Die Bedeutung der Nation bei der Kategorisierung von Migranten in vermeintlich homogene Gruppen und damit die Verwendung nationaler Zugehörigkeit als Distinktionsmerkmal ist von zentraler Bedeutung und könnte in vielfältigen Kontexten behandelt werden.

Von Angela Siebold

Das von Bettina Severin-Barboutie geleitete Panel auf dem Historikertag setzte sich mit diesem Thema im Kontext europäischer Städte auseinander. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, welchen Einfluss nationale Zuschreibungen auf städtische Strukturen aufweisen; die Stadt sollte dabei nicht nur als aufnehmender Raum, sondern als Akteurin und Produzentin von Strukturen und Grenzziehungen aufgefasst werden. Auch wenn dieser Aspekt in allen Vorträgen etwas in den Hintergrund rückte, lieferte das Panel einen vielfältigen Einblick in die Bedeutung nationaler Fremd- und Selbstzuschreibungen im Migrationskontext.

* Protestierende Immigranten ohne (offizielle) Papiere im April 2008 in Paris
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„Nationalisierung in der Fremde”

Den Einstieg in die Vortragsrunde lieferte Roberto Sala, der die Bedeutung von Stadt und Nation im italienischen Einwanderungsprozess nach Deutschland diskutierte. Seinen Ausführungen stellte er zwei Raumvorstellungen voran, welche den Kontext der sogenannten Gastarbeiter aus Italien mit prägten: den Raum des Einwanderungslandes sowie den Bezug zu ihrem Herkunftsland. Dabei stellte er die Nation als eine sehr kompakte Vorstellung eines Herkunftsraumes heraus, der nur scheinbar selbstverständlich sei, da für Migranten häufig andere räumliche Bezüge wie etwa ihr lokaler Herkunftsraum viel relevanter gewesen seien – ein Umstand, der sich auch auf der sprachlichen Ebene niederschlug, indem häufiger in regionalen Dialekten als auf Hochitalienisch gesprochen worden sei.

Anders sei dies bei den „Elitenitalienern” gewesen, also bei denjenigen Italienern, die als Vertreter italienischer Institutionen nach Deutschland kamen, um die Gruppe der italienischen „Gastarbeiter” in Deutschland zu vertreten; durchaus mit dem Anspruch, sie in Form einer national bestimmten „Schicksalsgemeinschaft” zu definieren. Diese Vertreter kirchlicher und staatlicher Institutionen unterschieden sich jedoch in mehrfacher Hinsicht von den Arbeitsmigranten aus Italien: Sie kamen überwiegend aus Norditalien, sprachen keinen Dialekt, waren in Städten sozialisiert worden und gehörten einer höheren Bildungsschicht an als die große Mehrheit der „Gastarbeiter”, die süditalienisch und dörflich geprägt waren und einen geringeren Bildungsgrad aufwiesen.

Leider werden primär nationale Identifikationsmuster in den meisten Forschungsprojekten zu Migration vorausgesetzt.

Diese Diskrepanz zwischen der Migrantenperspektive der „Gastarbeiter” und der „Elitenitaliener” ließe sich nicht auf die gemeinsame nationale Zugehörigkeit verkürzen; so habe der „kulturelle Schock” der Arbeitsmigranten weniger darin bestanden, von Italien nach Deutschland, denn aus einer dörflich und familiär geprägten Struktur in die Großstädte der Bundesrepublik zu ziehen. Die „Nationalisierung in der Fremde” hatte nicht nur Auswirkungen auf die Wahrnehmung der italienischen Migranten innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Sie spiegele sich auch, so Sala, in vielfältiger Weise in der historischen und sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung wider, in der häufig nationale Identifikationen in den Forschungskonzeptionen vorausgesetzt und damit die Ergebnisse der Analysen von vorn herein in national geformte Bahnen gelenkt würden. Alternative Raumvorstellungen und Identifikationsmuster könnten gar nicht zur Sprache kommen, da die Forschungen dies bereits in ihrer Konzeption unterbänden.

Spanische, deutsche, afrikanische Immigranten?

Anschließend zeigte Imke Sturm-Martin die Wahrnehmung und Kategorisierung der Nachkriegsmigration im Frankreich und Großbritannien der 1950er und 1960er Jahre auf. Die im britischen Fall aus der Karibik und Südasien, im französischen Fall aus Italien und Nordafrika stammenden Einwanderer hätten sich, so Sturm-Martin weiter, hauptsächlich in großen, häufig auch industriell geprägten Städten niedergelassen. Dabei sei die Wahl des Zielortes den Kriterien gefolgt, ob bereits eine Bezugsperson vor Ort wohnte und ob eine Aussicht auf Beschäftigung bestand. Dies habe einerseits zur Existenz nationaler Großgruppen in Städten geführt. Allerdings sei der urbane Kontext auch die notwendige Voraussetzung für eine Partizipation der Migrantengruppen am sozialen Leben im Einwanderungsland gewesen. Ein Wandel im Bewusstsein gegenüber diesen Großgruppen habe jedoch erst in den 1960er Jahren eingesetzt.

Der Zuschreibung nationaler Kriterien sei insofern eine ungewöhnliche Rolle zugekommen, als dass diese nicht nur eine Distinktionsfunktion hatte, sondern auch Hierarchisierungen verdeutlichte. Denn während die Einwanderer aus dem kontinentaleuropäischen Raum nach ihrer nationalen Herkunft eingestuft und wahrgenommen wurden, bezeichnete man diejenigen Migranten, die im (post)kolonialen Kontext nach Frankreich und Großbritannien kamen, als Zugehörige von Rasse oder Regionen, wie etwa als coloured immigrants, colonial immigrants, africains oder musulmans.

Dieser Umstand erinnert auch an heutige europäische Wahrnehmungsmuster, in denen etwa Afrika häufig nicht analog zu anderen Weltregionen, sondern zu Nationalstaaten gesetzt wird und damit eine ungleich stärkere Simplifizierung bedient wird als dies nationale Stereotype tun.

Defizitäre Franzosen

Auf jugendliche Migranten in französischen Großstädten ging im dritten Vortrag Susanne Grindel ein. Sie zeigte Diskussionen in Frankreich auf, die auf die Vorstellung einer Unfähigkeit oder auch Unwilligkeit der Migranten zur Integration rekurrierten. Dies habe in Frankreich zu einer neuen Debatte um die Tragfähigkeit des französischen Republikanismusmodells geführt.
Besonders die Schule, die in Frankreich als zentrales Integrationsinstrument wahrgenommen würde („Die Schule der Nation”) zeige eine Krise der Repräsentation des französischen Staates auf. Dementsprechend hätten sich die Unruhen und Krawalle französischer Jugendlicher in den Vorstädten der letzten Jahre auch hauptsächlich gegen öffentliche Institutionen gerichtet.

Das republikanische Versprechen der egalité klingt in Ohren vieler Jugendlicher als heuchlerisch.

Das republikanische Versprechen der egalité und damit vor allem der Chancengleichheit würde von vielen Jugendlichen als heuchlerisch verstanden. Von staatlicher Seite herrsche dagegen die Angst vor, die französischen Vorstädte könnten aufgrund der sozialen Unruhen zu „unbegehbaren Räumen” innerhalb der Stadt werden.

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