Aber auch Wissenschaftler und Medien sind gefordert, Unsicherheiten und falschen Vorstellungen in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Das geht nur durch Transparenz in der Forschung und den daraus folgenden Entscheidungen. Doch die Anforderungen sind hoch, wenn nicht sehr hoch.
Theorien können nur falsifiziert werden
Wissenschaftler müssen gerade in Krisenzeiten ihr ganzes Wissen und Können zur Bekämpfung der Bedrohung einsetzen, gleichzeitig sollen sie aber auch die Ergebnisse ihrer Forschungen verständlich und nachvollziehbar kommunizieren. Dazu müssen sie eine gute Medienkompetenz entwickeln, um glaubwürdig zu erscheinen. Besonders schwierig wird ihre Situation dann, wenn sie frühere Aussagen widerrufen müssen. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, wie wichtig es ist, der Öffentlichkeit die Arbeitsweise der Wissenschaft zu verdeutlichen. Es geht nicht um DIE WAHRHEIT. Jede wissenschaftliche Erkenntnis beinhaltet gewisse Unsicherheiten. In der Wissenschaft gilt nur der zurzeit beste Wissensstand. Also gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass neue Daten zur Korrektur oder zum Widerruf früherer Aussagen führen. Deshalb ist zweifeln kein Fehler, sondern Methode. Solange nicht gezeigt werden kann, dass eine Theorie falsch ist – sie falsifiziert wird, solange gilt sie als richtig!
Die Medien müssen dies bei der Kommunikation des wissenschaftlichen Prozesses und der Präsentation der Ergebnisse immer wieder hervorheben. Zum einen müssen sie der Öffentlichkeit erklären, wie Wissenschaft funktioniert und zum anderen Hintergrundinformationen zur jeweiligen Thematik verständlich aufbereiten. Das ist durchaus eine heikle Gratwanderung. Zu gerne verschieben leitende Redakteure oder Programmverantwortlichen solche Beiträge auf die hinteren Seiten ihrer Blätter oder auf späte Sendeplätze, weil die vermeintliche Zielgruppe zu klein sei.
Wie Wissenschaftler müssen auch Journalisten bereit sein, Fehler einzugestehen, wenn neue Fakten es erfordern. Wenn es wohl begründet wird, fördert dies das Vertrauen in der Öffentlichkeit.
In meinen Augen verbreitet sich heute im Netz und den Medien sehr stark das Phänomen des Relativismus, bei dem es keine objektiven Fakten gibt, sondern nur viele Meinungen und Wege der Erkenntnis. Hierfür ist das Internet besonders anfällig. Sehr schnell wird der Vorwurf der Zensur erhoben, wenn besonders abwegige Verschwörungsmythen von Online-Plattformen gelöscht werden, denn immerhin haben wir – glücklicherweise – die grundgesetzlich garantierte freie Meinungsäußerung. Somit darf jeder veröffentlichen, was er möchte, solange dabei keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen wird.
Allerdings hält der Dokumentarfilmer Dirk Steffens es für einen journalistischen Kernfehler, man müsse das gesamte Spektrum an Meinungen abbilden und auch abseitigen Ansichten eine Plattform bieten. Hier sind Wissenschaftsjournalisten besonders gefordert, zu entscheiden, wo andere Ansichten noch wissenschaftlich fundiert sind oder blanker Unsinn beginnt. Es gibt für die Medien keinerlei Verpflichtung, über offensichtlichen Blödsinn zu berichten. Der wird erst interessant, wenn es eine breite Strömung in der Bevölkerung mit negativen Einflüssen auf die Gesellschaft gibt.
Ganz wichtig in Zeiten allgemeiner Unsicherheiten und Bedrohungen sind Faktenchecks, um gezielte Falschmeldungen zu entlarven, wie sie das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV zu verschieden Themen eingerichtet hat.
Aber zu viele Informationen in kurzer Zeit schreckt die Zielgruppe vermutlich auf Dauer mehr ab, als sie weiter zu fesseln, weil sich nach und nach Ermüdungseffekte bemerkbar machen werden. Den richtigen Weg zu finden, damit die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in wissenschaftliche Ergebnisse erhält, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Medien bewältigen müssen.
Wahrscheinlich gibt es kein Patentrezept, dieses Dilemma zu lösen. Das fängt schon damit an, dass die Leser, Zuhörer eines Podcasts oder die Zuschauer sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, um einem Thema ihren wissenschaftlichen Vorkenntnissen entsprechend zu folgen. Vermutlich bedarf es dazu eines längeren Lernprozesses auf allen Seiten.
Dieser sollte schon in der Schule beginnen. Mündige Bürger benötigen heute bei der Fülle auf sie einprasselnder Informationen Daten- und Medienkompetenz, um sich in der Flut der Nachrichten zurechtzufinden und die Spreu vom Weizen zu trennen. Allzu oft werden viele Informationen konsumiert, ohne dass dafür ein Verständnis entwickelt wird. Auch die Vermittlung eines grundlegendes Verständnis über Statistiken und deren Interpretation sollte schon an den allgemeinbildenden Schulen Teil des Unterrichts sein. Erst dann können Informationen kritisch hinterfragt werden – Stichwort kritisches Denken – und Verschwörungsmythen und Falschinformationen leichter als das erkannt werden, was sie sind: Unsinn oder schlimmsten Falls lebensbedrohlich. Deshalb sollte die Schulausbildung und ein effektives, gut ausgestattetes Schulsystem viel stärker in den Fokus von Politik und Gesellschaft rücken, als es bisher geschieht.
Ein weiteres Aufgabenfeld für die Schulen bietet der naturwissenschaftliche Unterricht. Wie Florian Freistetter in seinem Blog hervorhebt, können Schüler und Schülerinnen durch Experimente selbst herausfinden, ob das was sie glauben, richtig ist oder nicht.
Für die Teilhabe von Laien an dem wissenschaftlichen Prozess gibt es schon seit geraumer Zeit unter dem Begriff Citizen Science verschiedene Projekte, die hierzulande aber nur wenig bekannt sind. Eine Plattform ist das englischsprachige Projekt Zooniverse. Für den deutschsprachigen Raum bietet Bürger schaffen Wissen ähnliches, wo sich Bürger an wissenschaftlichen Fragestellungen beteiligen können.
Fazit
Verschwörungsmythen werden uns wohl immer mehr oder weniger begleiten. In Krisenzeiten finden sie relativ viele Anhänger, denen die darin enthalten logischen Brüche merkwürdigerweise egal sind. In extremen Fällen könnte man in Abwandlung eines bekannten Satzes von Karl Marx meinen: „Verschwörungsmythen sind Opium fürs Volk“.
Warum manche an Verschwörungsmythen glauben, hat unterschiedliche Gründe, die auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden können und nicht immer einfach zu verstehen sind. Auf einer rationalen Vorgehensweise basierende Gegenargumente führen leicht zu gegenteiligen Effekten. Anhänger von Verschwörungsmythen wollen glauben. Im Volksmund heißt es: „Der Glaube versetzt Berge“. Aber er kann auch die Sicht auf die Wirklichkeit verhindern. Das macht es so schwer, gegen Verschwörungsmythen anzugehen. Aber das sollte uns nicht entmutigen.
Wir haben das 21. Jahrhundert. Es ist an der Zeit, Verschwörungsmythen den Boden unter den Füßen zu entziehen.
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