Handlungsmöglichkeiten
Die Aufgabe, Verschwörungsmythen den Boden unter den Füßen zu entziehen, ist schwer, weil die unterschiedlichen Zielgruppen sich in ihren Interessen, Kenntnissen, Medienverhalten und ihrer Medienkompetenz unterscheiden. Deshalb müssen wohl mehrere, für die jeweilige Zielgruppe passende Angebote erstellt werden.
Schweiger weist darauf hin, dass Kommunikation nur gelingt, wenn gegenseitiges Vertrauen herrscht. Das ist leichter, wenn sich die Diskussionspartner persönlich kennen. Schwieriger ist es im Netz oder in anderen Medien, weil diese Voraussetzung hier nicht vorliegt. In den Sozialen Medien verwenden die meisten Teilnehmer nur Synonyme, um unerkannt zu bleiben. Manche vergessen deshalb in der Anonymität des Internets nur allzu gerne ihre gute Kinderstube.
Vieles deutet darauf hin, dass man die Tatsache akzeptieren muss, dass es eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die sich jeglichen Sachargumenten verschließt. Wie Dokumetarfilmer Dirk Steffens in Spektrum Kompakt – Verschwörungsmythen halte ich es für reine Zeitverschwendung, diese mit Sachargumenten zu einer anderen Ansicht zu bringen!
Doch es gibt auch Licht am Ende des Tunnels. So zeigen Untersuchungen, dass Anleitungen zu analytischem Denken die Akzeptanz von Verschwörungsmythen deutlich senken können.
Wenn die Bereitschaft zu Verschwörungstheorien mit extremen politischen Ansichten verbunden ist, führt die Aufforderung, anhand konkreter Beispiele die Wirkungsweise politischer Maßnahmen zu erklären, dazu, dass das Vertrauen der Studienteilnehmer in ihre Vorstellungen abnahm. Ob dies auch für Verschwörungsmythen im Bereich der Wissenschaften funktioniert, ist mangels wissenschaftlicher Untersuchungen unklar.
Wie dem auch sei, vielleicht kommt man weiter, wenn man die andere Seite zu Wort kommen lässt, insbesondere jemanden, der selbst Anhänger von Verschwörungsmythen war, sich aber wieder davon befreite. Eine solche Person ist Alexander Eydlin, der über seine Erfahrungen in einem Artikel der Wochenzeitung Zeit berichtete.
Kernpunkt seiner ganz persönlichen Analyse ist: „Ich will glauben“.
Wohlgemerkt, nicht „Ich glaube“, sondern er wollte einfach glauben! Das war für ihn nichts politisches, sondern etwas poetisches, das mit Gefühlen einherging.
Alexander Eydlin versprachen Verschwörungsmythen festen Grund und ein Wertesystem in einem Umfeld mit vielen Unbekannten und Widersprüchen. Verschwörungstheorien waren für ihn verlässliche Erklärungsmodelle, die ein als Bedrohung empfundenes Umfeld zu einem von etwas Verstecktem zu nun Erkanntem umdeuteten.
Dabei ging es nicht immer darum, die Komplexität der Welt zu verringern und bequeme Erklärungen zu liefern. Auch Verschwörungsmythen können sehr komplex sein. Hier zeigt sich für Eydlin der unbedingte Wille zum Glauben, das Unwahrscheinliche und Mystische zu akzeptieren. Verschwörungsanhänger nehmen Widersprüche in Kauf. Wie ist es sonst zu verstehen, dass manche einerseits die Mondlandung ablehnen, aber andererseits glauben, geheime Eliten wären im Besitz von Raumfahrttechnologien Außerirdischer. Oder das Corona-Virus sei einerseits ein harmloser Krankheitserreger, aber gleichzeitig soll damit die Zwangsimpfung durchgesetzt werden, um allen den Chip unter der Haut einzupflanzen oder die Weltbevölkerung zu dezimieren.
Aber der Glaube ist nicht das eigentliche Problem, betont Eydlin in seinem Beitrag. Vielmehr ist es die Intensität, mit der die Glaubenden vorgeben, mehr als alle anderen zu wissen. Deshalb habe ihm auch keine der üblichen Strategien wie pointiertes Hinterfragen, entlarven falscher Quellen oder das Aufzeigen von Widersprüchen geholfen. Er findet diese Vorgehensweisen nicht falsch, aber nur begrenzt wirksam, weil Verschwörungsmythen sehr identitätsstiftend sind. Dagegen richten nüchterne Fakten wenig aus.
So hilft auch keine Konfrontationsstrategie. Weil Anhänger von Verschwörungsmythen gut darin sind, ihre Zweifel zu unterdrücken, um Widersprüche zu akzeptieren, schaffen sie das auch mit den Zweifeln anderer.
Vielmehr helfen wahrscheinlich nur Demut und Geduld. Wer das kritische Denken eines Verschwörungsgläubigen stärken möchte, muss erst einmal zuhören. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen der erwähnten psychologischen Studien. Wenn man den Betroffenen die Möglichkeit bietet, ihre „Erkenntnisse“ zu erläutern und dabei ehrlich interessiert zuhört, öffnet dies bei dem Erzähler die Möglichkeit, die eigenen Widersprüche zu erkennen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht im Erziehen, bei dem Verschwörungstheoretiker schnell eine Agenda und somit einen Angriff wittern, sondern im Vermitteln des Willens, sein Gegenüber verstehen zu wollen. Der Respekt zur Person ist eine wichtige Grundlage, Verschwörungstheoretikern einen neuen Sinn jenseits ihrer bisherigen Vorstellungen zu geben, weil er Vertrauen schafft.
Welche Schlussfolgerungen kann man daraus schließen? Persönlich halte ich den Beitrag in der Zeit für ehrlich und glaubhaft. Andererseits schließe ich daraus, dass es wesentlich schwieriger ist, gegen Verschwörungsmythen anzugehen, als ich bisher annahm.
Vielleicht gibt es nur wenige Möglichkeiten. Zum einen verschwinden als Bedrohungen empfunden Situationen wie die Corona-Pandemie wieder, wodurch die allgemeine Bedrohung geringer wird oder „Aussteiger“ aus der Szene engagieren sich stärker in der öffentlichen Debatte.
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