Manchmal fahre ich nach der Arbeit mit meinem Tretroller in ein Fitnessstudio. Es ist eine Kette, die Bildschirme in den Trainingsbereichen hängen hat. Darauf wurde mir beim Betreten neulich mein Tageshoroskop angezeigt. „Steinbock: Überanstrengen Sie sich nicht. Gönnen Sie sich eine Auszeit zum Entspannen.“ Na gut, habe ich mir gedacht, und bin wieder nach Hause gefahren. Eigentlich halte ich von Horoskopen ja nichts, aber in diesem Fall war es zu verlockend.
Der Wunsch, die Zukunft zu kennen, steckt tief in uns. Berufsgruppen wie Meteorologen, haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt, das sich auf eine ungeheure Datenmenge stütz und einigermaßen verlässliche Prognosen für die nahe Zukunft erlaubt. Doch vielen Menschen reicht das nicht. Fragen, die an Astrologen gerichtet werden, drehen sich meistens um die Themen Liebe und Gesundheit. Dabei gibt es auch für diese Prognosen verlässlichere Datenquellen als Gerda Rogers. Tatsächlich gibt es wohl kaum eine weniger verlässliche Datenquelle als Astrologen. Die Antworten liegen nämlich nicht in den Sternen, sondern in den Genen.
Welchen Einfluss die Erbinformation auf unseren Beziehungsstatus hat, habe ich bereits besprochen (Link). In unseren Genen versteckt sich aber auch viel Information über unsere gesundheitliche Zukunft.
Das Thema beschäftigt mich momentan, weil die Leute, mit denen ich meinen PhD begonnen habe, derzeit ihre genetischen Daten vergleichen. Ein bisschen wie auf dem Schulhof, nur geht es nicht darum, wer das neuste Handy besitzt, sondern wer die geringste Veranlagung für chronische Darmentzündungen hat. Bis auf mich sendeten alle PhD Studenten meines Jahrganges Proben ihres Speichels an die Firma 23andMe. Für rund 100€ untersucht das Amerikanische Unternehmen anhand der DNA in den Speichelzellen hunderttausende sogenannte Single Nukleotid Polymorphismen (SNPs – gesprochen „Snips“). SNPs sind Variationen einzelner Buchstabenpaare in einem DNA Strang, z.B. wenn statt ATA die Abfolge AGA in einem Gen steht. Die meisten SNPs haben keine Auswirkungen auf die Funktion eines Gens, für manche sind aber gesundheitliche Folgen bekannt. Ähnlich wie bei den Meteorologen können diese allerdings nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Die Firma sequenziert dabei nicht das gesamte Genom (das würde ein paar tausend Euro kosten), sondern detektiert gezielt einzelne SNP Varianten, deren Auswirkungen auf den Menschen wissenschaftlich veröffentlicht sind. Wer wissen möchte, wie man diese SNPs aufspürt, kann diesem Link folgen.
23andMe darf aus rechtlichen Gründen seit 2013 selbst keine medizinischen Vorhersagen mehr treffen, sondern nur noch Infos über die Abstammung der Vorfahren preisgeben. Würdet ihr wollen dass eure Arbeitskollegen erfahren, wie viel Prozent eurer DNA von Neandertalern abstammt? Das ist unterhaltsam, hat keine medizinischen Auswirkungen und bietet den Kollegen die Möglichkeit, halblustige Sprüche zu klopfen. Man bekommt von 23andMe die Rohdaten der Analyse, die man dann für rund 5€ bei anderen Anbietern auf medizinische Aussagen überprüfen lassen kann. Dabei wird zu jedem detektierten SNP auch das wissenschaftliche Paper genannt, in dem die Genvariante mit einer Krankheit oder Eigenschaft in Verbindung gebracht wird.
Ein Arbeitskollege von mir weiß jetzt, dass Kaffee bei ihm deshalb kaum wirkt, weil ihm ein SNP erlaubt, Koffein besonders schnell abzubauen. Das fand er cool. Derselbe Arbeitskollege weiß jetzt auch, dass er ein stark erhöhtes Risiko hat, im Alter an Morbus Crohn zu erkranken – einer chronischen Darmentzündung. Das fand er weniger cool. Und da findet sich auch schon ein Problem solcher Analysen. Es bedarf einer gewissen Kompetenz, um die Daten sinnvoll zu interpretieren. Ein zehnfach erhöhtes Morbus Crohn Risiko klingt dramatisch. Erst im Kontext der Krankheits- Häufigkeit erkennt man, dass das Risiko, tatsächlich Morbus Crohn zu entwickeln, immer noch gering ist.
Ich habe mich dagegen entschieden meine DNA einzusenden, weil ich abwarten wollte, wie sich das Ganze auf meine Kollegen auswirkt. Einer davon hat ein sehr hohes Prostata Krebs Risiko ermittelt bekommen und wird sich in Zukunft häufiger untersuchen lassen. Das ist sinnvoll, aber nicht besonders angenehm und kratzt an der Illusion, dass man zu den Auserwählten gehört, die gesund alt werden. Und wie ginge man damit um, wenn ein hohes Risiko für eine nicht zu verhindernde, nicht-behandelbare Krankheit diagnostiziert würde?
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