Als weiteres Beispiel für uneigentliche moralische Ziele nennt Birnbacher „das menschliche Bedürfnis nach übergreifenden Zielen, die über die eigene Person, den eigenen Lebensumkreis und die eigene Lebenszeit hinausreichen“. Das Sorgen um künftige Generationen könnte unserem Leben einen zusätzlichen Sinn verleihen und uns in unserem Selbstwert bestätigen, schreibt Birnbacher. Gemeinsam geht das natürlich besser. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, sondern sprechen sogar abschätzig von „Gutmenschen“. Ich lese immer wieder, dass wir den Menschen nicht vorschreiben sollen, wie sie zu leben haben – das macht es schwierig, seinem Leben auf diese Weise einen neuen Sinn zu verleihen. Auf der anderen Seite lese ich aber auch, dass sich viele in der globalisierten Welt unsicher fühlen und nach Orientierung sehnen. Nachhaltig zu leben und zu wirtschaften könnte diesen Werterahmen bieten.
2. Psychologie: Nudging
Als „Nudging“ (Englisch: Anstupsen) werden Versuche bezeichnet, Entscheidungen zu manipulieren, ohne den Leuten irgendetwas vorzuenthalten. Vielmehr nutzt man psychologische Phänomene aus. Wenn man zum Beispiel in der Kantine Obst in Augenhöhe präsentiert und die Schokolade im untersten Fach, dann werden die Mitarbeiter häufiger zum gesunden Nachtisch greifen. Vielen ist das suspekt, da es trotz der guten Absicht eine Form der Manipulation ist. Dieses Problem kann man durch Transparenz vermeiden: Man klärt die Leute über die Manipulation auf oder lässt sie sich selbst nudgen. Dass das funktionieren kann, zeigt dieses Experiment von einem internationalen Team um Hendrik Bruns von der Universität Hamburg: Die Versuchsleiter gaben den Probanden für die Teilnahme an einem anderen Versuch zehn Euro und fragten sie, ob sie davon einen Teil für einen Klimaschutzfonds spenden wollten. Die Probanden gaben durchschnittlich 1,70 Euro (und das Geld ging anschließend in den Klimaschutz). Wenn aber acht Euro als Vorschlag voreingetragen waren, erhöhte sich die Bereitschaft auf 3,20 Euro. Und wenn man die Probanden auf diese sanfte Manipulation hinwies, waren es immer noch 2,90 Euro.
Eine Forschergruppe unter der Leitung des Ökonomen Reimund Schwarze von der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder hat die Fachliteratur zum Nudging gesichtet und kommt zu einer ähnlichen Empfehlung. Die Forscher halten bestimmte Kombinationen von Nudges für besonders wirksam, die auf beide Systeme des Denkens zielen: das intuitive, schnelle Entscheiden und das langsame Abwägen. (Die beiden Systeme hat der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ einem breiten Publikum bekannt gemacht.) Auf das Abwägen zielen beispielsweise die Effizienzklassen von Kühlschränken, weil sie Eigenschaften des Produkts hervorheben, auf die Kunden beim Kauf achten sollten. Warum nicht auch die effizienten Kühlschränke in einem gesonderten, geschickt gestalteten Raum präsentieren? Das Ambiente zählt schließlich.
Nudges gelten zwar als nicht nachhaltig. Es sind Verkaufstricks, die ihren Zweck erfüllt haben, sobald der Kunde sich entschieden hat. In der Kombination mit Anregungen für das langsame Denken, so die Forscher um Reimund Schwarze, könnte daraus aber eine Gewohnheit entstehen. Wenn ich zum Beispiel mein Fahrrad nicht für jede Fahrt aus dem Keller holen muss, sondern vor der Haustür anschließe, mache ich es mir einfacher, darauf umzusteigen (Nudge für das schnelle Denken). Rechnet mir außerdem eine App aus, wie viel Kohlendioxid ich mit den Fahrradfahrten gegenüber dem Auto einspare (Nudge für das langsame Denken), könnte das meine Lebensweise nachhaltig ändern. Vielleicht schaffen wir es sogar, dass Treibhausgase als Dreck angesehen werden und abstoßend wirken. Dazu könnten Label beitragen, die den CO2-Anteil eines Produkts (etwa eines Steaks) deutlich machen. Doch die Politik traut sich nicht.
3. Digitale Demokratie
In letzter Zeit hört man wenig Gutes über das Internet. Trolle vergiften mit ihren Kommentaren die Stimmung und große Konzerne legen die Regeln der Kommunikation fest. Auf der Tagung Republica in Berlin, die ich im Mai besucht habe, kamen mir die Besucher und Referenten besorgt vor. Die Hoffnung auf eine muntere Debatte unter selbstbewussten Bürgern, eine Demokratie 2.0, scheint sich zerschlagen zu haben. Der Physiker und Sozialwissenschaftler Dirk Helbing sieht das jedoch anders: Aus seiner Sicht hat man die richtigen digitalen Werkzeuge bloß noch nicht ordentlich verbreitet. Er plädiert für dezentrale Systeme, in die – nach Art von Wikipedia – möglichst viele Menschen, Verbände, Behörden und Firmen ihre Ideen einbringen.
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