Ich kann als Auswanderer nicht sagen, wie die Diskussion zum Thema “Beben und Tsunami in Japan” insgesamt so in Deutschland verläuft. Seit Jahren habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht auf den Webseiten von FAZ, Sueddeutsche und Spiegel ab und an nachzulesen, was gerade so in Deutschland los ist. Ich glaube nicht, dass es irgendwie unfair ist, zu behaupten, dass für die Deutschen scheinends in Japan eigentlich kein Erdbeben stattgefunden hat, sondern ein Reaktorunfall. Nach neuesten Zählungen kamen am 11.3 in Japan über 5000 Menschen ums Leben, es werden noch Tausende vermisst und über 100.000 Menschen leben in Notunterkünften. Und so sieht das im Pressespiegel aus:
Hier sind die Headlines der verschiedenen Artikel zum Thema zum Beispiel aus der Süddeutschen in der Reihenfolge ihres Auftretens, – 6 Tage nach dem Beben:
1) Mindestens 20 TEPCO Mitarbeiter verstrahlt
2) Japan: Atomkatastrophe Kühlungsversuch aus der Luft
3) Atomkatastrophe in Japan: Fragen und Antworten Kommt es zur nuklearen Explosion
4) Gefährliche Reaktoren Wikileaks belastet japanische Regierung
5) Atomkatastrophe in Japan: Einen Menschen opfern um Millionen zu retten?
6) Atomkatastrophe in Japan: Die Kälte nach dem Beben
7) Atomkatastrophe in Japan: Atomdebatte in Bonn – Merkels märchenhaftes Moratorium
8) Tschernobyl: Das Leiden der Helfer “Wir wollten Helden sein”
9) Tagebuch aus Japan: Ich bring meine Familie weg
10) Japan: Künstlerin aus Tokyo im Skype Interview
11) Jenseits von Japan: Die gefährlichsten AKW Standorte der Welt
12) Atomkatastrophe in Deutschland: Der GAU erreicht das Wohnzimmer
13) Atomkatastrophe: Wann sind Strahlen gefährlich?
14) Tschernobyl: Der erste Super-GAU
15) Japan: Verzweifelte Suche nach den letzten Überlebenden
Bild 1: Messungen der radioaktiven Belastung vom 16ten und 17ten März an der Station Riken, ca. 250 km von Fukushima und etwas nördlich von Tokyo gelegen. Zum Vergleich. Die aktuelle in der frz. Kernindustrie akzeptierte Maximaldosis beträgt 20 millisievert per annum.
Dies war der Stand der Süddeutschen am 17.3 um ca. 15:00 und gibt alle Artikel zum Thema in der Reihenfolge wie sie auf der Süddeutsche Webseite angegeben sind. Und ich frage mich doch, ob das eine auch nur einigermaszen angemessene Berichterstattung zu den Abläufen des ca fünft-stärksten je gemessenen Erdbeben sein kann? Mal von so Sachen wie “Super GAU” (sigh) abgesehen, scheint mir insbesondere Punkt 6 bemerkenswert, denn es handelt sich um ein Photoserie zu den Folgen des Bebens/Tsunamis, der aber nach Meinung der Süddeutschen als “Atomkatastrophe in Japan” korrekter zu bezeichnen ist.
Im ersten Artikel oben lernen wir, dass 20 Kernkrafttechniker einer unbekannten und vermutlich erhöhten Strahlendosis ausgesetzt waren und im 15ten Artikel kann man erfahren, dass 5321 Personen tot und ca 10.000 vermisst werden, allerdings allesamt ohne Mitwirken irgendwelcher Strahlen.
Karten, die unterstützt von der frz. Raumfahrtbehörde von der SERTIT (Service Régional de Traitement d’Image et de Télédétection) erstellt wurden, belegen, dass ganze Küstenabschnitte verändert und verwüstet wurden, doch die deutsche Presse sieht in erster Linie 1) Panik vor dem Fallout in Tokyo einerseits und 2) blinde Technikgläubigkeit bei den Japanern andererseits (geht das?).
Bild 2: Eine Meldung am Rande. Der Tsunami hat die Karte Japans verändert, so zeigt das SERTIT. In Rot überschwemmte und schwer betroffene Gebiete in der Region Minamisanriku/Hashikami. Hier etwa ein Bild
der Region, in der auch die Reaktoren von Fukushima gelegen sind.
Nun, wie steht es denn mit der Strahlenbelastung bislang? Es mag mir entgangen sein, aber ich habe diese Information in KEINEM Artikel auf Sueddeutsche und Spiegel gefunden (man möge mich korrigieren). Hier die aktuellen Werte vom RIKEN, einem Institut etwa 250 km von Fukushima entfernt und a priori unabhängig von der “atomblinden” Regierung. Vorgestern betrug die Strahlungsbelastung 0.14 microsievert/h (10^-6 Sievert/h), was tatsächlich als erhöht gegenüber den sonst üblichen 0.04 microsievert/h gelten kann. Zum Vergleich wird eine Belastung von 1 millisievert (10^-3 Sievert) pro Jahr als unbedenklich betrachtet. In Frankreich gilt eine Norm von 20 millisievert pro Jahr bei Menschen, die in der Kerntechnik arbeiten, für gesundheitlich zumutbar. Natürlich KANN sich das alles noch zum Schlimmen wenden, aber ich finde es doch etwas eigenartig, dass die öffentliche Berichterstattung ausschliesslich dadurch bestimmt ist, was passieren könnte (und auch das nicht wirklich besonders präzise). Es ist hingegen unmöglich, zu erfahren, was bislang nun wirklich geschehen ist. So haben eben ALLE betroffenen Kernkraftwerke (11 insgesamt) erfolgreich den “Notaus” beim Beben betätigt, drei sind mit dem Problem konfrontiert, dass die anschliessend weiter nötige Kühlung der Brennstäbe nicht gewährleistet ist. Vorerst aber bleibt es dabei, dass das Schlimmste, was bei diesem Beben in Fukushima PASSIERT IST, das Verschwinden zweier Arbeiter ist, die vermutlich von den Wassermassen ins Meerhinausgetragen worden sind. Und so schlimm das auch ist, so wollen wir natürlich alle hoffen, dass es dabei bleibt.
h/t Sylvestre Huet
PS Ursprünglicher Text wurde auf einige Zeiteinheiten bei den Micro/MilliSievert (also pro Jahr oder Stunde) korrigiert.
PPS Auf Hinweis habe ich die korrekte Karte, die auch die Kernzentrale bei Fukushima zeigt, verlinkt. Die obige Karte zeigt das am schwersten betroffene Gebiet nördlich von Sendai.
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