Mal ein anderer Blick auf die bioethische Debatte über CRISPR und das Genome Editing: Die Sozialwissenschaftlerin Sheila Jasanoff fordert, nicht nur über das Für und Wider bestimmter Gen-Therapien zu sprechen, sondern auch darüber, wer davon profitieren soll.
Dieses Mal wollen die Wissenschaftler alles richtig machen. Sie stoßen rechtzeitig eine Debatte darüber an, wie die neuen Möglichkeiten der Gentechnik reguliert werden sollen. Mit dem vielseitigen Werkzeug CRISPR scheinen neue Therapien möglich, weil es sich viel leichter anwenden lässt als die bisherigen Methoden. Auch Eingriffe in Keimzellen sind denkbar – also Manipulationen im Erbgut, die ein Mensch an seine Nachkommen vererben würde. Die Genetiker selbst haben sich nach der Entdeckung von CRISPR erst einmal eine kleine Denkpause verordnet, und sie haben schon mehrere Tagungen zur ethischen, politischen und juristischen Bewertung ausgerichtet. Für Emmanuelle Charpentier (hier ein früherer Blogbeitrag über ihre Arbeit), eine der Entdeckerinnen von CRISPR, ist die Strategie klar: Die Politik müsse – im Gespräch mit Wissenschaft und Öffentlichkeit – klären, was erlaubt sein soll und was nicht. Das sagte sie kürzlich beim Auftakt des EuroScience Open Forum (ESOF) in Manchester, einer Tagung, auf der alle zwei Jahre Wissenschaft, Medien und Politik aufeinandertreffen.
Die Organisatoren hatten die Sozialwissenschaftlerin Sheila Jasanoff von der Harvard University als Gegenspielerin eingeladen. Jasanoffs Fachgebiet heißt „Science and Technology Studies“, was in Deutschland mit „Wissenschaftsforschung“ übersetzt wird. Sie gehört zu den Pionieren dieser Disziplin, in der auch die Regulation der Forschung erforscht wird. In Manchester macht sie deutlich, dass ihr Charpentiers Strategie zu schlicht ist. „Wir müssen genauer darüber nachdenken, welche Zukunft wir schaffen wollen“, sagt sie. Und sie erklärt, dass es ihrer Ansicht nach keine Behörde und keinen Gesetzgeber gebe, der über die Fragen, die CRISPR aufwerfe, wirklich nachgedacht hätte. Das wäre auch schwierig, denn das menschliche Genom gehört ja niemandem so richtig, vielleicht der Menschheit insgesamt. Mit welchem Recht könnte beispielsweise eine Nation beschließen, ein bestimmtes Gen zu eliminieren, ohne die anderen zu fragen?
Die Debatte zur Eröffnung der Konferenz wird nach wenigen Minuten abgebrochen, weil noch viele Programmpunkte folgen müssen. Doch am nächsten Tag trägt Sheila Jasanoff ihre Position ausführlicher vor. Dort knöpft sie sich die Asilomar-Konferenz vor, die von vielen Wissenschaftlern als Vorbild gehandelt wird (zum Beispiel bei der Nobelpreisträger-Tagung 2015 in Lindau): 1975 trafen sich Genetiker im kalifornischen Asilomar, um sich selbst Regeln für den Umgang mit genmanipulierten Organismen zu geben. Jasanoff hält wenig von diesem Verfahren. Damals hätten die Wissenschaftler argumentiert, dass sie das Erbgut präzise manipulieren könnten und deshalb das Ergebnis stets gut vorhersagbar sei. Die Gesellschaft müsse daher nur prüfen, ob man das Ergebnis der Manipulation – also den gentechnisch veränderten Organismus – haben wolle oder nicht.
Offensichtliche Fragen der Gesundheitspolitik
Heute wird nach demselben Muster argumentiert: präzise Manipulation, vorhersagbares Ergebnis. Jasanoff ist skeptisch und sagt, vom „genome editing“, also dem Redigieren des genetischen Codes, könne man erst sprechen, wenn man den Text auch verstehe. Sonst ähnele das eher einer Autokorrektur von Word. Von einem echten Verständnis der DNA ist die Genetik aber noch weit entfernt. Vor allem fordert Jasanoff, nicht nur das Für und Wider bestimmter genetischer Manipulationen zu diskutieren, sondern auch die vielen pragmatischen Fragen der Gesundheitspolitik, die damit zusammenhängen. In einem Artikel mit dem Titel „CRISPR Democracy“ (hier das PDF) kritisiert sie: „Wissenschaftler … sehen es nicht als ihre Aufgabe an, auch nur die offensichtlichen Gerechtigkeitsfragen zu diskutieren.“ Aus ihrer Sicht geht es auch darum, welche Therapien als erste entwickelt werden und wie die Balance sein wird zwischen teuren individuellen Behandlungen und günstigeren Maßnahmen für alle.
Aber Jasanoffs Meinung ist in ihrem Vortrag nur schwer auszumachen, da sie als Sozialwissenschaftlerin die Prozesse erst einmal beschreibt. So skizziert sie, wie das Thema Embryonenschutz in den USA, Großbritannien und Deutschland gehandhabt wird: Die Unterschiede sind beträchtlich. In den USA ist der Status des Embryos umstritten, in Deutschland ist der Embryo ab der Befruchtung geschützt, in Großbritannien erst zwei Wochen später. Und während in den USA darüber streitet, ob man bei der Forschung an Embryonen Leben zerstört und ob das für den Fortschritt in Kauf zu nehmen wäre, steht in Deutschland nach Jasanoffs Analyse die Frage im Vordergrund, ob man Menschen instrumentalisiert und ob man die Forschungsfreiheit in zulässiger Weise einschränkt. Was die Sozialwissenschaft letztlich interessiert, ist, wie diese Unterschiede zu erklären sind. Die Antwort, das ahnt man schon als Laie, dürfte kompliziert sein.
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