Wissen Sie, was den texanischen Scharfschützen kennzeichnet? Er schießt zuerst auf das Scheunentor und malt dann die Zielscheibe um die Einschusslöcher. Das dahinter steckende Verfahren ist analog zu einer weit verbreiteten Denkfalle, die als Texas sharpshooter fallacy bezeichnet wird. Besonders problematisch ist diese Denkfalle in der Epidemiologie, etwa wenn es um die Untersuchung von “Krebsclustern” geht. Obwohl das Problem seit langem bekannt ist, versteckt es sich hartnäckig immer wieder in methodisch schwachen epidemiologischen Studien. Manchmal wird es nie entdeckt. Manchmal ist es fast augenscheinlich. Und manchmal ist es so offenkundig, dass es nur mehr peinlich ist. Wie im Fall der berüchtigten Oberfeld-Studie, um die sich schließlich sogar die Justiz kümmern musste.
Wie es dazu kam, lesen Sie in unserem heutigen Gastbeitrag von Prof. Ernst Bonek:
Dr. Oberfeld und die Wissenschaft vom Hörensagen
von Ernst Bonek
Der Salzburger Umweltmediziner und Referent der österreichischen
Ärztekammer, Dr. Gerd Oberfeld, hatte in einer Studie im Auftrag des
Gesundheitsressorts des Landes Steiermark ein signifikant erhöhtes
Krebsrisiko im Umkreis von 200 Metern durch eine Mobilfunkanlage
(C-Netz) im Raum Vasoldsberg/Hausmannstätten im Zeitraum zwischen 1984
und 1997 festgestellt. Allerdings: An diesem Standort gab es nie eine
C-Netz-Anlage und bis 1994 überhaupt keine Mobilfunkstation. Um einer
gerichtlichen Verurteilung zu entgehen, hat Dr. Oberfeld einen
Vergleich abgeschlossen, in dem er zur Kenntnis nimmt, “dass sich im
Bereich des Wählamtes “Schemmerlstraße” in Hausmannstätten, Steiermark,
zu keinem Zeitpunkt eine “C-Netz”-Mobilfunkanlage befunden hat.“
Wie kommt ein Arzt dazu, überhaupt so schwerwiegende Aussagen wie
“erhöhtes Krebsrisiko” zu machen? Laut Aussage seines Rechtsbeistands,
der ihn “als der Wissenschaft verpflichteten Mediziner” bezeichnet,
hat Dr. Gerd Oberfeld den Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters der Post- und Telegraphenverwaltung Glauben geschenkt
In Zeitungsartikeln, die diese “Studie” propagierten, konnte man lesen, auch
Anrainer hätten sich erinnert. Fazit: die sachliche Grundlage der
“Studie” ist nichts anderes als Hörensagen.
Aber damit nicht genug, es wird weiter Realitätsverweigerung als
“Wissenschaft” angedroht. Unter dem Titel “Wissenschaftliche
Untersuchungen gehen weiter” versteigt sich die erwähnte
Presseausendung zu folgender Aussage:
Unter der Annahme der Existenz einer C-Netz-Mobilfunkanlage hat Dr. Gerd Oberfeld die richtigen Schlüsse gezogen.
Versteh ich das richtig? Die Schlüsse wären richtig, obwohl die
zugrunde liegende Annahme falsch war? In der Aussendung heißt es
weiter:
Eine Studie ist dann falsch, wenn falsche Schlüsse aus den zugrunde liegenden Fakten gezogen werden.
Was heißt hier “falsch”? Sorgfalt ist das erste Gebot eines
Wissenschaftlers. Bei einer derart groben Verletzung dieses ersten
Gebots stellt sich die Frage nach der Arbeitsweise des Dr. Oberfeld.
Hörensagen, Erinnerungen eines pensionierten Postlers?
Zu Oberfelds Methodik äußert sich der Schweizer Epidemiologe Martin
Röösli in einem Gutachten für die Schweizer Krebsliga unter anderem so:
Die Hauptschwäche der Studie liegt darin, dass nur ein Gebiet
untersucht wurde, bei dem schon vor Beginn der Untersuchung eine
auffällige Häufung von Krebsfällen bestand. Es ist nötig für solche
Untersuchungen ein grösseres Gebiet mit einzubeziehen. Dies wurde
kürzlich für Bayern mit den Daten des dortigen Krebsregisters gemacht.
Dabei wurde kein Zusammenhang zwischen der Mobilfunksenderdichte und
der Krebsinzidenz beobachtet.
Zur Hochfrequenztechnik kann ich aus eigener Erfahrung mehr sagen. Dr.
Oberfeld hatte ausgerechnet, dass die Krebsfälle in bis zu 200m
Entfernung von der – nicht existierenden – Mobilfunkanlage häufiger
waren als weiter entfernt davon. Warum eigentlich gerade 200m? Entfernung zu einem Sender ist ein Parameter für die Feldstärke in
Gebäuden, aber alleine nicht entscheidend (Material von Mauern,
Verglasung, Größe und Orientierung der Fenster, Einrichtung,
Stockwerk). Mit dem Aufbau eines Simulationssenders hat Dr. Oberfeld
versucht, eine Argumentationskette zwischen Krebsfällen und
Mobilfunkanlage herzustellen. Dass Dr. Oberfeld glaubt, dass man nach
20 Jahren, in denen sich Bebauung und Bewuchs grundlegend geändert
haben können, die Wellenausbreitung bei 70 cm Wellenlänge experimentell
nachstellen kann, zeigt die Grundproblematik von epidemiologischen
Studien auf, nämlich die Schwäche in der Dosimetrie.
Wissenschaftsphilosophisch hat Dr. Oberfeld gegen einen wesentlichen
Grundsatz seriöser Wissenschaft verstoßen, den Bert Brecht in Leben des Galilei so
formuliert hat:
Und was wir heute finden, werden wir morgen von der Tafel streichen
und erst wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben.
Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit
besonderem Mißtrauen ansehen.
Eine wissenschaftliche Studie kann aus vielerlei Gründen falsch
sein, d.h. fehlerhaft. Wenn aber, wie im gegenständlichen Fall, der
Studie die sachliche Grundlage fehlt, sind alle darin aufgestellten
Behauptungen hinfällig. Insbesondere die Suggestion, dass
Mobilfunkanlagen Krebs verursachen, wie uns Dr. Oberfeld in seiner
“Studie” weismachen will (meine Kursivsetzungen):
Für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem gehäuften Auftreten von
Krebserkrankungen im Bereich um das Wählamt Hausmannstätten und dem Betrieb
der Mobilfunksendeanlage sprechen:
o der zeitliche Zusammenhang mit der Betriebszeit der Sendeanlage (!)
o der Nachweis von hochsignifikanten Expositions-Wirkungs-Beziehungen
zwischen den Immissionen der Sendeanlage und dem erhöhten Krebsrisiko
[…]
o die umfangreiche Untersuchung sonstiger Risikofaktoren und damit deren
Ausschluss als Ursache
o das Fehlen einer plausiblen Alternative zur Erklärung der massiven Häufung (!)
Wo also eine plausible Erklärung fehlt, hat Dr. Oberfeld den
Mobilfunk als Ursache schon parat. Dr. Oberfeld will weiterforschen –
bitte, soll er. Nur, wie wird er die Kehrtwendung machen, hat er doch
mit dieser Aufzählung alle möglichen Noxen in Hausmannstätten
ausgeschlossen und nur die C-Netz-Anlage als in Frage kommend gelten
lassen? Da er alle bösartigen Neubildungen C00 bis C97 nach ICD10,
unabhängig von Lokalisation etc., als Fälle für seine Behauptungen
heranzieht, nicht nur jene, die in Hausmannstätten zu besonderer
menschlicher Tragik führten, werden auch alle übrigen Krebsforschungen
überflüssig. Was meint da die Ärztekammer dazu, wo doch “der
Umweltmediziner Dr. med. univ. Gerd Oberfeld als Experte der
Ärztekammer in Österreich allgemein bekannt und anerkannt ist“? Und wer wird diese Forschungen bezahlen? Die hinters Licht geführte Allgemeinheit?
Als artiger Wissenschaftler bedankt sich Dr. Oberfeld
…bei den nachfolgend angeführten Personen für die Unterstützung bei der Durchführung dieser Untersuchung…
o Herrn Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi, Medizinische Universität Wien
o Herrn Univ.-Prof. Dr. Lennart Hardell, Universität Örebro, Schweden
[…]
o Allen Studienteilnehmern
Von letzteren hat Oberfeld ihre Lebensgewohnheiten abgefragt, denen
sie vor 15 Jahren und mehr so nachgegangen sind. Seriöse Epidemiologen
sehen in solchen retrospektiven Selbstauskünften einen schwerwiegenden
Mangel, den recall bias. Dass ihn Dr. Hardell, ein anderer
Mobilfunkkritiker, vor diesem recall bias nicht gewarnt, hat ist
verständlich. Ist doch die Grundlage auch für Hardells
Veröffentlichungen die Methode der retrospektiven Selbstauskünfte. Dass
hingegen der Wiener Statistikexperte Dr. Kundi, der sehr viel Wert
darauf legt, Fehler im Studiendesign anderer aufzudecken, ihn nicht
davor gewarnt hat, ist einigermaßen verwunderlich. Kundi hätte Oberfeld etwa davor warnen können, nach Krebsfällen
genau dort zu suchen, wo nachgewiesenermaßen welche aufgetreten sind, oder davor, statistische Aussagen auf Fallzahlen von n = 2 (in
Worten: zwei) aufzubauen.
Wenn ich meinem pensionierten Postler glaube oder nicht, dass das
Wetter vor 20 Jahren besonders schlecht war – was soll’s? Wenn ich aber
auf einer möglichen, einzukalkulierenden Erinnerungslücke eines
Informanten (mit fraglichem sachlichem Bezug zur Materie) aufbauend
riskiere, Anrainer von Mobilfunkanlagen in Angst und Schrecken zu
versetzen, dann finde ich das verantwortungslos. Und das von einem
Arzt, von dem man annehmen darf, dass er weiß, dass Angst krank macht.
So weit so gut, oder besser: so schlecht. Die Sache mit dieser
“Studie” und der genannten Presseaussendung wirft aber noch ganz andere
Fragen auf. Als Urheber führt die APA das
Land Salzburg – Gesundheit, Hygiene und Umweltmedizin an, als Rückfragehinweis hingegen Dr. Phillip Lettowsky Tel. 0662/84 84 48 lawoffice@lettowsky.at.
Wenn die Rückfragen an das Büro von Dr. Lettowsky zu stellen sind,
warum führt die APA dann das Land Salzburg als Urheber an? Ist das eine offizielle Stellungnahme des
Landes Salzburg? Es soll offenbar so klingen. Weiß das auch die
Salzburger Landesregierung? Heißt das, dass das Land Salzburg diese
Aussendung zu verantworten hat? Wer bezahlt diese Aussendungen? Hat Dr.
Oberfeld diese “Studie” als Landesbeamter oder als Privatperson
durchgeführt?
Auf der offiziellen Homepage des Landes Salzburg führen links zu Aussagen des Dr. Oberfeld zu seinen Aktivitäten wie
• Hebung des Bewusstseins der Bevölkerung im Hinblick auf
Elektrosmog als mögliche Ursache ganz spezifischer Befindlichkeits- und
Gesundheitsstörungen• Gewinnung von verständnisvollen und für diese (neuen) Symptome offenen Ärzte
In meinen Augen ist das nichts anderes als Werbung für einen
gefährlichen Nocebo-Effekt. Norwegische Wissenschaftler haben in einer
Doppelblind-Studie nachgewiesen, dass die Ursache von Kopfschmerzen von
Probanden, die bereits nach kurzer Nutzung von Handys an diesen
Schmerzen litten, ein Nocebo-Effekt ist, also eine schädliche Wirkung
ohne realen Grund. Es bestand kein Zusammenhang mit dem
Hochfrequenzfeld und den Symptomen. In Werbeveranstaltungen für den
Glauben an die schädliche Wirkung des Mobilfunks – anders kann ich
seine Weiterbildungsveranstaltungen für Ärzte nicht nennen – zitiert Dr. Oberfeld gerne
die REFLEX-Studie, insbesondere die alarmierenden Ergebnisse der Wiener
Med-Uni Arbeitsgruppe um Prof. Rüdiger. Es geniert Dr. Oberfeld
überhaupt nicht, dass diese Ergebnisse frei erfunden waren, also
gefälscht sind.
Daher die Frage an die Salzburger Landespolitik:
Wie lange noch darf
Dr. Oberfeld den bedauernswerten Menschen, die an Krebs erkrankt sind
und zufällig in der Nähe einer Mobilfunkanlage leben, glauben machen,
dass die Ursache für ihre Krebsfälle und ihr Leid ausgeforscht wurde?
Gespannt darf man auch sein auf die Reaktion jener Beamten des
Gesundheitsministeriums, die alle Warnungen in den Wind schlugen, dass
Dr. Oberfeld irrt und die Dr. Oberfeld die Stange hielten, als es sich
bereits abzeichnete, dass er sich in Hausmannstätten verrannt hatte. Nicht zu vergessen die Österreichische Ärztekammer, deren “Umweltreferent” Dr. Oberfeld – noch immer – ist.
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