Ohje, ich bin ja so hintendran mit meinen Buchreviews, jetzt muss ich endlich mal anfangen damit. Jetzt also im Schnelldurchlauf drei Bücher von pre-Pepsigate Dotcom-ScienceBloggerinnen:


The Immortal Life of Henrietta Lacks” (jetzt auch deutsch) befasst sich mit der ersten unsterblichen Zellkultur, deren unfreiwillige Spenderin aber lange vergessen wurde.
Rebecca Skloot hat 10 Jahre an diesem Buch gearbeitet, und verbindet verschiedene Zeit- und Erzählebenen zu einem wichtigen Buch über Medizin und Wissenschaftsethik. Henrietta Lacks, eine schwarze Frau und Mutter, verstarb jung 1951 an Krebs. George Gey hatte ihr Tumorzellen entnommen und kultiviert, aber nach ihrem Tod nie richtig die Familie darüber informiert. Einverständnisse einzuholen war damals unüblich. Die Zellen erwiesen sich als unsterblich und bildeten als HeLa-Zellen die Basis unzähliger wissenschaftlicher Experimente, ja waren sogar so erfolgreich dass sie andere Zellkulturen übernahmen. Das Buch weckt nicht nur die lange vergessene Geschichte des Namensgebers von HeLa, spricht nicht nur über die wissenschaftliche Durchbrüche die damit gelangen, sondern thematisiert auch die Wissenschaftsethik damals und heute. Auch heute noch geschieht vieles ohne Einverständnis der Patienten, aber viel wurde verbessert seit den 50ern. Aber die Verhältnisse werden niemals in schwarz/weiß dargestellt, sondern Skloot gelingt es immer die Komplexität der ethischen Probleme differenziert und menschlich darzustellen.

Vor allem ist das Buch aber ein sehr persönliches, beschreibt es doch in großen Teilen die langjährige Reise von Rebecca Skloot selbst, wie sie sich den Nachkommen und Verwandten von Henrietta Lacks näherte, versuchte ihr Vertrauen zu erlangen, schließlich eine enge Freundin Henriettas Tochter wurde, der Familie bei der Aufklärung über die tatsächliche medizinische Bedeutung der Zellen ihrer Mutter half (und die spirituellen Vorstellungen nicht zerstörte) und für etwas verspätete Gerechtigkeit und Ehre für Henrietta sorgte.
Ein kleines Problem habe ich aber mit diesem Buch: Als Wissenschaftsbuch vermisse ich hier die Wissenschaft. Zwar wird vieles aufgezählt, was mit HeLa geschafft wurde, und die Wissenschaftskultur drumherum umfassend dargestellt, aber die wissenschaftlichen Hintergründe fehlen weitgehend. Es gibt keinen nicht doof klingenden Weg dies zu sagen, daher ganz plump meine Empfinden (vielleicht lag es nur an der falschen Erwartungshaltung): Ich fühle mich etwas um die Wissenschaft betrogen, die HeLa-Zellen erforscht hat; fast so wie die Familie Jahrzehnte lang um die Informationen betrogen wurde.

Wie gesagt, das klingt furchtbar aber irgendwie hat das an mir genagt. Ich möchte dieses Buch, vor allem wegen der wirklich emotionalen Reise von Rebecca Skloot und wegen der ethischen Überlegungen uneingeschränkt empfehlen. Ganz zufrieden damit bin ich aber nicht. Es kann aber eine isolierte Meinung sein, immerhin hat Amazon das Buch zum besten Buch 2010 gewählt.


Im direkten Vergleich würde ich auf jeden Fall Bonobo Handshake von Vanessa Woods empfehlen. Auch Woods verknüpft mehrere Handlungsstränge, aber wesentlich stimmiger, zu einem Gesamtbild.
Zunächst geht es natürlich um die Erforschung der Bonobos. Diese vierte Art Menschenaffe wurde lange mit Schimpansen verwechselt, und konnte kaum erforscht werden weil sie nur im Bürgerkriegsland Kongo vorkommen. Sie sind aber so verschieden von den Schimpansen, dass wenn wir erforschen, wo menschliches Verhalten herstammt, sie die Schimpansen fast perfekt ergänzen. Wo Schimpansen sozusagen die dunkle Seite der Menschen mit Neid und Krieg zeigen, sind Bonobos die ewigen Altruisten, die Streitigkeiten nicht durch Kampf, sondern durch Sex lösen. In allen Formen, Varianten und Zusammensetzungen. Vanessa Woods sagt in einem Interview, dass ihr Verlag das Buch wohl nicht gelesen hat, als sie ein Bild von ihr, Hände haltend mit einem Bonobo, aufs Cover gesetzt ist. Denn der Bonobo Handshake ist eigentlich die Begrüßung der weiblichen Bonobos, bei der diese ihre Klitoris bis zum Orgasmus aneinanderreiben…

Bonobos werden quasi von den Jungtieren regiert, die gemeinsam gehegt und beschützt werden. Danach kommen die Weibchen in der Rangordnung, die sich auch gegen böse Männchen zusammentun können. In ihrer Fähigkeit zur Zusammenarbeit ohne Neid unterscheiden sie sich dramatisch von den Schimpansen.

Aber Woods verbindet dies mit ihrer eigenen Liebesgeschichte: Sie ist – quasi als junges unbedarftes Mädchen – ihrem Verlobten in den Kongo gefolgt, und an vielen Stellen wäre die Geschichte fast gescheitert. Aber geschickt verbindet Woods immer die Erforschung des Bonobo-Verhaltens mit ihren eigenen Erlebnissen; und einem romanwürdigen glücklichen Ende der Liebesbeziehung.
Den dunklen Gegensatz menschlichen Verhaltens bilden die Erlebnisse der Menschen, die sie im Kongo getroffen hat. Die grausamen Folgen des Bürgerkriegs, in dem Tausende Menschen buchstäblich zerhackt wurden, bilden das Komplement für die Motivation, warum man das Verhalten der Menschen durch Untersuchungen an Menschenaffen begreifen möchte.

Ein rundum gelungenes Buch, das beste Wissenschaftsbuch dass ich dieses Jahr gelesen habe.


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Schließlich noch Superbug von Mary McKenna. Dieses Buch behandelt die Antibiotika-resistenten Bakterien, die man als MRSA zusammenfasst, die sich hartnäckig in Krankenhäusern und außerhalb ausbreiten und teilweise schlimme, sogar tödliche, Infektionen auslösen.
Das Buch liest sich wie ein sehr lange, sehr guter Artikel aus einem Magazin. McKenna begleitet mit den Begegnungen verschiedenster Menschen mit MRSA-Bakterien die Erläuterung der Geschichte der verschiedenen Bakterienstämme, wer sie wie erforschte, was man dagegen tun kann (oder leider auch nicht) und auch was falsch gelaufen ist. Die Geschichten sind packend erzählt, und die Wissenschaft und Kultur dahinter knapp, aber umfassend erzählt.
Auch dieses Buch kann ich empfehlen, zu meckern hätte ich höchstens daran, dass manchmal eine systematische Antwort auf die Fragen, z.B. wieviele Sorten Antibiotika es gibt, manchmal verstreut oder verspätet gegeben wird, um den Spannungsbogen der Geschichten zu halten.


Mary McKenna bloogt jetzt bei Superbug auf Wired, Vanessa Woods bei Psychology Today, und Rebecca Skloot bei sich daheim.

Noch mehr Buchrezensionen auf ScienceBlogs:
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Kommentare (1)

  1. #1 ali
    11/15/2010

    Zum Buch über Henrietta Lacks’ Tumorzellen empfehlenswert auch den Teil über sie (respektive ihre Zellen) in der Radiolab Folge Famous Tumors!