Vorbemerkung
Dieser Blog nennt sich „Das Universum nebenan“. Eigentlich verband ich ursprünglich die Absicht, über Themen aus den Bereichen Astronomie und Physik allgemeinverständlich zu schreiben. Doch wurde mir in den letzten Monaten klar, in denen die Corona-Pandemie das alles beherrschende Thema war, dass nicht nur in der Physik über Paralleluniversen geredet wird, sondern auch Teile der Bevölkerung in ihren eigenen Paralleluniversen leben. Als Naturwissenschaftler war ich besonders darüber bestürzt, dass auch so mancher Mediziner mit zum Teil völlig den wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechenden Argumenten, die Pandemie und Gefährlichkeit von COVID19 leugnete. Als dann die Querdenker-Bewegung lautstark Verschwörungsmythen verbreitete, die leicht als Lüge oder Falschmeldungen zu entlarven waren, fragte ich mich, wie es sein kann, dass sich ihre Anhänger den tatsächlichen Fakten teilweise vehement verweigern. So fing ich vor einigen Monaten an, mich näher mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Ich musste dabei feststellen, dass es sich hierbei um eine äußerst komplexes, facettenreiches Thema handelt, dass kaum in einem Blog umfassend behandelt werden kann. Mir wurde dann schnell klar, dass ich es nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe behandeln kann. Deshalb mag der Leser manche Beispiele und Aspekte vermissen. Aber dieser Blog ist schon sehr lang. Auf Papier umfasst er 15 Seiten. Wegen des großen Umfangs habe ich mich entschlossen, den Blog in mehreren Teilen zu veröffentlichen.
Dennoch möchte ich hier die wichtigsten Punkte vorstellen, die meiner Ansicht nach maßgebend für die Verbreitung von Verschwörungsmythen sind. Als Physiker und Astronom versuche ich deshalb an einigen Beispielen aus dem physikalischen Umfeld die Beweggründe der Anhänger von Verschwörungstheorien zu beleuchten.
Ein altes Phänomen mit neuen Möglichkeiten
Verschwörungsmythen und Desinformationskampagnen sind kein neues Phänomen, sondern existieren schon seit Jahrhunderten. Manchmal, insbesondere heute, wo die technischen Möglichkeiten des Internets zur Verfügung stehen, geht es dabei wie in der Corona-Pandemie buchstäblich um Leben und Tod. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben Verschwörungsmythen, andere sagen Verschwörungstheorien, Hochkonjunktur. Lautstarke laufen verschiedene Gruppen gegen die politischen Maßnahmen Sturm. Wissenschaftler sehen sich zum Teil heftigen und persönlichen Angriffen von Corona-Leugnern und Maskengegnern ausgesetzt.
Man könnte Verschwörungsmythen schnell als Spinnereien abtun, aber so einfach ist es nicht. Verschwörungsmythen treten wohl überall in unserer Gesellschaft und sind ziemlich facettenreich. Sie zeigen sich in vielen verschiedenen Ausprägungsformen. Manchmal sind sie nur auf ein gesellschaftliches Umfeld beschränkt, andere zielen auf mehrere Aspekte in unterschiedlichen Bereichen.
Aber auch im Bereich der Naturwissenschaften machen sich im Internet immer wieder merkwürdige Meinungen breit, die die anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse infrage oder sogar in Abrede stellen.
Daraus ergeben sich mehrere Fragen: Wie kann es sein, dass sich Verschwörungsmythen im wissenschaftlichen Umfeld so hartnäckig halten? Wie stark können Verschwörungsmythen die Gesellschaft schädigen? Wie soll man damit umgehen? Sollten nicht alle, die wissenschaftliche Gemeinschaft und Wissenschaftsjournalisten, sich erheben, um Verschwörungsmythen aufzudecken und zu bekämpfen? Wie muss sich Wissenschaftskommunikation ändern, um dieser Herausforderung zu begegnen? Und was sind die besten Strategien? Wie sollte die Gesellschaft und der Einzelne darauf reagieren?
Um diese nicht neuen Fragen zu beantworten betrachte ich im Folgenden einige pseudowissenschaftliche Vorstellungen im naturwissenschaftlich-physikalischen Umfeld, die damit verbundenen Problemfelder und stelle mögliche Ansätze für Gegenmaßnahmen vor. Auf die in der aktuellen Corona-Pandemie kursierenden Mythen werde ich nur insoweit eingehen, wie sie für das Verständnis des Phänomens Verschwörungsmythen gegen Wissenschaft wichtig sind.
Verschwörungsmythen einst und jetzt
Meine erste engere Begegnung mit Vertretern pseudowissenschaftlicher Ansichten hatte ich kurz nach Abschluss meines Physikstudiums, 1976. Damals nahm ich an der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft teil. Dort trat jemand auf, der das gängige Modell des Photons nicht akzeptieren wollte. Er propagierte stattdessen ein Konzept von ineinander wirbelnden Ringen. Das Ganze klang für mich ziemlich schräg und verwirrend, aber andere Teilnehmer kannten den Redner schon und betrachteten seinen Beitrag als unterhaltsame, wenn auch sinnlose Einlage.
Das Internet gab es noch nicht. Wissenschaftler wurden mit solchen bahnbrechenden Erkenntnissen nur selten und dann meist schriftlich konfrontiert. In zehn Jahren bekam ich nur von einer einzigen Person mehrfach Post, in der sie ihre „Theorien“ vorstellte. Das machte den Umgang mit diesen Informationen ziemlich einfach: Zuerst versuchte man, dem Briefschreiber eine begründete Antwort zu geben und als das nicht half, gab es immer noch die Ablage „P“ – wie Papierkorb.
Doch heute ermöglicht das Internet es jedem, seine Meinung zu veröffentlichen. Das ist der große Unterschied zu früher, als solche Beiträge sich praktisch nicht ausbreiten konnten, ohne dass ihre Verfasser dafür einen mehr oder minder großen Aufwand treiben mussten. Heute geht das praktisch kostenlos und schnell. Deshalb ist es wenig erstaunlich, dass die Legitimation der Wissenschaft wesentlich häufiger und heftiger angezweifelt bzw. bestritten und der Begriff Experte bei einigen Mythenanhängern oder Mythenprotagonisten sehr individuell nach der persönlichen Vorliebe vergeben wird. Laien widersprechen Fachleuten, als würden sie das Thema besser als die anerkannten wissenschaftlichen Experten verstehen, auch wenn sie ihren Abschluss nur an der Universität Google gemacht haben.
„Meine Erkenntnisse und meine Entdeckung sind Wissenschaft!“
Manche stellen einfach irgendwelche Behauptungen auf, die auf äußerst geringen physikalischen Kenntnissen beruhen, andere wiederum mit technisch-wissenschaftlichem Hintergrund geben sich dagegen richtig Mühe, um eine Theorie aufzustellen. Sie selbst halten ihre Ergebnisse für Wissenschaft.
Ich sehe das Problem zum Teil darin, dass im Netz alle Informationen nebeneinander stehen: geprüfte Fakten neben Verschwörungsmythen und Falschmeldungen usw. So gibt es die international aktive Gruppe der Flacherdler. Andere wiederum glauben, wir leben in einer Hohlwelt oder vertreten die Ansicht, alle Sterne wären von Schwarzen Löchern herausgeschleudert worden. Solche und andere pseudowissenschaftliche Mythen machen sich heutzutage mehr oder weniger penetrant in vielen Internetforen breit.
Auffallend ist, dass Verschwörungsmythen gegen Kritik gefeit sind. Ihr Prinzip ist recht einfach: Die klassischen Medien, Politiker, Wissenschaftler und wissenschaftliche Einrichtungen würden mit politischen und/oder wirtschaftlichen Mächten unter einer Decke stecken. Alle, die diesen folgen, wären naive Schafe. Wer dagegen zu den Erleuchteten gehören will, findet die „Wahrheit“ bei unabhängigen Quellen – was immer das bedeutet – und durch den Austausch mit gleichgesinnten in einschlägigen Foren im Internet. Das trifft besonders für gesellschaftspolitische Verschwörungsmythen zu.
Um die Problematik an einem konkreten Beispiel deutlich zu machen, werfen wir einen Blick auf einen Verschwörungsmythos, der nicht neu ist, aber in den letzten Jahren immer mehr Anhänger gewinnen konnte.
Die Erde ist eine Scheibe
Fans von Terry Pratchetts Scheibenweltromanen sind von den dortigen sonderbaren Verhältnisse fasziniert, wissen aber genau, dass es sich hierbei um eine reine Fiktion und eine besondere Form von Humor handelt. Aber selbst im 21. Jahrhundert gibt es Mitmenschen, für die unsere Erde ebenfalls eine Scheibe ist und die Kugelgestalt ablehnen. Man kann sich darüber lustig machen, aber die Zahl der Anhänger der Theorie der Flacherde nimmt sogar seit einigen Jahren zu.In den Vereinigten Staaten und anderen Ländern finden inzwischen sogar internationale Konferenzen der Flacherdler statt, an denen bis zu einigen hundert Personen teilnehmen.
Deshalb möchte ich daran die zugrundeliegenden Probleme mit solchen pseudowissenschaftlichen Vorstellungen darstellen.
Zum besseren Verständnis schauen wir uns einmal die Entwicklung unserer heutigen Vorstellung von der Gestalt der Erde an.
Schon im Altertum gab es überzeugende Beweise, dass die Erde eine Kugel ist. Dem griechischen Philosophen Aristoteles (384 – 323 v. Chr.) fiel auf, dass er neue Sternbilder sah, als er nach Ägypten reiste. Ein anderer griechischer Philosoph, Eratosthenes, berechnete im dritten vorchristlichen Jahrhundert den Umfang der Erde mit erstaunlicher Genauigkeit, indem er die Höhe der Sonne zur Mittagszeit in Alexandria und Assuan maß. Um das 9. Jahrhundert n. Chr. gelangen islamischen Gelehrten genauere Messungen, bevor europäische Seefahrer im 16. Jahrhundert um die Erde segelten. Heute haben wir tausende von Bildern der Erde, die aus dem Weltraum aufgenommen wurden und die Erde als Kugel zeigen.
Welche Beweise braucht es noch? Wie sind Flacherdler gestrickt, dass sie von der Kugelgestalt der Erde nicht überzeugt sind?
Die heutige Bewegung der Flacherdler geht wohl auf einen Artikel des englischen Erfinders und Schriftstellers Samuel Rowbotham (1816–1884) aus dem Jahre 1864 zurück. Nach seinen Vorstellungen ist die Erde eine flache, unbewegliche Scheibe, deren Zentrum am Nordpol liegt. Die Antarktis ist demnach eine Wand aus Eis, die die Scheibe umgibt und verhindert, dass die Ozeane leerlaufen.
Wie bei jeder esoterischen Bewegung gibt es unter den Flacherdlern verschiedene Gruppen, die unterschiedliche Modelle vertreten. Manche meinen, dass sich die flache Erde mit samt ihrer Atmosphäre wie in einer Schneekugel innerhalb einer Halbkugel befindet. Somit kann niemand über den Rand fallen. Tag und Nacht erklären die meisten Anhänger der Idee damit, dass sich die Sonne um den Nordpol bewegt und dabei die Oberfläche der Erde wie ein Scheinwerfer beleuchtet. In den Vereinigten Staaten glauben mache Anhänger, dass Sonne und Mond nur einen Durchmesser von 50 Kilometern besitzen und die scheibenförmige Erde in einer Höhe von 5.500 Kilometern umkreisen. Darüber befinden sich die Sterne an einem sich drehenden Dom. Die Schwerkraft erklären viele damit, dass die ganze Scheibe mit 9,8 m/s2 beschleunigt wird.
Als Physiker greife ich mir an Kopf und frage mich, wie intelligente Menschen heutzutage solche Vorstellungen vertreten können.
Asheley Landrum, eine Psychologin von der Texas Tech University in Lubbock, die 2018 an der Flat Earth International Conference in Denver teilnahm, meint, dass die Flacherdler authentisch sind und nicht herumalbern. „Falls sie trollen, sind sie sehr gute Schauspieler“, sagt sie. „Wir sprachen mit mehr als 90 Mitgliedern der Flach-Erde-Gemeinschaft, und sie sind alle sehr aufrichtig in ihren Überzeugungen“. Bei der Veranstaltung in Denver gab es u.a. Vorträge über „Mit ihrer Familie und ihren Freunden über die flache Erde sprechen“, „Lügen der NASA und andere Weltraumlügen“ und „14+ Wege, was die Bibel über die flache Erde sagt“.
Misstrauen gegenüber Autoritäten
Asheley Landrum führt das Verhalten der Anhänger von Verschwörungsmythen nicht auf mangelnde Bildung zurück. Zu diesem Schluss kam sie nach den Gesprächen mit Konferenzteilnehmern. Obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass Personen mit geringer wissenschaftlicher Vorbildung anfälliger für pseudowissenschaftliche Ideen sind, weist sie darauf hin, dass auch Flacherdler nicht notwendigerweise der Wissenschaft misstrauen. Ihrer Meinung nach hat das Phänomen nichts mit Erziehung zu tun, vielmehr geht es um Misstrauen gegenüber Autoritäten und Institutionen. „Es ist keine Frage der Bildung. Vielmehr geht es tatsächlich darum, Behörden und Institutionen zu misstrauen. Das scheint sowohl auf einer Verschwörungsmentalität als auch auf einem tiefen Glauben zu wurzeln, der sehr nach Religiosität aussieht, aber nicht unbedingt an eine spezifische Religion gebunden ist.“
Landrum sieht auch einen Zusammenhang, der mit einer Anfälligkeit an trügerische Behauptungen in sozialen Medien zusammenhängt. Sie meint, dass die Betroffenen die Fähigkeit verloren haben, zu beurteilen, wann sie Vertrauen haben und wann sie skeptisch sein sollten. Ihr mangelndes Vertrauen betrifft nicht nur Autoritäten und Wissenschaftler, sondern auch wissenschaftliche Einrichtungen wie die NASA, weil die ihrer Meinung nach alle Teil einer massiven Verschwörung sind, die verhindern soll, dass die Wahrheit über die flache Erde aufgedeckt wird. „[Sie] sehen die Welt durch diesen wirklich dunklen Filter, in dem [sie] davon ausgehen, dass alle Behörden, Institutionen und Unternehmen nur dazu da sind, [die Wahrheit] zu unterdrücken.“
Der Philosoph Lee McIntyre von der Boston University, der ebenfalls im Rahmen seiner Forschungsarbeit zur Wissenschaftsleugnung an der Konferenz in Denver teilnahm, ergänzt, dass die Flacherdler, mit denen er sich unterhielt, jeweils an mehrere verschiedene Verschwörungstheorien glaubten, darunter, dass Regierungen das Wetter kontrollieren und von Flugzeugen ausgehende Kondensstreifen in Wirklichkeit Chemtrails sind, mit denen chemischen oder biologischen Substanzen versprüht werden, um das Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen.
„Nur im Glauben, dass wir nicht auf dem Mond waren, sind sie sich einig“, sagt er. „Wenn man ihnen Beweise für die Kugelgestalt anbietet, wie die Ansicht der Erde vom Mond aus, erklären sie das für eine Fälschung“.
Tatsächlich sind viele Flacherdler nach Einschätzung von Beobachtern mehr an einer Verschwörungsidee als an der Bereitstellung eines brauchbaren Modells einer flachen Erde interessiert.
Seltsamerweise misstrauen Flacherdler Wissenschaftlern bzw. der Wissenschaft, sind aber nicht gegen wissenschaftliche Methoden. Landrum halt Anhänger pseudowissenschaftlicher Vorstellungen für durchaus bereit, Experimente zur Stützung ihrer Thesen durchzuführen, aber sie tun sich schwer, ihre Meinung zu ändern, sollte das Experiment fehlschlagen.
McIntyre berichtet von einer verstörenden Diskussion mit einem der Gastredner auf der 1. Internationalen Flacherdlehr-Konferenz im November 2018 in Denver, USA. Um zu prüfen, ob die Erde flach oder eine Kugel ist , vereinbarten er mit ihm, einen Flug von Santiago de Chile nach Auckland, Neuseeland, über die Antarktis durchzuführen. Auf einer Kugel ist diese Reise einige tausend Kilometer lang. Für Flacherdler existiert die Antarktis dagegen nicht als Kontinent, sondern bildet eine Mauer aus Eis, die sich über mehrere zehntausend Kilometer um den Rand der Erdscheibe zieht. Ist die Erde eine Kugel, kann ein Flugzeug die Strecke ohne nachzutanken bewältigen. Im Falle einer Scheibe würde das Flugzeug entlang ihres Randes fliegen. Da dieser Weg wesentlich länger ist (siehe Abbildung 1), muss die Maschine zwischenlanden und nachgetankt werden. Deshalb vereinbarten sie, dass die Erde eine Scheibe ist, falls dies geschehe, andernfalls muss etwas an der Theorie der Flacherde falsch sein. So weit, so gut.
Doch plötzlich hielt sein Gesprächspartner inne und fragte: „Was, wenn das Ganze ein Schwindel ist? Vielleicht müssen Flugzeuge nicht auftanken? Vielleicht können sie mit einer Tankfüllung überall auf der Erde hinkommen. Das könnte alles eine Falle sein.“ Auf die Gegenfrage, ob er damit sagen wolle, dass die gesamte Geschichte der Luftfahrt eine Täuschung sei, damit alle glauben, Flugzeuge müssen zwischendurch auftanken, obwohl sie es tatsächlich nicht müssen, dass all dies getan werde, damit alle den Glauben an die flache Erde aufgeben, bekam er ein schlichtes „Ja“ zur Antwort.
Für McIntyre ist dieses Erlebnis, die Ablehnung grundlegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, ein Hinweis auf eine gefährliche Entwicklung. Flacherdler verletzen niemanden direkt, aber durch die Verbreitung von Verwirrung und Zweifel schaffen sie – und andere Verschwörungsmythen – eine Kultur der Ablehnung. Diese kann indirekt Leben kosten, indem sie persönliche oder politische Entscheidungen wie z. B. zu Impfungen oder den Klimawandel beeinflusst.
Sein Fazit: letztendlich beruhen alle Ideen der Flacherdler auf Irrtümern und einem falschen Verständnis der Wissenschaft. „Einige der Flacherdler wissen genug über Physik, um mit dem Vokabular herumzuwerfen, aber sie verstehen eigentlich nicht genug Physik, um von der Wahrheit überzeugt zu werden.“
Nikk Effingham, ein Philosoph an der Universität von Birmingham in Großbritannien, der sich in London mit Flacherdlern getroffen hat, erläutert, dass wir oft nicht erkennen, wie sehr das Vertrauen in Autorität unsere Überzeugungen prägt. „Wenn wir versuchen, zu beweisen, dass so etwas wie die Erde rund ist, weil wir daran glauben und uns deshalb so sicher sind, unterschätzen wir die berechtigte Rolle der Autorität dabei“, sagt er. Die meisten Menschen akzeptieren daher gerne, dass die Welt ein Globus ist, auch wenn sie die wissenschaftlichen Beweise dazu nicht sofort wiedergeben können.
Klar ist auch, dass der Aufstieg des Flache-Erde-Glaubens vor allem durch das Internet und YouTube-Videos angeheizt wurde, wo viele Videos zu finden sind, die angeblich Beweise zeigen, dass die Erde flach ist. „Fast alle, mit denen wir gesprochen haben, sagten, dass sie mit der Idee der flachen Erde entweder direkt auf YouTube in Kontakt gekommen waren oder über ein Familienmitglied, das sie selbst auf YouTube fand”, erklärt Landrum. Flache-Erde-Videos präsentieren oft in rascher Folge zahlreiche Argumente, die Landrum als eine Illusion von Sprachgewandtheit bezeichnet.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Leugnen von bekannten Experimenten, wie dem Foucaultschen Pendel, das in vielen Museen aufgehängt ist und die Drehung der Erde zeigen soll. Aufgrund der Erhaltung des Drehimpulses bleibt nach den Gesetzen der Physik die Richtung der Schwingungsebene des Pendels konstant, während sich die Erde darunter dreht. Erstmalig wurde solch eine Vorrichtung von Léon Foucault im Jahr 1851 im Pariser Pantheon aufgehängt. Flacherdler halten dagegen, dass die Museen stattdessen das Pendel durch Elektromagnete zum Drehen bringen, um den Besuchern die Erdrotation vorzugaukeln.
Nun ist das Foucaultsche Pendel nicht das einzige physikalische Phänomen, das auf der Erddrehung beruht. Auch die Strömungsrichtungen von Hoch- und Tiefdruckgebieten sind davon abhängig. Durch die Coriolis-Kraft wird die Bewegung der Luftmassen senkrecht zu ihrer eigentlich Strömungsrichtung abgelenkt. Dadurch rotieren Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn, auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn. Dasselbe gilt auch für Meeresströmungen.
Aber offensichtlich fehlt es den Flacherdlern und anderen an der Bereitschaft oder der Fähigkeit, Gegebenheiten kritisch und tiefgründiger zu hinterfragen. Einer der „Beweise“ dafür, dass die Erde eine Scheibe ist, beruht auf Fotos, auf denen z. B. die Skyline weit entfernter Städte zu sehen ist, obwohl sie sich aufgrund der Entfernung unterhalb des Horizonts befinden sollte. Tatsächlich handelt es sich hier um eine Lichtbrechung, eine Fata Morgana. Normalerweise nimmt die Temperatur der Luft mit der Höhe ab. Aber gelegentlich kommt es zu Inversionswetterlagen, bei denen die höheren Luftschichten wärmer sind als die am Boden. Dies geschieht vor allem über großen Wasserflächen. Das führt dann dazu, dass Lichtstrahlen, die von Gebäuden nach oben ausgehen, wieder nach unten gebrochen werden und weit entfernte Objekte bei klarer Luft somit in großer Entfernung sichtbar sind.
Wie McIntyre erkannte, sind Wissenschaftsleugner wie die Flacherdler ziemlich unkritisch gegenüber Erklärungen, die zu ihren Vorstellungen passen. Falls sie mit gegenteiligen Ansichten konfrontiert werden, versuchen sie alle möglichen Gegenargumente zu bringen, die beweisen sollen, dass sie doch recht haben, wobei manche bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
So plante der US-Amerikaner Mike Hughes, bekannt geworden als „Mad Mike” oder „Rocketman” im Jahr 2017 in einer selbstgebauten Rakete von der Mojave Wüste zu starten, um zu beweisen, dass die Erde flach ist. Gegenüber Associated Press erklärte zuvor in einem Interview seine Beweggründe: „Ich glaube nicht an die Wissenschaft. Ich weiß über Aerodynamik und Fluiddynamik Bescheid und darüber, wie sich Dinge durch die Luft bewegen, über Größe von Raketendüsen und den Schub. Aber das ist keine Wissenschaft, das ist nur eine Formel“. Nach einer Reihe von Problemen und Widerständen führte er am 22. Februar 2020 sein Experiment durch, leider mit tödlichem Ausgang.
Wahrheit – was ist das?
Vorweg muss ich darauf hinweisen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Wissenschaft trotz aller kursierenden Verschwörungsmythen recht hoch ist. Im April und Mai 2020 befragte Wissenschaft im Dialog rund 1000 Bürger. Danach gaben 66 Prozent an, Wissenschaft und Forschung zu vertrauen. Der Frage, ob politische Entscheidungen im Umgang mit Corona auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten, stimmten sogar 73 % zu. Warum also gelingt es Verschwörungsmythen sich in Teilen der Bevölkerung einzunisten?
Es wäre schön, wenn es dazu eine einfache Antwort gäbe, aber das ist wohl leider nicht der Fall. Vielmehr sind hierbei offenbar unterschiedliche Gründe und Mechanismen am Wirken, wie zahlreiche Untersuchungen zeigen.
Wie Thiem und Mandwurf zeigen, enthalten die glaubhaftesten Verschwörungsmythen kleine Teile der Wahrheit, um die eine Erklärung gebaut wird. Doch was ist Wahrheit? Hier kommen wir in ein Dilemma, denn wenn es um wissenschaftliche Erkenntnisse geht, halte ich den Begriff der Wahrheit für falsch, zumindest für irreführend.
In der Wissenschaft geht es nicht um Wahrheit, sondern darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die Beobachtungen besser erklären können als zuvor.
Theorien sind nur begrenzt gültig
Um Forschungsergebnisse abzusichern, gibt es deshalb einen Mechanismus zur Selbstkorrektur, bei dem die experimentellen oder theoretischen Ergebnisse anderer geprüft und nachvollzogen werden. Sollten sich hier Abweichungen oder Fehler zeigen, muss weiter geforscht werden. Eine neue Theorie gilt bestenfalls als vorläufig mit Einschränkungen. Theorien werden permanent überprüft, bis man auf etwas stößt, dass ihnen widerspricht. Solange ein Modell bestätigt wird, bedeutet das nur, dass es im Rahmen des jeweiligen Experiments gültig ist.
Bestenfalls kann man zeigen, dass Theorien und Denkmodelle unter gewissen Umständen nicht mehr zutreffen, d. h. man kann sie nur falsifizieren. Sie gelten somit nur solange, wie sie nicht im Widerspruch zu den Ergebnissen und Beobachtungen anderer Experimente stehen. Andernfalls wird die betreffende Theorie überarbeitet, erweitert oder durch eine neue, bessere ersetzt. Aber wir werden nie zu DER unumstößlichen Wahrheit gelangen!
Verschwörungstheorien dagegen verstehen sich als DIE WAHRHEIT und wollen nicht falsifiziert werden!
So gesehen haben Anhänger von Verschwörungsmythen den wissenschaftlichen Prozess nicht verstanden, sei es aufgrund fehlender Kenntnisse, psychologischer Blockaden oder willentlich.
Eine Rechtfertigungslinie von Anhängern und Verfechtern von Verschwörungsmythen verweist darauf, dass die Wissenschaft sich oft geirrt hat. Wenn Erkenntnisse aufgrund neuer Daten von Forschern revidiert oder angepasst werden müssen, interpretieren sie dies als Schwäche und Fehler oder schlimmer als bewusste Falschinformation durch die Eliten, um die Bevölkerung zu manipulieren. Dieses Taktik nutzt dabei den Wunsch nach Einfachheit und Eindeutigkeit aus, um sich in einer komplexer werdenden Umwelt orientieren und behaupten zu können.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie ist dafür ein aktuelles Beispiel (Stand: Herbst 2020). Anfangs war die Datenlage schwach. Aber im Laufe der Zeit fanden Forscher immer mehr über das Virus heraus, wodurch sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Empfehlungen mehrfach änderten. Da sich die verschiedenen Forschergruppen mit unterschiedlichen Aspekten der Erkrankung und ihren
Auswirkungen befassten, kamen sie zu unterschiedlichen Aussagen. Das ist eine ganz normale Erscheinung im wissenschaftlichen Prozess. Doch nähern sich mit zunehmendem Wissensstand die Meinungen immer weiter an. Die Entwicklung ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Bis zu einem allgemein akzeptierten
Wissensstand über die Corona-Erkrankung und ihren Folgen braucht es einfach Zeit.
Angriffslinien
Wenn der Wissensstand mit der Zeit anwächst, stellt sich die Frage, warum tauchen bei unklarem Kenntnisstand schon allerlei Verschwörungsmythen auf und welchen Nutzen haben ihre Vertreter davon? Noch schärfer stellt sich das Problem bei pseudowissenschaftlichen Thesen zu seit Jahrhunderten oder Jahrzehnten alten akzeptierten Forschungsergebnissen.
Nun, da die Vertreter von Verschwörungsmythen nach eigenem Verständnis im Besitz der unumstößlichen Wahrheit sind, fördern sie autoritäre Weltsichten. Durch den Aufbau von vermeintlichen Bedrohungen lassen sie sich als Machtmittel einsetzten. Normalerweise wird als Wahrheit anerkannt, was sich nach einer möglichst breit angelegten Diskussion ergibt. Doch da Verschwörungsgläubige schon im Besitz der Wahrheit sind, sind sie oft zu einer kritischen Auseinandersetzung nicht bereit.
Weit verbreitet ist die Art und Weise, zur eigenen Meinung passende, aber wissenschaftlich schlecht gemachte Studien immer wieder hervorzuheben. Funktioniert das irgendwann nicht mehr, wird die Zielrichtung der Argumentation geändert und neue Theorien und Hypothesen verbreitet.
Beliebte Argumente für pseudowissenschaftliche Thesen sind Verweise auf berühmte Wissenschaftler, die einst angefeindet wurden, wie Galileo Galilei, Kopernikus und andere. Die Idee dahinter ist einfach und schlicht: Die „gegenwärtig Verblendeten“, die an die hergebrachte Wissenschaft Glaubenden, werden sich doch noch den neuartigen Erkenntnissen anschließen.
Wird es schwierig, gehen Vertreter von Verschwörungsmythen in den Angriffsmodus über.
In den einschlägigen Foren werden Gegenmeinungen unterdrückt, Kritiker mundtot gemacht oder angegriffen bis hin zur Androhung juristischer Mittel oder Drohungen.
Wissenschaft wird angegriffen, verunglimpft oder als korrupt und somit unglaubwürdig dargestellt.
Das geht so weit, dass auch das politische System ins Visier der Wissenschaftsleugner gerät. Einerseits erwartet die Bevölkerung, dass die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse aufgreift und entsprechend zum Wohle aller handelt. Aber je einflussreicher Wissenschaftler werden, desto mehr leidet die Legitimierung der politischen Führung. Das nutzen die Protagonisten der Verschwörungsmythen für ihre Zwecke aus. Ändern Wissenschaftler ihre Empfehlungen aufgrund neuer Erkenntnisse, wird dies ausgenutzt, um sowohl das Vertrauen in die Politik und die Wissenschaft zu schwächen. Zusätzlich sind Wissenschaftler, die als Experten in gewissen Situationen auftreten, für Mythenanhänger nicht demokratisch legitimiert.
Ein weiterer Ansatzpunkt für die Verbreitung von Verschwörungsmythen bietet die scheinbare Schwerfälligkeit und Trägheit der Politik, obwohl dies eigentlich normal ist.
Denn politische Entscheidungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren benötigen Zeit, um die Daten zu prüfen und zu bewerten. Danach gilt es, die daraus abgeleiteten Maßnahmen ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen und ebenfalls zu bewerten. Hinzu kommen Verzögerungen, weil verschiedene politische Institutionen, wie das Parlament, ebenfalls am Entscheidungsprozess beteiligt werden müssen.
Anderseits gibt es politische Strömungen und Regierungen, die selbst Verschwörungsmythen verbreiten bzw. ihnen Vorschub leisten, wie die Trump-Regierung in den USA, die den Klimawandel leugnete und bewusst die Bevölkerung über die Corona-Pandemie belogen hat bzw. die Gefährlichkeit des Virus trotz rasant steigender Infektionszahlen verharmloste. Aber US-Präsident Trump war nicht der einzige, der Verschwörungsmythen und antidemokratischen Strömungen Vorschub leistete. Weltweit argumentieren Populisten wie der türkische Präsident Erdogan, Viktor Orban in Ungarn, Wladimir Putin in Russland und andere ähnlich: Gegen DIE ANDEREN – Parteien, Medien, Regierungen und Richter – hilft nur die starke Hand eines starken Führers, der es besser weiß als wissenschaftlichen Experten.
Alle Verschwörungsmythen haben aber eines gemeinsam. Um sich zu schützen, werden nahezu allmächtige Feinde aufgebaut, in dem sie behaupten, es gäbe Aktionen von mächtigen Gruppen und Personen, die vor der Öffentlichkeit verborgen agieren. Deren Pläne und Handlungen wären äußerst komplex, weil dabei viele Akteure zusammenarbeiten würden. Deshalb ist es auch nur wenigen möglich, diese Verschwörungen aufzudecken. Versuche zu beweisen, dass Verschwörungsmythen schlicht falsch sind, sie zu falsifizieren, sind daher sehr schwierig, da ihre Protagonisten behaupten, die geheimen Verschwörer würden sich tarnen und Falschinformationen verbreiten, um ihre Aktionen zu verbergen. Vielfach wird der Spieß einfach umgedreht, in dem denjenigen, die aufklären wollen, vorgeworfen wird, selbst Teil des Komplotts zu sein.
Es ist leicht, an Informationen zu kommen, aber das macht Probleme
Schaut man sich die Geschichte der Verschwörungsmythen an, fällt auf, dass sie besonders nach einer medialen Revolution oder in Krisenzeiten stark Beachtung fanden, worauf der Religionswissenschaftler Michael Blume in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen hinweist.
So war es nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts wesentlich einfacher, Information zu verbreiten als zuvor. Davon profitierte ein besonders übler Mythos – der Hexenwahn. 1486 veröffentlichte der Dominikaner Heinrich Kramer sein Buch Malleus maleficarum, der Hexenhammer, das bis ins 17. Jahrhundert in 29 Auflagen erschien. Oft spricht man in diesem Zusammenhang vom Finsteren Mittelalter, aber tatsächlich fand der Höhepunkt der Hexenverfolgung zum Beginn der Frühen Neuzeit statt, als eine Vielzahl von Kriegen, Seuchen und die Kleine Eiszeit Not und Elend über große Teile der europäischen Bevölkerung brachten. Historiker schätzen, dass im Laufe der Hexenverfolgung etwa drei Millionen Menschen der Prozess gemacht wurde und etwa 40.000 bis 60.000 der Beschuldigten hingerichtet wurden.
Mit der Erfindung des Internets kam es zur jüngsten medialen Revolution. Dadurch ist es für jeden noch leichter geworden, seine wie auch immer geartete Meinung zu verbreiten. In diesem Zusammenhang weist der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger ebenfalls in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen auf mehrere Aspekte hin, die für die Wechselwirkung Mensch – Internet bedeutsam sind.
In Krisenzeiten suchen Menschen besonders intensiv nach Informationen und das Internet macht es Verführern leicht, sich als seröse Quelle auszugeben. Leider hilft der Ratschlag, bei Informationen im Netz vorsichtig zu sein, nicht wirklich weiter, denn um geschickt gemachten Lügen und Desinformationen als solche zu erkennen, muss man sich meist einige Zeit in die Thematik einarbeiten.
Doch stoßen wir hier auf ein weiteres Problem. Selbst wenn die online angebotene Information korrekt und ausgewogen ist, gibt es keine Garantie, dass der Leser sie auch richtig versteht. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien müssen quasi für die breite Öffentlichkeit übersetzt werden. Hier kommen Wissenschaftsjournalisten ins Spiel, die mit ihrem fachspezifischen Hintergrundwissen die Sprache der Wissenschaft für die Allgemeinbevölkerung verständlich machen. Dabei kommt man aber nicht um vereinfachende Darstellungen herum, die wieder in die Irre führen können.
Erschwerend kommt ein psychologischer Aspekt hinzu. Wir Menschen bevorzugen lieber Informationen, die zu unserem Weltbild, zu unserer Meinung passen. Das führt dazu, dass etwas, was man eigentlich nicht richtig versteht, so interpretiert wird, dass es zur eigenen Vorstellung passt. In extremen Fällen werden Informationen zur gezielten Richtigstellung falscher Meinungen und Mythen als Bedrohung empfunden und führen zur kompletten Verweigerung der Fakten. Beobachtet wurde dies bei Impfgegnern, vor allem bei denen, die Impfungen überaus vehement ablehnen.
Besonders Online-Foren und Online-Diskussionen verstärken die eigene Vorstellung, weil man hier in der Regel mit anderen Gleichgesinnten unter sich bleibt. Kollidieren unterschiedliche Meinungen dann doch einmal miteinander, kommt es nur selten zu einer echten Diskussion. Stattdessen wir oft beleidigt, beschimpft und im Extremfall gedroht, wie im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besonders deutlich zu beobachten ist. Sogenannte Trolle ziehen mit ihren destruktiven Einwürfen mehr Aufmerksamkeit auf sich, als Nutzer, die sich bemühen, sachlich mit dem Thema umzugehen.
Mancher verliert sich dabei so sehr in seiner Blase, dass er die Realität außerhalb davon nicht mehr wahrnimmt und für Gegenargumente kaum noch erreichbar ist. Zusätzlich neigen diese Menschen eher dazu, ihre Meinung öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Das führt zu einer sich selbst verstärkenden Spirale, in der sie immer selbstbewusster und lauter auftreten. Andere mit einer selbstkritischeren Einstellung verstummen dagegen langsam und treten damit immer weniger in der öffentlichen Wahrnehmung in Erscheinung. Das führt schließlich zu einer starken Verzerrung der tatsächlichen Verteilung der verschiednen Meinungen im Netz und der Bevölkerung. Entgegen dem Anschein der vielen Hassbeiträge und Schmähungen im Netz stammen Drohungen und Schmähungen nur von einem kleinen Teil der Nutzer, während die große Mehrheit sich nur selten zu Wort meldet.
Die Macht der Algorithmen
Das Internet ermöglicht jedem, der es will, sich an den unterschiedlichsten Aktivitäten zu beteiligen. Insbesondere bieten die sogenannten Sozialen Medien viele Hilfestellungen, um Interessengemeinschaften zu gründen und zu pflegen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dort auch viele Gruppen zu finden sind, die Verschwörungsmythen fördern. Die Betreiber der Sozialen Netzwerke befeuern mit ausgeklügelten Algorithmen zusätzlich die Vorlieben und Interessen ihrer Nutzer. Allerdings werden damit Informationen derart stark gefiltert oder zumindest bestimmte Denkweisen bevorzugt, sodass die Nutzer immer stärker gebunden werden. Das birgt somit die Gefahr sozialer Blasen, in denen sich pseudowissenschaftliche Vorstellungen immer weiter ausbreiten und selbst verstärken.
Ähnlich arbeiten die Algorithmen von Verkaufsplattformen wie Amazon. Wer hier nach Literatur zum Thema Verschwörungstheorien sucht, bekommt schnell Titel vorgeschlagen, die eigentlich nur Desinformationen verbreiten, wie Sebastian Meineck und Daniel Laufer aufzeigen. Obwohl sich die Liste der bei Amazon vorgeschlagenen Titel zum Thema Corona öfters ändert, sind darin dennoch viele Titel enthalten, die Verschwörungsmythen nahe stehen oder sie befürworten.
Auch YouTube bietet viel Material für alle möglichen Verschwörungsmythen. Entscheidend für den Erfolg solcher Videos waren auch hier Algorithmen, um Zuschauern anderer verschwörungsbezogener Interessen darauf aufmerksam zu machen. „Die Algorithmen erleichtern die Akzeptanz von Verschwörungen und das Gefühl eines Konsenses innerhalb Ihrer Gemeinschaft“, erklärt Landrum. „Flacherde ist nur ein weiteres Beispiel dafür.“ 2019 erkannte YouTube das Problem an und erklärte sich bereit, seinen Algorithmus zu optimieren, um die Anzahl seiner Empfehlungen für Verschwörungstheorie-Videos zu reduzieren. Dennoch sollen die Ergebnisse, die den Nutzern der Sozialen Medien angezeigt werden, möglichst viel Aufmerksamkeit erreichen. Das führt u.U. dazu, dass bestimmte wissenschaftliche Inhalte Anhängern von Verschwörungsmythen nicht mehr vorgeschlagen werden. Stattdessen berichten z. B. in zum Teil sehr gut aufgemachten Videos angebliche Insider, wie ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, über geheime Internas verschwörerischer, bösartiger Aktivitäten von Eliten und Institutionen. So habe schon vor gut 100 Jahren eine Gruppe hochintelligenter und mächtiger Männer durch die Gründung der amerikanischen Notenbank dafür gesorgt, Supermächte in politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu halten. Inzwischen versuchen deren Nachfolger das Bargeld abzuschaffen, indem sie der Bevölkerung einen Chip unter der Haut einsetzen wollen. Letztlich soll ein perfekter Überwachungsstaat aufgebaut werden. Dazu passt die Vorstellung, dass die Einführung des 5G-Netzes nur ein weiterer Baustein in der geplanten totalen Überwachung bedeutet, bei der Personen über den eingesetzten Chip manipuliert werden.
Was zeichnet Anhänger von Verschwörungsmythen aus
Alle Verschwörungsmythen behaupten, ihren Anhängern die Welt zu erklären. Aber was sagt, das über ihre Anhänger aus?
Zahlreiche psychologische Untersuchungen legen nahe, dass Verschwörungsmythen dort ansetzen, wo Personen mit Unsicherheiten und Widersprüchen konfrontiert sind. Sie liefern ihnen scheinbar konsistente Erklärungen, die sich mit ihren Überzeugungen decken. Das funktioniert aber nur, wenn die Fähigkeit zum analytischem Denken herabgesetzt ist, gepaart mit einem Misstrauen gegenüber Institutionen.
Verschwörungsmythen bieten vermeintliche Hilfe für die, die sich bedroht fühlen. Sie werden von ihren Anhängern als eine Form der Betrugsentlarvung gesehen, bei der gefährliche und verbrecherische Personen erkannt und die von ihnen ausgehende Bedrohung verringert oder unschädlich gemacht wird. Sie versprechen, das Leben für Menschen sicherer zu machen.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich Menschen wahrscheinlich eher Verschwörungstheorien zuwenden, wenn sie ängstlich sind und sich machtlos fühlen. Andere Forschungen weisen darauf hin, dass der Glaube an Verschwörungsmythen stark mit mangelnder soziopolitischer Kontrolle oder geringem Selbstbewusstsein zusammenhängt. In Experimenten zeigte sich, dass die Neigung zu Verschwörungsmythen stärker war, wenn die Teilnehmer das Gefühl hatten, zu wenig Kontrolle über die Vorgänge zu haben. Im Gegensatz dazu nahm die Neigung ab, wenn sie den Eindruck hatten, die Situation besser beherrschen zu können.
Leider deuten die bisher durchgeführten Untersuchungen auch darauf hin, dass der Verschwörungsglaube zu gegenteiligen Reaktionen führt, wenn die Teilnehmer an den Versuchen zu Verschwörungsmythen das Gefühl haben, ihre Autonomie und Kontrolle zu verlieren. Dieselben Studien haben auch gezeigt, dass Menschen dadurch weniger geneigt sind, Maßnahmen zu ergreifen, die auf lange Sicht ihre Eigenständigkeit und Kontrolle stärken könnten. Darüber hinaus kann die Konfrontation mit Verschwörungstheorien die Autonomie der Menschen auf andere Weise subtil untergraben. Es zeigte sich, dass überzeugte Anhänger von Verschwörungsmythen sich nicht bewusst waren, dass sie manipuliert wurden und fälschlicherweise daran glaubten, dass ihre Überzeugungen schon vor der Enthüllung mit ihren neuen identisch waren. Da Verschwörungstheorien nahe legen, dass wichtige Entscheidungen in den Händen böswilliger Kräfte liegen, die Befugnisse jenseits gesetzlicher Grenzen besitzen und ausüben, wäre es nicht verwunderlich, wenn weitere Untersuchungen darauf hindeuten, dass ihre Wirkung oft entmachtend ist.
Kausale Erklärungen, Verschwörungserklärungen eingeschlossen, werden auch von verschiedenen sozialen Motivationen geprägt, darunter dem Wunsch, dazuzugehören und ein positives Selbst- und Gruppenbild aufrechtzuerhalten. Wissenschaftler vermuten, dass Verschwörungsmythen das Selbstwertgefühl und die Gruppe aufwerten, indem sie die Schuld für negative Erlebnisse anderen zuschreiben. So kann das Bild, dass man selbst oder die Gruppe kompetent und moralisch sei, aufrechterhalten werden, während es gleichzeitig von mächtigen und skrupellosen Gruppen und Personen sabotiert wird.
Doch man muss bei der Interpretation der Forschungsergebnisse vorsichtig sein, da sie oft mit Gruppen und Personen durchgeführt wurden, die eigentlich nicht die typischen Anhänger von Verschwörungsmythen repräsentieren, die besonders benachteiligt oder bedroht sind.
Trotz der vielfältigen, wenn auch unvollständigen Erkenntnisse aus der psychologischen und gesellschaftspolitischen Forschung muss man sich fragen, wie man das Problem lösen kann. Wie die Corona-Pandemie zeigt, ist die Wirkung von Verschwörungsmythen ungebrochen und sie haben Hochkonjunktur.
Handlungsmöglichkeiten
Die Aufgabe, Verschwörungsmythen den Boden unter den Füßen zu entziehen, ist schwer, weil die unterschiedlichen Zielgruppen sich in ihren Interessen, Kenntnissen, Medienverhalten und ihrer Medienkompetenz unterscheiden. Deshalb müssen wohl mehrere, für die jeweilige Zielgruppe passende Angebote erstellt werden.
Schweiger weist darauf hin, dass Kommunikation nur gelingt, wenn gegenseitiges Vertrauen herrscht. Das ist leichter, wenn sich die Diskussionspartner persönlich kennen. Schwieriger ist es im Netz oder in anderen Medien, weil diese Voraussetzung hier nicht vorliegt. In den Sozialen Medien verwenden die meisten Teilnehmer nur Synonyme, um unerkannt zu bleiben. Manche vergessen deshalb in der Anonymität des Internets nur allzu gerne ihre gute Kinderstube.
Vieles deutet darauf hin, dass man die Tatsache akzeptieren muss, dass es eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die sich jeglichen Sachargumenten verschließt. Wie Dokumetarfilmer Dirk Steffens in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen halte ich es für reine Zeitverschwendung, diese mit Sachargumenten zu einer anderen Ansicht zu bringen!
Doch es gibt auch Licht am Ende des Tunnels. So zeigen Untersuchungen, dass Anleitungen zu analytischem Denken die Akzeptanz von Verschwörungsmythen deutlich senken können.
Wenn die Bereitschaft zu Verschwörungstheorien mit extremen politischen Ansichten verbunden ist, führt die Aufforderung, anhand konkreter Beispiele die Wirkungsweise politischer Maßnahmen zu erklären, dazu, dass das Vertrauen der Studienteilnehmer in ihre Vorstellungen abnahm. Ob dies auch für Verschwörungsmythen im Bereich der Wissenschaften funktioniert, ist mangels wissenschaftlicher Untersuchungen unklar.
Wie dem auch sei, vielleicht kommt man weiter, wenn man die andere Seite zu Wort kommen lässt, insbesondere jemanden, der selbst Anhänger von Verschwörungsmythen war, sich aber wieder davon befreite. Eine solche Person ist Alexander Eydlin, der über seine Erfahrungen in einem Artikel der Wochenzeitung Zeit berichtete.
Kernpunkt seiner ganz persönlichen Analyse ist: „Ich will glauben“.
Wohlgemerkt, nicht „Ich glaube“, sondern er wollte einfach glauben! Das war für ihn nichts politisches, sondern etwas poetisches, das mit Gefühlen einherging.
Alexander Eydlin versprachen Verschwörungsmythen festen Grund und ein Wertesystem in einem Umfeld mit vielen Unbekannten und Widersprüchen. Verschwörungstheorien waren für ihn verlässliche Erklärungsmodelle, die ein als Bedrohung empfundenes Umfeld zu einem von etwas Verstecktem zu nun Erkanntem umdeuteten.
Dabei ging es nicht immer darum, die Komplexität der Welt zu verringern und bequeme Erklärungen zu liefern. Auch Verschwörungsmythen können sehr komplex sein. Hier zeigt sich für Eydlin der unbedingte Wille zum Glauben, das Unwahrscheinliche und Mystische zu akzeptieren. Verschwörungsanhänger nehmen Widersprüche in Kauf. Wie ist es sonst zu verstehen, dass manche einerseits die Mondlandung ablehnen, aber andererseits glauben, geheime Eliten wären im Besitz von Raumfahrttechnologien Außerirdischer. Oder das Corona-Virus sei einerseits ein harmloser Krankheitserreger, aber gleichzeitig soll damit die Zwangsimpfung durchgesetzt werden, um allen den Chip unter der Haut einzupflanzen oder die Weltbevölkerung zu dezimieren.
Aber der Glaube ist nicht das eigentliche Problem, betont Eydlin in seinem Beitrag. Vielmehr ist es die Intensität, mit der die Glaubenden vorgeben, mehr als alle anderen zu wissen. Deshalb habe ihm auch keine der üblichen Strategien wie pointiertes Hinterfragen, entlarven falscher Quellen oder das Aufzeigen von Widersprüchen geholfen. Er findet diese Vorgehensweisen nicht falsch, aber nur begrenzt wirksam, weil Verschwörungsmythen sehr identitätsstiftend sind. Dagegen richten nüchterne Fakten wenig aus.
So hilft auch keine Konfrontationsstrategie. Weil Anhänger von Verschwörungsmythen gut darin sind, ihre Zweifel zu unterdrücken, um Widersprüche zu akzeptieren, schaffen sie das auch mit den Zweifeln anderer.
Vielmehr helfen wahrscheinlich nur Demut und Geduld. Wer das kritische Denken eines Verschwörungsgläubigen stärken möchte, muss erst einmal zuhören. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen der erwähnten psychologischen Studien. Wenn man den Betroffenen die Möglichkeit bietet, ihre „Erkenntnisse“ zu erläutern und dabei ehrlich interessiert zuhört, öffnet dies bei dem Erzähler die Möglichkeit, die eigenen Widersprüche zu erkennen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht im Erziehen, bei dem Verschwörungstheoretiker schnell eine Agenda und somit einen Angriff wittern, sondern im Vermitteln des Willens, sein Gegenüber verstehen zu wollen. Der Respekt zur Person ist eine wichtige Grundlage, Verschwörungstheoretikern einen neuen Sinn jenseits ihrer bisherigen Vorstellungen zu geben, weil er Vertrauen schafft.
Welche Schlussfolgerungen kann man daraus schließen? Persönlich halte ich den Beitrag in der Zeit für ehrlich und glaubhaft. Andererseits schließe ich daraus, dass es wesentlich schwieriger ist, gegen Verschwörungsmythen anzugehen, als ich bisher annahm.
Vielleicht gibt es nur wenige Möglichkeiten. Zum einen verschwinden als Bedrohungen empfunden Situationen wie die Corona-Pandemie wieder, wodurch die allgemeine Bedrohung geringer wird oder „Aussteiger“ aus der Szene engagieren sich stärker in der öffentlichen Debatte.
Aber auch Wissenschaftler und Medien sind gefordert, Unsicherheiten und falschen Vorstellungen in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Das geht nur durch Transparenz in der Forschung und den daraus folgenden Entscheidungen. Doch die Anforderungen sind hoch, wenn nicht sehr hoch.
Theorien können nur falsifiziert werden
Wissenschaftler müssen gerade in Krisenzeiten ihr ganzes Wissen und Können zur Bekämpfung der Bedrohung einsetzen, gleichzeitig sollen sie aber auch die Ergebnisse ihrer Forschungen verständlich und nachvollziehbar kommunizieren. Dazu müssen sie eine gute Medienkompetenz entwickeln, um glaubwürdig zu erscheinen. Besonders schwierig wird ihre Situation dann, wenn sie frühere Aussagen widerrufen müssen. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, wie wichtig es ist, der Öffentlichkeit die Arbeitsweise der Wissenschaft zu verdeutlichen. Es geht nicht um DIE WAHRHEIT. Jede wissenschaftliche Erkenntnis beinhaltet gewisse Unsicherheiten. In der Wissenschaft gilt nur der zurzeit beste Wissensstand. Also gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass neue Daten zur Korrektur oder zum Widerruf früherer Aussagen führen. Deshalb ist zweifeln kein Fehler, sondern Methode. Solange nicht gezeigt werden kann, dass eine Theorie falsch ist – sie falsifiziert wird, solange gilt sie als richtig!
Die Medien müssen dies bei der Kommunikation des wissenschaftlichen Prozesses und der Präsentation der Ergebnisse immer wieder hervorheben. Zum einen müssen sie der Öffentlichkeit erklären, wie Wissenschaft funktioniert und zum anderen Hintergrundinformationen zur jeweiligen Thematik verständlich aufbereiten. Das ist durchaus eine heikle Gratwanderung. Zu gerne verschieben leitende Redakteure oder Programmverantwortlichen solche Beiträge auf die hinteren Seiten ihrer Blätter oder auf späte Sendeplätze, weil die vermeintliche Zielgruppe zu klein sei.
Wie Wissenschaftler müssen auch Journalisten bereit sein, Fehler einzugestehen, wenn neue Fakten es erfordern. Wenn es wohl begründet wird, fördert dies das Vertrauen in der Öffentlichkeit.
In meinen Augen verbreitet sich heute im Netz und den Medien sehr stark das Phänomen des Relativismus, bei dem es keine objektiven Fakten gibt, sondern nur viele Meinungen und Wege der Erkenntnis. Hierfür ist das Internet besonders anfällig. Sehr schnell wird der Vorwurf der Zensur erhoben, wenn besonders abwegige Verschwörungsmythen von Online-Plattformen gelöscht werden, denn immerhin haben wir – glücklicherweise – die grundgesetzlich garantierte freie Meinungsäußerung. Somit darf jeder veröffentlichen, was er möchte, solange dabei keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen wird.
Allerdings hält der Dokumentarfilmer Dirk Steffens es für einen journalistischen Kernfehler, man müsse das gesamte Spektrum an Meinungen abbilden und auch abseitigen Ansichten eine Plattform bieten. Hier sind Wissenschaftsjournalisten besonders gefordert, zu entscheiden, wo andere Ansichten noch wissenschaftlich fundiert sind oder blanker Unsinn beginnt. Es gibt für die Medien keinerlei Verpflichtung, über offensichtlichen Blödsinn zu berichten. Der wird erst interessant, wenn es eine breite Strömung in der Bevölkerung mit negativen Einflüssen auf die Gesellschaft gibt.
Ganz wichtig in Zeiten allgemeiner Unsicherheiten und Bedrohungen sind Faktenchecks, um gezielte Falschmeldungen zu entlarven, wie sie das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV zu verschieden Themen eingerichtet hat.
Aber zu viele Informationen in kurzer Zeit schreckt die Zielgruppe vermutlich auf Dauer mehr ab, als sie weiter zu fesseln, weil sich nach und nach Ermüdungseffekte bemerkbar machen werden. Den richtigen Weg zu finden, damit die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in wissenschaftliche Ergebnisse erhält, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Medien bewältigen müssen.
Wahrscheinlich gibt es kein Patentrezept, dieses Dilemma zu lösen. Das fängt schon damit an, dass die Leser, Zuhörer eines Podcasts oder die Zuschauer sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, um einem Thema ihren wissenschaftlichen Vorkenntnissen entsprechend zu folgen. Vermutlich bedarf es dazu eines längeren Lernprozesses auf allen Seiten.
Dieser sollte schon in der Schule beginnen. Mündige Bürger benötigen heute bei der Fülle auf sie einprasselnder Informationen Daten- und Medienkompetenz, um sich in der Flut der Nachrichten zurechtzufinden und die Spreu vom Weizen zu trennen. Allzu oft werden viele Informationen konsumiert, ohne dass dafür ein Verständnis entwickelt wird. Auch die Vermittlung eines grundlegendes Verständnis über Statistiken und deren Interpretation sollte schon an den allgemeinbildenden Schulen Teil des Unterrichts sein. Erst dann können Informationen kritisch hinterfragt werden – Stichwort kritisches Denken – und Verschwörungsmythen und Falschinformationen leichter als das erkannt werden, was sie sind: Unsinn oder schlimmsten Falls lebensbedrohlich. Deshalb sollte die Schulausbildung und ein effektives, gut ausgestattetes Schulsystem viel stärker in den Fokus von Politik und Gesellschaft rücken, als es bisher geschieht.
Ein weiteres Aufgabenfeld für die Schulen bietet der naturwissenschaftliche Unterricht. Wie Florian Freistetter in seinem Blog hervorhebt, können Schüler und Schülerinnen durch Experimente selbst herausfinden, ob das was sie glauben, richtig ist oder nicht.
Für die Teilhabe von Laien an dem wissenschaftlichen Prozess gibt es schon seit geraumer Zeit unter dem Begriff Citizen Science verschiedene Projekte, die hierzulande aber nur wenig bekannt sind. Eine Plattform ist das englischsprachige Projekt Zooniverse. Für den deutschsprachigen Raum bietet Bürger schaffen Wissen ähnliches, wo sich Bürger an wissenschaftlichen Fragestellungen beteiligen können.
Fazit
Verschwörungsmythen werden uns wohl immer mehr oder weniger begleiten. In Krisenzeiten finden sie relativ viele Anhänger, denen die darin enthalten logischen Brüche merkwürdigerweise egal sind. In extremen Fällen könnte man in Abwandlung eines bekannten Satzes von Karl Marx meinen: „Verschwörungsmythen sind Opium fürs Volk“.
Warum manche an Verschwörungsmythen glauben, hat unterschiedliche Gründe, die auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden können und nicht immer einfach zu verstehen sind. Auf einer rationalen Vorgehensweise basierende Gegenargumente führen leicht zu gegenteiligen Effekten. Anhänger von Verschwörungsmythen wollen glauben. Im Volksmund heißt es: „Der Glaube versetzt Berge“. Aber er kann auch die Sicht auf die Wirklichkeit verhindern. Das macht es so schwer, gegen Verschwörungsmythen anzugehen. Aber das sollte uns nicht entmutigen.
Wir haben das 21. Jahrhundert. Es ist an der Zeit, Verschwörungsmythen den Boden unter den Füßen zu entziehen.
Quellenangaben:
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