Der Fotograf Thomas Struth zeigt Instrumente der Forschung in großformatigen Bildern und thematisiert so das Drängen der Wissenschaft, die Natur zu überlisten. Derzeit sind die Fotografien in einer Ausstellung im Gropius-Bau in Berlin zu sehen.
Bevor ich zu den Arbeiten des Fotografen Thomas Struth komme, erwähne ich kurz eine ganz andere Stilrichtung der Kunst, die gerade in der Staatsgalerie Stuttgart ausgestellt wird: den Impressionismus. Bei einer Führung durch die Sonderschau habe ich erfahren, wie Claude Monet einst seinen Kritikern erklärte, warum nicht jeder Mensch auf dem Bild ein Gesicht brauche: Wenn das Gesicht gerade im Schatten sei oder zu weit weg, dann sehe man es als Maler nicht. Und er, Monet, male eben, was er sehe, und nicht, was er wisse. Das war womöglich auch der Versuch, sich von der Fotografie abzugrenzen, diem im 19. Jahrhundert aufkam: Der Künstler gibt die Dinge nicht realistisch wieder, wie es ein Fotograf tut, sondern schildert vielmehr seine persönliche Wahrnehmung.
Und damit komme ich zu Thomas Struth, von dem gerade (und noch bis zum 18. September) eine Reihe großformatiger Bilder im Gropius-Bau in Berlin zu sehen ist. Denn seit Monet hat sich in der Fotografie einiges verändert. Viele von Struths Fotos zeigen Labors oder wissenschaftliche Instrumente, und sie tun es recht objektiv, denn er verzichtet weitgehend auf Effekte und digitale Nachbearbeitung. Doch sie haben etwas Subjektives an sich. Auch Struth zeigt nur, was er sieht, und nicht, was er weiß. In der Ausstellung hat man es daher mit Kabeln und Kolben, Rechnern und Reagenzgläsern zu tun. Es sieht alles ziemlich kompliziert aus, und Struth belässt es bei diesem Eindruck. Vor allen Dingen erklärt er nichts; in der Ausstellung verzichtet er sogar auf Schildchen, auf denen wenigstens der Titel des Bildes zu lesen wäre.
Ich bin als Journalist darin geschult worden, Bilder genau zu beschreiben und Infografiken so zu beschriften, dass man Funktionsweise und Aufbau eines Instruments möglichst leicht versteht. Struth hat ganz offensichtlich ein anderes Ziel.
Nicht “Ohne Titel”, sondern ganz ohne Titel
Das Motiv auf einem querformatigen Bild erkenne ich schon beim Betreten des Raums: Es ist das Innere eines Jumbojets, der zur fliegenden Sternwarte SOFIA umgebaut worden ist. Die Forschung mit SOFIA wird von einem Institut der Universität Stuttgart aus koordiniert, und ich habe mehrfach über dieses Projekt geschrieben. Man sieht die blaue Abdeckung des Teleskops und viele Leitungen an den Innenwänden des Flugzeugs. Wie auf den meisten Fotografien in der Ausstellung sind keine Menschen abgebildet, aber es gibt Plätze, auf denen sie stehen und sich die Gerätschaften anschauen könnten – in diesem Fall die leer geräumte Ladefläche des Flugzeugs. In Struths Bildern ist alles scharf. Er arbeitet mit einer Plattenkamera und braucht eine ganze Weile, um seine Aufnahmen zu komponieren. Es geht also nicht darum, etwas zu verbergen, sondern die komplexen Maschinen so zu zeigen, wie sie sind: komplex. Aber was unterscheidet dieses Foto von den vielen anderen, die ich aus dem Inneren des Jumbojets kenne (zum Beispiel dieses hier)?
Zur Illustration dieses Blogbeitrags habe ich ein anderes Foto ausgewählt. Es zeigt den Fusionsreaktor Asdex Upgrade, mit dem in Garching bei München die Kontrolle des heißen Plasmas untersucht wird. Die silbernen Platten, die schon ein wenig gebraucht wirken, sind aus Wolfram und schmelzen erst bei einer Temperatur über 3000 Grad. Aber es könnte im Grunde auch das Innere eines Warp-Antriebs sein, mit dem eine außerirdische Intelligenz zur Erde gereist ist. Und mit diesem Gedanken komme ich zur Interpretation, denn im Faltblatt zur Ausstellung wird Thomas Struth so zitiert: „Es geht mir darum, wie etwas, das zuvor nur ein Gedanke war, sich materialisiert.“ Die Bilder sollen also nicht zuletzt die Mühe zeigen, die sich Forscher mit den Geräten gemacht haben. Ebenso würden wir Erdlinge bei einer Führung durch ihr Raumschiff über die Fähigkeiten der Aliens staunen.
Ach, so sieht ein Warp-Antrieb aus!
Die fotografierten Geräte können einen schon beeindrucken. Ich glaube aber nicht, dass Struth die Forschung auf ein Podest stellen will. Er präsentiert die Instrumente vielmehr als Kunstwerke oder Denkmäler, auch wenn sie nicht besonders schön sind. Ich finde, das passt, denn vor allem die großen Geräte sind in der Wissenschaft ja oft Unikate – über Jahre entwickelt und zusammengeschraubt. (Für eine Multimedia-Reportage habe ich vor einiger Zeit ein Labor von Teilchenphysikern fotografiert: Darunter sind auch einige Detailaufnahmen von Apparaturen, denen man das „made by myself“ ansieht.) Man könnte also sagen, dass Struth etwas der Persönlichkeit der Wissenschaft einfängt – also genau das, was Forscher eigentlich aus der Gleichung eliminieren wollen, damit es nicht die Erkenntnis trübt. Doch das kann nicht alles sein, denn wenn Thomas Struth wirklich nur das Herstellen der Instrumente im Blick haben sollte, dann hätte er ja Wissenschaftler beim Zusammenschrauben fotografieren können. Stattdessen zeigt er das Ergebnis der Bastelarbeit – oder einen Zwischenstand, so genau weiß man das nicht, denn es wird ja nicht erklärt.
Und das bringt mich zu einem letzten, etwas irritierenden Punkt: Obwohl die Instrumente für einen sehr speziellen Zweck gebaut worden sind und sich sonst zu nichts nutzen lassen, bleibt in der Ausstellung offen, was man damit alles anstellen kann. Struth sagt nicht, was er von der Forschung hält. Aber seine Bilder werfen die Frage auf, wofür die abgebildeten Instrumente gut sind. Immerhin eins ist klar: Die Maschinen bezeugen den Wunsch, der Natur ein Schnippchen zu schlagen und ihr ein Geheimnis zu entlocken. Vielleicht schadet es aber nicht, diese Frage nach dem Zweck für einen Moment offen zu lassen. Die Aliens – pardon: die Wissenschaftler – werden ja nicht gleich wieder wegfliegen und uns staunende Erdlinge mit nicht mehr als einer Ahnung der technischen Möglichkeiten zurücklassen.
One more thing . . .
Wenn ich schon bei Ausstellungen bin: Vor einem Jahr bin ich im Science Museum in London zufällig auf die ersten Fotografien der Wissenschaft gestoßen. Nicht wenige Forscher waren damals skeptisch. Hier geht’s zu meinem damaligen Bericht mit vielen Beispielbildern.
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