht.
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