Als wissenschaftlich interessierter und skeptischer Medienbeobachter hat man ja weitaus mehr mit PR zu tun als einem lieb ist, sei es nun in Form von biosemiotischem Darwin-bashing, quantenmystischer Eigen-PR a la Froböse oder überbordenden Homöopathenfantasien. Passend dazu lese ich gerade mit steigendem Entsetzen aber großem Gewinn Nick Davies, 2008: Flat Earth News. (Untertitel: An award-winning reporter exposes falsehood, distortion and propaganda in the global media). Und während ich also studiere, wie die Mechanismen der PR systematisch am Ende zu teils arg verzerrten Darstellungen in der Presse führen, passiert genau dieses.
Am Anfang stand eine noch relativ harmlose Pressemeldung des Massachusetts General Hospital vom 29. Dezember des Vorjahres. Forscher dieser Einrichtung hatten soeben in der Zeitschrift Pediatrics eine Studie publiziert, die die Einstellung von Amerikanern zu den Gefahren des “third-hand smoke” erhoben hatte.
Diese per se wenig aufregende Pressemeldung führte anfangs zu ebenso wenig aufregenden Schlagzeilen, wie etwa der vom Boston Globe desselben Tages:
Große Beachtung fand die Meldung erst, nachdem die New York Times ihr am 3. Jänner einen Artikel gewidmet hatte, in dem sie die “neue Gefahr” betonte.
Sämtliche
Medien, die das Thema jetzt aufgriffen, kupferten mehr oder weniger
stark aus dem NYT-Artikel ab, peppten ihre Schlagzeilen dabei mitunter
noch etwas auf und verlagerten die inhaltliche Berichterstattung von
einer langweiligen Umfrage zu einer angeblich neuen und angeblich
“völlig unterschätzten” Gefahr. Zur Zeit stehen wir dabei etwa hier:
Das
Problem dabei ist, dass die Gefahr weder wirklich neu ist (die erste
Studie, die unter ähnlichen Schlagzeilen verbreitet wurde, stammt aus
2004), noch dass man sie seriöserweise als “völlig unterschätzt”
bezeichnen kann. Wie groß die Gefahr nämlich tatsächlich ist,
wusste man bisher mangels epidemiologischer Untersuchungen nicht und
weiß man heute mangels epidemiologischer Untersuchungen immer noch
nicht. Es fehlte und fehlt also eine quantitative Risikoeinschätzung in
der Fachwelt, und folglich ist auch die Diagnose der “völligen
Unterschätzung” eine Nullnummer. Das galt bereits vor drei Jahren:
Though scientists have extensive evidence about the damage caused by
secondhand smoke, they know relatively little about the potential risks
of thirdhand exposure, says Brett Singer, a scientist at California’s
Lawrence Berkeley Laboratory. “The million-dollar question is: How
dangerous is this?” Singer says. “We can’t say for sure this is a
health hazard.” (Hervorhebung UB)
Dieses nette kleine Beispiel für verzerrende Berichterstattung im Wissenschaftsjournalismus hielt ich vorgestern für einen Blogeintrag geeignet – und Stefan Niggemeier gestern ebenfalls. Er konzentrierte seine Kritik dabei auf den Spiegel Online Artikel,
der ein “riesiges Problem” ortete und von dem das Zitat der “völlig
unterschätzten” Gefahr stammt. So etwas nennt man im allgemeinen Panikmache, und diese ist zwar ein verbreitetes Phänomen, aber nicht unbedingt Kernaufgabe von Wissenschaftsjournalismus.
Während etwa Klaus Taschwer, verantwortlicher Wissenschaftsredakteur des (Print-) Standard, sich dieser Sichtweise anschließt,
tut Markus Becker, Ressortleiter Wissenschaft bei Spiegel Online, genau das Gegenteil. Zwar hat er den inkriminierten Artikel nicht selbst verfasst, er
trägt aber die journalistische Verantwortung für dessen Publikation.
Herr Becker hält Niggemeiers Kritik für unberechtigt und kritisiert die
Kritik dort in einem Blogkommentar.
Nun, das ist sein gutes Recht, doch Herr Becker sah sich gleichzeitig
auch veranlasst, in diesem Kommentar eine recht uninformierte Tirade
gegen mein vorgestriges Posting und gegen mich selbst loszulassen.
Darauf möchte ich hier kurz replizieren:
Zum Abschluss verlinken Sie auf einen haarsträubenden Beitrag des
Bloggers und Universitätsprofessors Ulrich Berger. Darin stellt Herr
Berger unter anderem Zigarettenrauch mit Käse- und Fäkaliengeruch auf
eine Stufe und schreibt über Zigarettenrauch: „Die Dosis macht
bekanntlich das Gift.”
Dass
die Dosis das Gift macht, sollte sich auch bis in die deutschen
Wissenschaftsredaktionen herumgesprochen haben, ich wüsste nicht, was
an dieser Feststellung verwerflich sein sollte. Aber dass ich
Zigarettenrauch mit Käse- und Fäkaliengeruch “auf eine Stufe gestellt”
hätte, ist eine perfide Unterstellung. Dem Leser wird damit suggeriert,
ich hätte irgendwie die Gefahr von Zigarettenrauch der von
Käsegeruch gleichgesetzt. Aufmerksame Leser meines Beitrags werden
dagegen feststellen, dass ich den Vergleich benutzt habe, um die
inhaltliche Leere des auf ORF ON zitierten “stinkend =
hochgiftig”-Arguments deutlich zu machen.
Am Ende fragt Herr Berger, wo die epidemiologischen Studien zur Gefahr
durch Rauchrückstände sind. Offenbar hat er sich nicht einmal die Mühe
gemacht, einen Blick in das Paper von Winickoff et al. zu werfen,
obwohl wir sogar einen direkten Link auf die frei zugängliche
PDF-Version gesetzt hatten. Denn im dortigen Literaturapparat wäre er
durchaus fündig geworden.
Also diese Behauptungen sind nun wirklich peinlich.
Erstens:
Ich bin zwar stets dankbar für Artikel, die ihre Quellen verlinken,
konnte den link beim Spiegel-Artikel aber leider nicht benutzen, da ich
bereits einen Tag vor dessen Veröffentlichung die Pediatrics-Studie studierte.
Zweitens:
Im Gegensatz zu Markus Becker habe ich die Literaturangaben in dieser
Studie nicht nur wohlwollend zur Kenntnis genommen, sondern vom
Großteil dieser Literatur auch die Abstracts gelesen, und wo notwendig auch
den Volltext.
Drittens: Eben weil ich mich auf diese Weise
informiert hatte, weiß ich, dass es genau gar keine epidemiologischen
Untersuchungen zu den Gefahren des third-hand smoking gibt. Wenn Herr
Becker also behauptet, ich hätte in den Literaturangaben fündig werden
müssen, dann möchte ich ihn höflichst ersuchen, doch eine entsprechende
Stelle zu nennen. Das würde dann eventuell auch Prof. Stanton Glantz von der UC San Francisco interessieren, der in einem gestrigen Artikel im Scientific American mit den Worten zitiert wird, er sei
not aware of any studies directly linking third-hand smoke to disease.
Kurz gesagt: si tacuisses, philosophus mansisses. Doch Herr Becker hat auch noch ein kleines ad hominem parat:
Es ist mir schleierhaft, warum Prof. Berger – nach eigenen Angaben
Spieltheoretiker mit mathematischer und wirtschaftswissenschaftlicher
Ausbildung – auf einem Gebiet polemisch aktiv wird, auf dem er
keinerlei Expertise besitzt und Letzteres mit seinen Aussagen auch
eindrucksvoll belegt.
Nun, und mir ist schleierhaft, wie ein leitender Wissenschaftsredakteur
mit einer Ausbildung in Anglistik, Geschichte und Literatur einem ihm
unbekannten Wissenschaftler und Blogger “keinerlei Expertise” vorwerfen
und gleichzeitig eindrucksvoll belegen kann, dass er sich bei seinen
Vorwürfen in keinster Weise von lästigen Fakten irritieren lässt.
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