Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit kritisiert eine Publikation des Robert Koch-Instituts (RKI) als nicht geschlechtersensibel, das RKI räumt unverzüglich Fehler ein und sucht nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Von Ingeborg Jahn, Dirk Gansefort, Johann Frick

 

Im Mai 2013 wurden die ersten Ergebnisse der DEGS-Studie des RKI im Bundesgesundheitsblatt publiziert, u.a. auch eine Arbeit „Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung“ (Schlack et al. 2013). In der öffentlichen Berichterstattung und Diskussion des Artikels (u.a. Spiegel Online 2013, s.u.) wird vor allem das unerwartete Ergebnis der Studie aufgegriffen, dass Frauen „signifikant häufiger Täterinnen von körperlicher und psychischer Gewalt im häuslichen Bereich (Partnerschaft, Familie)“ waren (Schlack et al. 2013 S.757). Das Nationale Netzwerk Frauen und Gesundheit erarbeitete daraufhin eine Stellungnahme (maßgeblich entwickelt von Dr. Petra Brzank), in der insbesondere die methodischen Schwächen der Studie in den Blick genommen werden und konstatiert wird, „dass Gewalt bzw. Partnergewalt nicht gendersensibel erfasst wurde.“ (Nationales Netzwerk 2013 S.3, vgl. auch Brzank et al. S.1336) Bereits kurze Zeit später erhielt das Nationale Netzwerk einen Brief des RKI, in dem eingeräumt wurde, dass in dem Artikel „die Grenzen, die unsere Daten bezüglich Ihrer Aussagekraft haben, (…) nicht ausreichend deutlich gemacht“ (zu haben) (RKI-Brief S.1, vgl. auch Lange und Hölling 2013 S.1337). Für die zukünftige Arbeit an diesem Thema wird die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten u.a. aus der Gewaltforschung gesucht, um einen revidierten Beitrag zu erarbeiten und die Instrumente für zukünftige Nutzung im Rahmen des Gesundheitsmonitorings zu überarbeiten (Lange und Hölling 2013).

Wenn auch sicherlich abzuwarten bleibt, was daraus wird, ist aus unserer Sicht bemerkenswert, wie Kritiken vorgebracht und Schwächen eingestanden wurden sowie nach Möglichkeiten des konstruktiven Umgangs gesucht wird.

Im Projekt „Epi goes Gender“ (www.epimed-gender.net) beschäftigt uns zentral die Frage, wie sachgerechte und angemessene geschlechtersensible und geschlechtergerechte gesundheitsbezogene Forschung gefördert und erreicht werden kann. Der hier beschriebene Vorgang zeigt unserer Meinung nach, wie eine sachliche und an Qualität von Forschung interessierte Kritik formuliert werden kann und wie darauf ebenso sachlich reagiert wird. Forscher/innen erhalten auch einen Einblick, wie wir in der Perspektive geschlechtersensibler Forschung auf die Dinge schauen, z.B. bezüglich der Frage, ob die Einfluss- und Outcome-Faktoren geschlechtersensibel operationalisiert sind. Wir empfehlen die Lektüre der Dokumente ALLEN, die DARAN Interesse haben, auch wenn Gewalt allgemein oder feministische Forschung zu Gewalt gegen Frauen nicht im Fokus ihres Intereses liegt.

 

Chronologie und Quellen

Originalpublikation:

R. Schlack, J. Rüdel, A. Karger, H. Hölling (2013) Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit von Erwachsenen in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 56(5-6):755-764.
Verfügbar unter: https://edoc.rki.de/oa/articles/repfVFL9MKm0A/PDF/24FsYksH0Ap7s.pdf

 

SPIEGEL ONLINE – Gesundheit – 27.05.2013

D. Ballwieser (2013) DEGS-Studie: Jeder fünfte Erwachsene erlebt psychische Gewalt Verfügbar unter: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/gesundheits-studie-degs-psychische-gewalt-wird-unterschaetzt-a-902046.html, Zugriff 3.9.2013

 

Stellungnahme des Nationalen Netzwerks zur neuen RKI-Studie (Brief an RKI vom 2. Juni 2013)

Valide Aussagen zu Gewalt im Geschlechterverhältnis erfordern eine gendersensible Erfassung.

Verfügbar unter: https://www.nationales-netzwerk-frauengesundheit.de/downloads/Stellungnahme_DEGS-Gewalt.pdf

 

Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts zum Brief des Nationalen Netzwerks Frauen und Gesundheit (Brief des RKI an das Nationale Netzwerk Frauen und Gesundheit vom 21. Juni 2013)

Verfügbar unter: https://www.nationales-netzwerk-frauengesundheit.de/downloads/Antwort_Netzwerk.pdf

 

Veröffentlichte Version der Stellungnahme des Nationalen Netzwerks Frauen und Gesundheit

P. Brzank, B. Blättner, D.Hahn (2013) Valide Aussagen zu Gewalt im Geschlechterverhältnis erfordern gendersensible Erfassung. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 56(9):1335-1336.

Verfügbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00103-013-1837-8.pdf

 

Antwort des RKI (Publikation)

C. Lange, H. Hölling (2013) Antwort des Robert Koch-Instituts zu dem Leserbrief „Valide Aussagen zu Gewalt im Geschlechterverhältnis erfordern gendersensible Erfassung. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 56(9):1337.

Verfügbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00103-013-1831-1.pdf

Kommentare (3)

  1. #1 Struppi
    12. September 2013

    Eine sehr einseitige Diskussion.

    Da sich die Studie nicht explizit mit Gewalt gegen Frauen befasste, sondern “Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung” untersiuchte, gibt es ja auch keine maskuline Betrachtung der einzelnen Phänomene. Z.b. wird nicht untersucht, welche Unterschiede es bei der Gewalt “auf der Strasse” gibt. Tot geprügelt werden ja in erster Linie Männer. Und was die Traumatisierung angeht, können sicher viele Männer auch davon berichten, dass man sich nach einem gewaltätigen Überfall oft jahrelang nicht mehr sicher auf der Strasse fühlt.

    So kann man sagen, dass die Studie nicht die Unterschiede im Gewalt erleben und ausüben untersucht hat, sondern nur die Häufigkeit der subjektiv empfundenen und ausgeübten Gewalt. Da jetzt einen “Gender Gap” zu finden ist nicht sonderlich schwer, aber wie gesagt der betrifft nicht nur die feministische Sichtweise. Aber wie schon die Studie sagt, die soziale Aktzeptanz einer männlichen Opferrolle ist gering, was auch die Diskussion zeigt.

  2. #2 Dr. Webbaer
    14. September 2013

    Warum sind der letzte Leserbrief und die Antwort des RKI darauf, zu beachten hier die letzten beiden Webverweise, kostenpflichtig?

    MFG
    Dr. W

  3. #3 Dr. I.Jahn
    24. September 2013

    zu #1: kann sein, dass die Diskussion (bislang) einseitig empfunden wird, aber es ist jeder(m) unbenommen, diese um die andere(n) Seite(n) zu bereichern.
    zu #2: Fragen zur Publikationspolitik des Bundesgesundheitsblatts sollte dieses selber beantworten … Die Inhalte der dort publizierten Versionen gleichen im Wesentlichen den Originaldokumenten, die auf der Webseite des Nationalen Netzwerks Frauen und Gesundheit frei zugänglich sind.