Wir müssen alles gleich erfahren. Sofort. Morgen sind die Nachrichten von heute veraltet und uninteressant. Für den Wissenschaftsjournalismus ist das ein Problem.
Hast du das schon gehört! Die blonde Popsängerin, von der letzte Woche dieses peinliche Foto aufgetaucht ist, wurde gestern wegen Drogenproblemen festgenommen. Und brandneue Meinungsumfragen sagen voraus, dass die Präsidentschaftswahl im Herbst doch anders ausgehen könnte als gestern prognostiziert, und dieser berühmte Fußballstar hat sich seinen Knöchel verstaucht und kann morgen doch nicht spielen.
Die Medienlandschaft hat uns so erzogen, dass wir die tägliche Information, die auf uns herabregnet, für unsagbar wichtig und unverzichtbar halten. Und trotzdem: Wenn wir nach zwei Wochen aus einem zeitungs – und fernsehlosen Urlaub nach hause kommen und fragen: Was gibt’s Neues? Was ist denn inzwischen passiert? Dann hören wir meistens bloß: Ach, eigentlich eh nichts. Wozu also die ganze Aufregung um die Tagesnachrichten?
Halbgekochtes statt Durchgegartes
Wir werden medial täglich mit unausgegorenen Halb-Neuigkeiten beworfen. Anstatt komplizierte Entwicklungen abzuwarten, bis sich der Nebel lichtet und journalistisch sauber darüber berichtet werden kann, zieht man ziemlich blind einzelne Nachrichtenfetzen aus dem Nebel hervor und erklärt sie zu brandheißen Breaking News. Wenn sich die Wirtschaftslage in einer schwierigen Situation einfach nicht seriös einschätzen lässt, dann interviewt man einfach so lange verschiedene Experten, bis einer etwas Spektakuläres sagt, aus dem man dann eine Schlagzeile machen kann – am besten mit Weltuntergangsprognose. Wenn es über die US-Wahl nichts zu berichten gibt, dann erklärt man irgendwelche Vorwahlen in einem angeblichen Schlüsselstaat zur dramatischen Vorentscheidung. Nur nicht abwarten! Wir brauchen Neues, und das sofort!
Ist der Zug wirklich gleich abgefahren, wenn man sich mal Zeit lässt? Oder lassen sich Journalisten ganz unnötigerweise vom Aktualtiäts-Druck mitschleifen?
Woher das kommt ist klar: Der Hinweis „Entwicklung ungewiss – nähere Informationen folgen in sechs bis acht Wochen” verkauft keine Zeitungen und bringt keine Einschaltquote. In manchen Bereichen ist der Zwang zur künstlichen Aktualität allerdings wirklich schädlich – auch in der Wissenschafts-Berichterstattung.
Wissenschaft verläuft in Prozessen, die Jahre dauern, manchmal Jahrzehnte. Große Durchbrüche sind oft nicht an einem bestimmten Ereignis festzumachen, sondern offenbaren sich Schritt für Schritt. Das ein Wissenschaftler von seinem Labortisch aufspringt, laut „Heureka!” schreit und jubelnd herumhüpft, passiert recht selten. Dass jemand schöne, neue Ergebnisse bekommen hat, über die er am Nachhauseweg zufrieden nachdenkt und damit wieder ein etwas tieferes Verständnis über seine Forschungsfrage gewonnen hat, passiert ziemlich oft. Wenn er das jahrelang macht, kann am Ende ein umwälzendes Ergebnis stehen.
Ein schnellerer Computer, der Krebs heilt und das Energieproblem löst!
Und trotzdem: Wenn man Wissenschaft in die Zeitung bringen will, dann muss man genau erklären können, warum das aktuelle Forschungsergebnis ganz neu und revolutionär ist, was es der Wirtschaft bringt und welche Anwendungen sich daraus ergeben werden. Ein tieferes Verständnis einer wichtigen wissenschaftlichen Forschungsfrage gewonnen zu haben, ist keine Meldung wert. Wissenschaft, die auf der Zeitskala von Jahren passiert, lässt sich in Medien, die auf der Zeitskala von Tagen arbeiten, kaum abbilden.
Der Journalismus der aufgebauschten Sensationen
Und genau deshalb bekommen wir oft so haarsträubend schlechten Wissenschaftsjournalismus serviert: Eine neue Studie behauptet, dass irgendein Nahrungsmittel Krebs verursachen könnte. (Oder auch heilen, das ist Geschmackssache.) Eine neue Technologie wurde entwickelt, die Blinde sehend machen oder Gelähmte zum Gehen bringen wird. (Das stand zwar letztes Jahr auch schon in der Zeitung, in ganz anderem Zusammenhang, aber echt jetzt, diesmal stimmt’s, ehrlich!) Der Weg zum Quantencomputer wird wieder einmal durch neue Experimente geebnet. (Unglaublich wie eben dieser Weg mittlerweile sein muss!)
Auch ich – ich gebe es zu – serviere Journalisten wenn möglich Topaktuelles. Die Publikation von gestern, heute schon als Presseaussendung. Die Konferenz von nächster Woche – eine Vorankündigung, mit Sperrfrist. Ehrlicher wäre es wohl, ein spannendes wissenschaftliches Gebiet vorzustellen, ohne Bezug zu aktuellen Entwicklungen zu erzwingen. Wir wollen über aufregende neue Ideen in der Kardiologie, in der Quantenoptik, in der Biochemie informiert werden – doch ob die Information heute oder in einem halben Jahr kommt, ist doch eigentlich ziemlich egal. Entscheidend ist die Qualität der Information.
Lassen wir uns mal Zeit!
Einfach mal warten?
Vielleicht muss sich der Wissenschaftsjournalismus einfach von dem seltsamen Druck der Tagesaktualität lösen. Ist doch egal, welche Paper diese Woche in Nature oder Science publiziert werden! Wenn es spannende Geschichten sind, will ich sie hören – aber auch in ein paar Monaten werden sie noch interessant sein. Bis dahin hätte man dann Zeit, gut zu recherchieren und einen sauberen, verständlichen, ausgewogenen Artikel zu schreiben. Ganz ohne künstliche Überhöhung zufälliger tagesaktueller Ereignisse.
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