Es ist leicht, an Informationen zu kommen, aber das macht Probleme
Schaut man sich die Geschichte der Verschwörungsmythen an, fällt auf, dass sie besonders nach einer medialen Revolution oder in Krisenzeiten stark Beachtung fanden, worauf der Religionswissenschaftler Michael Blume in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen hinweist.
So war es nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts wesentlich einfacher, Information zu verbreiten als zuvor. Davon profitierte ein besonders übler Mythos – der Hexenwahn. 1486 veröffentlichte der Dominikaner Heinrich Kramer sein Buch Malleus maleficarum, der Hexenhammer, das bis ins 17. Jahrhundert in 29 Auflagen erschien. Oft spricht man in diesem Zusammenhang vom Finsteren Mittelalter, aber tatsächlich fand der Höhepunkt der Hexenverfolgung zum Beginn der Frühen Neuzeit statt, als eine Vielzahl von Kriegen, Seuchen und die Kleine Eiszeit Not und Elend über große Teile der europäischen Bevölkerung brachten. Historiker schätzen, dass im Laufe der Hexenverfolgung etwa drei Millionen Menschen der Prozess gemacht wurde und etwa 40.000 bis 60.000 der Beschuldigten hingerichtet wurden.
Mit der Erfindung des Internets kam es zur jüngsten medialen Revolution. Dadurch ist es für jeden noch leichter geworden, seine wie auch immer geartete Meinung zu verbreiten. In diesem Zusammenhang weist der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger ebenfalls in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen auf mehrere Aspekte hin, die für die Wechselwirkung Mensch – Internet bedeutsam sind.
In Krisenzeiten suchen Menschen besonders intensiv nach Informationen und das Internet macht es Verführern leicht, sich als seröse Quelle auszugeben. Leider hilft der Ratschlag, bei Informationen im Netz vorsichtig zu sein, nicht wirklich weiter, denn um geschickt gemachten Lügen und Desinformationen als solche zu erkennen, muss man sich meist einige Zeit in die Thematik einarbeiten.
Doch stoßen wir hier auf ein weiteres Problem. Selbst wenn die online angebotene Information korrekt und ausgewogen ist, gibt es keine Garantie, dass der Leser sie auch richtig versteht. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien müssen quasi für die breite Öffentlichkeit übersetzt werden. Hier kommen Wissenschaftsjournalisten ins Spiel, die mit ihrem fachspezifischen Hintergrundwissen die Sprache der Wissenschaft für die Allgemeinbevölkerung verständlich machen. Dabei kommt man aber nicht um vereinfachende Darstellungen herum, die wieder in die Irre führen können.
Erschwerend kommt ein psychologischer Aspekt hinzu. Wir Menschen bevorzugen lieber Informationen, die zu unserem Weltbild, zu unserer Meinung passen. Das führt dazu, dass etwas, was man eigentlich nicht richtig versteht, so interpretiert wird, dass es zur eigenen Vorstellung passt. In extremen Fällen werden Informationen zur gezielten Richtigstellung falscher Meinungen und Mythen als Bedrohung empfunden und führen zur kompletten Verweigerung der Fakten. Beobachtet wurde dies bei Impfgegnern, vor allem bei denen, die Impfungen überaus vehement ablehnen.
Besonders Online-Foren und Online-Diskussionen verstärken die eigene Vorstellung, weil man hier in der Regel mit anderen Gleichgesinnten unter sich bleibt. Kollidieren unterschiedliche Meinungen dann doch einmal miteinander, kommt es nur selten zu einer echten Diskussion. Stattdessen wir oft beleidigt, beschimpft und im Extremfall gedroht, wie im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besonders deutlich zu beobachten ist. Sogenannte Trolle ziehen mit ihren destruktiven Einwürfen mehr Aufmerksamkeit auf sich, als Nutzer, die sich bemühen, sachlich mit dem Thema umzugehen.
Mancher verliert sich dabei so sehr in seiner Blase, dass er die Realität außerhalb davon nicht mehr wahrnimmt und für Gegenargumente kaum noch erreichbar ist. Zusätzlich neigen diese Menschen eher dazu, ihre Meinung öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Das führt zu einer sich selbst verstärkenden Spirale, in der sie immer selbstbewusster und lauter auftreten. Andere mit einer selbstkritischeren Einstellung verstummen dagegen langsam und treten damit immer weniger in der öffentlichen Wahrnehmung in Erscheinung. Das führt schließlich zu einer starken Verzerrung der tatsächlichen Verteilung der verschiednen Meinungen im Netz und der Bevölkerung. Entgegen dem Anschein der vielen Hassbeiträge und Schmähungen im Netz stammen Drohungen und Schmähungen nur von einem kleinen Teil der Nutzer, während die große Mehrheit sich nur selten zu Wort meldet.
Die Macht der Algorithmen
Das Internet ermöglicht jedem, der es will, sich an den unterschiedlichsten Aktivitäten zu beteiligen. Insbesondere bieten die sogenannten Sozialen Medien viele Hilfestellungen, um Interessengemeinschaften zu gründen und zu pflegen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dort auch viele Gruppen zu finden sind, die Verschwörungsmythen fördern. Die Betreiber der Sozialen Netzwerke befeuern mit ausgeklügelten Algorithmen zusätzlich die Vorlieben und Interessen ihrer Nutzer. Allerdings werden damit Informationen derart stark gefiltert oder zumindest bestimmte Denkweisen bevorzugt, sodass die Nutzer immer stärker gebunden werden. Das birgt somit die Gefahr sozialer Blasen, in denen sich pseudowissenschaftliche Vorstellungen immer weiter ausbreiten und selbst verstärken.
Ähnlich arbeiten die Algorithmen von Verkaufsplattformen wie Amazon. Wer hier nach Literatur zum Thema Verschwörungstheorien sucht, bekommt schnell Titel vorgeschlagen, die eigentlich nur Desinformationen verbreiten, wie Sebastian Meineck und Daniel Laufer aufzeigen. Obwohl sich die Liste der bei Amazon vorgeschlagenen Titel zum Thema Corona öfters ändert, sind darin dennoch viele Titel enthalten, die Verschwörungsmythen nahe stehen oder sie befürworten.
Auch YouTube bietet viel Material für alle möglichen Verschwörungsmythen. Entscheidend für den Erfolg solcher Videos waren auch hier Algorithmen, um Zuschauern anderer verschwörungsbezogener Interessen darauf aufmerksam zu machen. „Die Algorithmen erleichtern die Akzeptanz von Verschwörungen und das Gefühl eines Konsenses innerhalb Ihrer Gemeinschaft“, erklärt Landrum. „Flacherde ist nur ein weiteres Beispiel dafür.“ 2019 erkannte YouTube das Problem an und erklärte sich bereit, seinen Algorithmus zu optimieren, um die Anzahl seiner Empfehlungen für Verschwörungstheorie-Videos zu reduzieren. Dennoch sollen die Ergebnisse, die den Nutzern der Sozialen Medien angezeigt werden, möglichst viel Aufmerksamkeit erreichen. Das führt u.U. dazu, dass bestimmte wissenschaftliche Inhalte Anhängern von Verschwörungsmythen nicht mehr vorgeschlagen werden. Stattdessen berichten z. B. in zum Teil sehr gut aufgemachten Videos angebliche Insider, wie ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, über geheime Internas verschwörerischer, bösartiger Aktivitäten von Eliten und Institutionen. So habe schon vor gut 100 Jahren eine Gruppe hochintelligenter und mächtiger Männer durch die Gründung der amerikanischen Notenbank dafür gesorgt, Supermächte in politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu halten. Inzwischen versuchen deren Nachfolger das Bargeld abzuschaffen, indem sie der Bevölkerung einen Chip unter der Haut einsetzen wollen. Letztlich soll ein perfekter Überwachungsstaat aufgebaut werden. Dazu passt die Vorstellung, dass die Einführung des 5G-Netzes nur ein weiterer Baustein in der geplanten totalen Überwachung bedeutet, bei der Personen über den eingesetzten Chip manipuliert werden.
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