Ablehnung der evidenzbasierten Medizin seitens der Ärztekammer „unsachlich und nicht in Einklang mit dem gesetzlichen Auftrag der ÄK” – BM Stöger und LH Häupl werden aufgefordert, als Aufsichtsorgane einzugreifen
Wien, 2.2.2012. Mit ungewöhnlich scharfen Worten und einer Aufforderung an Gesundheitsminister Stöger bzw. die Wiener Landesregierung, ihre Rolle als zuständige Aufsichtsorgane für die betroffenen Ärztekammern ernst zu nehmen, reagierten „Initiative Religion ist Privatsache” und „Gesellschaft für kritisches Denken” mit einer gemeinsamen Stellungnahme auf das von der Ärztekammer adoptierte Theologen-Gutachten zur Einfuhr von Leitlinien, die der Methodik der evidenzbasierten Medizin (EbM) folgen.
Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer, Vorstand der „Initiative Religion ist
Privatsache” und langjähriger Gegner der staatlich unterstützen
Einmischung von Religionsgemeinschaften in öffentliche Belange, hat
weder für die Position der Wiener bzw. Österreichischen Ärztekammer noch
für deren Vorgehensweise Verständnis: „Dass Theologen Kraft Gesetz in
verschiedenen Ethikkommissionen ständig mitmischen dürfen, ist schlimm
genug. Dass die Ärztekammer aber ein Theologen-Gutachten einsetzt, um
gegen Qualitätssicherung und Kostenreduktion im Gesundheitswesen zu
kämpfen, stellt ein gefährliches Novum dar. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass die Ärztinnen und Ärzte, die gesetzlich gezwungen
werden, sich von den Ärztekammern vertreten zu lassen und allesamt über
eine akademisch-naturwissenschaftliche Ausbildung verfügen, ausgerechnet
in einem katholisch-theologisches Gutachten ihr eigenes Sprachrohr
finden”. Inhaltlich kann Oberhummer weder dem Gutachten noch der
Opposition der Ärztekammer gegen EbM etwas abgewinnen. „Evidenzbasierte
Medizin wird weltweit zunehmend zum Standard. Auch in Österreich gewinnt
sie an Akzeptanz – vom Ministerium begonnen über die
Sozialversicherungsträger bis hin zu den Patientenanwälten und
Fachvereinigungen wie ÖGARI. Die Ärztekammer brilliert hingegen mit
unsachlichen Gegenargumenten”, so Oberhummer.
Auch Univ.-Prof.
DDr. Ulrich Berger, Vorstand der „Gesellschaft für kritisches Denken”,
zeigt sich verwundert über die Vorgehensweise der Ärztekammer: „Über
Problemfelder der EbM kann jederzeit eine sachliche Diskussion geführt
werden. Es handelt sich hier jedoch nicht um Glaubensfragen, sondern um
Themenbereiche, die mit Theologie nichts zu tun haben”. Besonders
kritisch betrachtet Berger die offensichtlich enge Kooperation zwischen
der Ärztekammer und der katholisch-theologischen Fakultät der
Universität Wien. „Theologen sind keine Wissenschaftler – Konkordat hin
oder her – und als solche keineswegs qualifiziert, über medizinische
Leitlinien zu urteilen” hält Berger fest und warnte vor einer
„Verunsachlichung” des Diskurses. Um diesen Punkt zu veranschaulichen
stellt er eine ironische Frage in den Raum: “Warum sollen alleinig
katholische Theologen über medizinische Leitlinien urteilen? Diverse
Spezialisten anderer Glaubensgemeinschaften hätten sicher auch
interessante Meinungen dazu. Homöopathen, Astrologen und Hellseher
womöglich auch!”.
Das Schreiben an BM Stöger und die Wiener
Landesregierung enthält auch eine sehr detaillierte kritische
Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Theologen-Gutachtens
Rückfragehinweis: Mag. Eytan Reif, 0664-4614146
office@religion-ist-privatsache.at; kritischgedacht@gmail.com
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