Das Meiste, was man vermeintlich wissenschaftlich-kritisches zum Klimawandel, seinen Ursachen und seinen Prognosen lesen kann, sind rein erfundene sogenannte Strohmann-Argumente. Ein Strohmann ist ein “Argument”, welches in einer Diskussion angeblich von der Gegenseite so geäussert wurde oder “offensichtlich” aus der Logik der gegnerischen Argumentationsweise folgt, so aber in Wahrheit weder behauptet wurde, noch aus irgendetwas wirklich folgt.
Bild 1: Der Strohmann, des Klimaskeptikers liebstes Argument.
Dieser Strohmann wird dann zerlegt und mit ihm natürlich das ganze Argumentationsgebäude der Gegenseite. Strohmänner sind heimtückisch denn, erstens, stimmt ja die eigentliche Widerlegung des Strohmanns und zweitens ist gerade in technisch komplizierten Diskussionen den meisten nicht klar, was denn nun die eine oder andere Seite “immer schon” gesagt hat, schlicht weil man natürlich nicht in jedem strittigen Thema zu 100% auf dem Laufenden ist. Deshalb “funktionieren” Strohmann Argumente auch ziemlich gut am grossen Stammtisch des Lebens, während man sich bei Experten meist nur lächerlich macht.
Ich hatte hier beispielsweise gezeigt, dass von Klimaskeptiker-Seite fälschlicherweise behauptet wurde, der aktuelle (letzten zehn Jahre) globale Temperaturverlauf sei im Widerspruch zu den gängigen Klimamodellen. Das Strohmann-Argument lautet in diesem Fall etwa so: “Die Klimamodelle berechnen eine Erwärmungsrate, die keinerlei Stagnation über zehn Jahre erlaubt. Also sind diese Modelle falsch oder überschätzen bei weitem die Folgen der Treibhausgase”. Sicher einer der populärsten Strohmänner. Heute soll es um das Arktische Meereis gehen (Primaklima berichtete hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier) und einer ganzen Kohorte von Strohmänner, die um seinen Rückgang aufgestellt wurden.
Strohmann 1:Nach dem Meereis-Minimum des Jahres 2007 habe das Jahr 2008 den Trend nun umgekehrt, im Winter 2008/09 sind wir praktisch da wo wir schon immer beim Meereis waren. Dieser Umstand werde von den Modellen nicht vorherberechnet und diese seien somit falsch und blablablabla.
Strohmann 2: Unter den vielen (?) Anzeichen, dass das Meereis sich wieder erholt hat, fällt besonders auf, dass die Meereisbildungsraten zum Winter 08/09 hin so hoch wie niemals zuvor waren. Dass momentan so viel Meereis gebildet wird, wird von den Modellen nicht vorhergesagt und diese seien somit falsch und blablablabla.
Alle Modellresultate, die ich hier zeigen werde, stammen von der CMIP3 (Climate Modell InterComparison) Webseite, eine an eine Datenbank angeschlossene Weboberfläche anbietet, auf der alle IPCC Modellläufe der verschiedenen Modellgruppen mit teils täglichen, mindestens aber monatlichen Modellergebnissen vorliegen.
Bild 2: Die verschiedenen IPCC Emissions-Scenarios. Ihnen liegen unterschiedliche Story-boards zu Grunde, die zugleich die globale Bevölkerungsentwicklung als auch politisch-wirtschaftliches Verhalten umfassen für Details siehe hier oder hier). Deren Resultat sind schliesslich die hier gezeigten Emissionen und schliesslich die für die Klimamodelle entscheidenden atmosphärischen Treibhausgas-konzentrationen.
Ich habe mal die monatliche Meereisbedeckung (in Millionen km^2) von drei Simulationen des deutschen MPI-ECHAM5 Modells heruntergezogen, und zwar von je drei Ensembleläufen (das sind Simulationen mit identischen Rand- aber leicht unterschiedlichen Startbedingungen; sie erlauben uns somit abzuschätzen, wie robust ein Modellresultat wohl ist) aus drei unterschiedlichen Scenario-Läufen (das macht also 3*3 Läufe insgesamt): Szenario 1=20th Century: Eigentlich kein Szenario, da das Forcing des Modells feststeht. Das Modell wurde angetrieben mit dem beobachteten Verlauf der Treibhausgaskonzetrationen und Aerosole der letzten 140 Jahre. Scenario 2= Das momentan als realistischstes Scenario eingeschätzte A1B Scenario mit weiterhin starker wirtschaftlich-technologischer Entwicklung, die aber doch ab der Mitte des 21ten Jhd eine langsame Reduktion der Emissionen erlaubt. Scenario 3: Das pessimistische A2 Scenario mit bis zu 12 Milliarden Menschen, die den CO2 Gehalt auf bis 850ppm zum Ende des 21 Jhd treiben. Wenn sich auch A1B und A2 Scenario in den Storyboards recht unterschiedlich anhören (siehe hier oder hier), so verlaufen sie doch über weite Teile (bis ca 2070) sehr ähnlich und klaffen erst in den letzten Jahren um ca 150ppm bis 2100 auseinander (siehe Bild 2)
Bild 3: Meereisausdehnung aus einem der drei “20stes Jahrhundert” Ensemble-Läufe des MPI-ECHAM5 Modells. Die Läufe wurden mit den beobachteten Treibhausgas- und Aerosolkonzentrationen von 1860 bis 2001 angetrieben (für Details siehe hier). Hier zeige
ich die Meereisbedeckung in der Nord- und der Südhemisphaere (erste/zweite Kurve von oben) und deren Anomalien (dritte/vierte) über die Zeitspanne, in der es auch gut gesicherte Satellitenbeobachtungen gibt.
Die obige Abbildung ist falsch. Bitte das Erratum lesen.
Bild 3 zeigt dann, wie in einer Simulation, die den Randbedingungen des 19ten und 20ten Jhd. entspricht, sich das Meereis so verhält. Ich habe mal die Ergebnisse für beide Hemisphären ab 1978 gezeigt, was der Zeitspanne entspricht, in der wir dank Satellitentechnik über gesicherte Informationen verfügen. Alle Angaben auf der Y-Achse, also die Meereis-ausdehnung ist in Millionen Quadratkilometern gegeben. Die beiden oberen Kurven zeigen schön den simulierten jahreszeitlichen Gang des Meereises in beiden Hemisphären, die im Modell in der Arktis zwischen 22 und 12 Mill. Km2 schwankt, eine relativ realistische saisonale Amplitude (beobachtet etwas mehr als 8 Mill.km2), die allerdings um mehr als 40% über der beobachteten Ausdehnung liegt (Mittel ca 14 Mill.km2). Ich habe mir nicht die Details der Ausdehnung angeschaut, aber es ist wahrscheinlich, dass die Modell Grösse Meereis-Ausdehnung und die Satellitenmessgrösse Meereis-Ausdehnung nicht exakt das Gleiche beschreiben. Ein erster Unterschied ist mit Sicherheit die räumliche Auflösung (im Modell und im Satellitendatensatz), die sich schnell zu grösseren Unterschieden aufaddieren können (für einige Plots der Beobachtungen siehe etwa hier).
Bild 4: Anomalien des Arktischen Meereises modelliert in den drei Ensemble-Läufen des MPI/ECHAM5, die der Klimaentwicklung des 20ten Jahrhunderts entsprechen.
Die obige Abbildung ist falsch. Bitte das Erratum lesen.
Nun, also eine erste Zusammenfassung: 1) Das Model ist bzgl. der Meereisausdehnung sicher nicht perfekt, es “scheint” (“scheint ” weil man sicher beim Vergleich mit Satellitendaten mit unterschiedlicher Auflösung sicher nochmal genau nachdenken sollte) die mittlere Ausdehnung recht deutlich zu überschätzen. 2) Beobachtungen wie Modellresultate zeigen eine kräftige interannuale Variabilität. Allein das zeigt schon wie unsinnig Strohmann 1 ist. Das Modell kommt oft, sehr oft sogar (die Scenarioläufe A1B und A2 werden das noch zeigen) auf den klimatologischen Mittelwert von 1978-2000 zurüeck, auch in der Phase, in der man deutlich die Abnahme des Eises erkennt. Strohmann 1 ist also eine neue Variante der Verwechslung von Wetter (kurzzeitiger Variabilität) mit Klima (langzeitigen Trends). 3) Das Modell hinkt klar hinter der tatsächlichen Abnahme des Meereises hinterher, ein Umstand der schon mehrfach hier auf Primaklima diskutiert wurde (etwa hier). Seit Mitte der 60er Jahre geht das Arktische Meereis klar zurück, das MPI-ECHAM5 Modell hinkt aber wie viele andere diesem Trend hinterher (siehe Bild 5).
Bild 5: Die aktuellen Meereisresultate der IPCC Ensembleläufe hinken dem beobachteten Ablauf mehr und mehr hinterher. Mehr Infomationen hier.
Es gibt ein ganze Reihe von Gründen dafür, aber sicher ist die volle Dynamik des Meereises, mit unterschiedlichen Altersverteilungen und also Eisdicken und also Bewegungen auf der Meeresoberfläche, hoch komplex und nicht leicht in den Klimamodellen zu beschreiben. Ein Animation in diesem Video Peter Sinclairs macht das sofort klar.
Im Teil II wird es dann um den Strohmann 2, um die Scenarioläufe A1B und A2 und darum gehen, warum es sich lohnt, die Modelle anzuschauen, über die man redet.
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