Durchwachte Nacht entspricht 0,8 Promille
Was science.ORF.at uns hier am 17. Februar auftischte, ist leider Unsinn. Denn es gibt zwar tatsächlich eine neue “Schlafstörungsstudie” von Prof. Manfred Walzl, dem Leiter des Schlaflabors an der Landesnervenklinik Graz, doch deren Kernaussage ist eine völlig andere.
Vorab: Niederfrequente Magnetfelder sollen die Qualität des Schlafs beeinflussen können. Dazu existiert tatsächlich seriöse Literatur, aber das ist hier gar nicht das Thema. Denn auch diese Behauptung war nicht Gegenstand von Walzls Studie. Wie uns derStandard.at und KleineZeitung.at informierten, ging es nämlich in Wahrheit um folgendes:
Mit einem sogenannten intelligenten Kunststoff soll die “Unordnung” von
Magnetfeldern wieder stabilisiert werden. Der Kunststoff ist weder
magnetisch, noch benötigt er für seine Wirkung Strom.
Aufmerksamen Lesern dieses Blogs wird diese Behauptung vertraut
vorkommen. Und tatsächlich: Die Firma BiCoTec mit ihrem “Wirkträger”
namens AlphaPrevent ist es, die hier mit Herrn Walzls Unterstützung
wieder einmal ihrer Fantasie freien Lauf lässt.
Funktionsloser Kunststoff
Zur
Erinnerung: Der AlphaPrevent Wirkträger ist ein funktionsloser
Kunststoffstreifen, der laut BiCoTec-Geschäftsführer Wolfgang Homann
durch technische Geräte verursachte “Störungen” im natürlichen
Erdmagnetfeld wieder rückgängig machen soll. Ein Doppelbett ist ab schlanken € 229,- störungsfrei. Der Aufkleber tut das natürlich stromlos, ohne
Energieverbrauch und ohne selbst magnetisch zu sein. Das physikalische
Prinzip dahinter, das laut Homann “eigentlich recht einfach” ist, beruht
angeblich auf dem Spin von Elektronen der Wasserstoffatome in der
Luftfeuchtigkeit – eine Erklärung, die der Wiener Quantenphysiker Dr.
Florian Aigner als “weitgehend sinnfreies Gerede” qualifizierte.
Herr
Homann und sein Wirkträger haben eine gemeinsame Vergangenheit in einem
dubiosen Institut namens IIREC, das für den “Gabriel-Chip” Werbung
machte und mit dem Lottozahlenprognosenerfinder Hartmut Müller
kooperierte, der kürzlich wegen Beihilfe zum Betrug angeklagt wurde.
Die absurde Behauptung über die Wundertätigkeit des “intelligenten
Kunststoffs” wird gestützt durch ein abenteuerliches Messgutachten der
staatlichen Prüfanstalt TGM. Dabei wurde auf eine Kontrollmessung völlig
verzichtet und lediglich schwaches statistisches Rauschen im
Erdmagnetfeld dokumentiert. (Details dazu in meinem Artikel im
Laborjournal.) Das TGM-Gutachten löste bei Experten wie Prof. Dr. Ernst
Bonek von der TU Wien Entsetzen aus und war Gegenstand einer
Untersuchung durch das zuständige Ministerium.
Prof. Walzls Schlafstudie
Parallel
dazu nahm die Firma BiCoTec Kontakt zu Prof. Walzl auf und beauftragte
diesen mit einer Pilotstudie im Schlaflabor. Diese Studie wurde von Manfred
Walzl letztes Jahr mit 106 Probanden durchgeführt und erscheint in [Nachtrag vom 28.2.: Diese Info, die ich auf der Pressekonferenz von
wenigen Wochen in der arbeitsmedizinischen Fachzeitschrift ASU.
Prof. Walzl erhalten habe, war falsch. Wie der Verlagsleiter der
Zeitschrift ASU inzwischen mitgeteilt hat, wurde die Studie dort nach Begutachtung
abgelehnt.]
Laut
Walzl zeigte sich in der Studie eine deutlich verbesserte
Schlafqualität, wenn das Bett mit AlphaPrevent Aufklebern bestückt war.
Außerdem wurde die Studie laut Walzl placebokontrolliert, randomisiert
und doppelblind durchgeführt. Genaueres kann ich zum Studiendesign im
Moment noch nicht sagen, da der Volltext noch nicht publiziert ist.
Präsentiert
wurde Walzls Schlafstudie im Rahmen eines Pressefrühstücks am 17.
Februar. “Präsentiert” ist allerdings übertrieben. Die Vorstellung der
Studie selbst dauerte etwa drei Minuten – ein gutes Zehntel der Zeit,
die der Musikprofessor Wolfgang Hattinger am Podium für seine
ausgewalzte Anekdote (er schlief mit dem Kunststoff besser…)
aufwendete. Ansonsten handelte es sich wie erwartet um eine
Werbeveranstaltung der BiCoTec vor einem erstaunlicherweise völlig unkritischen
Journalisten(?)-Publikum.
Die Physik des Unmöglichen
Es
sollte eigentlich jedem Maturanten klar sein, warum die behauptete Wirkung des
AlphaPrevent völlig absurd ist. Dafür muss man nicht viel von Physik
verstehen, und schon gar nichts von Medizin. Der Knackpunkt ist
folgender:
Laut BiCoTec “stabilisiert” bzw. “entzerrt” der
AlphaPrevent jene Stellen im niederfrequenten Magnetfeld seiner Umgebung
(1 Kubikmeter), die durch technische Geräte verursachte Gradienten
(“Störstellen”) aufweisen. Da das Erdmagnetfeld selbst nicht völlig
homogen ist, sondern auch natürliche Gradienten besitzt, muss der
“intelligente” Kunststoff folgendes leisten:
- Er muss seine Umgebung beobachten und die Gradienten identifizieren können. (Dort drüben beim Radiowecker sehe ich einen starken Gradienten in Richtung Südwest.)
- Er
muss bei den identifizierten Gradienten “natürliche” und “künstliche”
unterscheiden können, d.h. er muss mit kontrafaktischen Annahmen
arbeiten können. (Wie würde das Erdmagnetfeld dort drüben aussehen, wenn dort kein Radiowecker wäre?) - Er
muss die als künstlich identifizierten Gradienten – und nur diese –
reduzieren, also die Stärke des Magnetfelds per Ferwirkung selektiv und
dauerhaft verändern. (Ich sende jetzt einen Spin-Kopplungs-Wasserstoff-Elektronen-Impuls zum Radiowecker und befehle ihm, dort zu verharren.) - Er muss dies alles ohne Energiezufuhr von außen leisten.
Beachten
Sie: Aus wissenschaftlicher Sicht ist jeder einzelne dieser vier Punkte
bereits für sich alleine genommen unmöglich. Um die behauptete Wirkung entfalten zu können, müsste der Kunststoffstreifen nicht nur im übertragenen Sinne “intelligent” sein. Er müsste tatsächlich ein
Bewusstsein besitzen und intelligente Entscheidungen treffen können. Dass er dabei auch die Hauptsätze der Thermodynamik umgehen müsste, ist da nur noch ein Detail am Rande.
Technisch gesehen basiert diese Einschätzung auf dem Bayes’schen Ansatz. Die a priori Wahrscheinlichkeit, dass der AlphaPrevent wie angegeben funktioniert, liegt im Bereich von Nanopromille. Die Wahrscheinlichkeit, dass Walzls Befund falsch positiv ist, liegt bei mindestens 5%. Das heißt, die a posteriori Wahrscheinlichkeit, dass der AlphaPrevent funktioniert, ändert sich so gut wie nicht. Es ist eben viele tausende Male wahrscheinlicher, dass das Studienresultat falsch positiv ist, als dass der AlphaPrevent funktioniert.
Aus diesem Grund gibt es übrigens in der Wissenschaft auch einen Konsens, dass einzelne RCTs weder dafür konzipiert noch dafür geeignet sind, Hypothesen zu testen, die extrem unplausibel sind, also eine extrem geringe a priori Wahrscheinlichkeit aufweisen. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers erster Art um vieles größer ist als die a priori Wahrscheinlichkeit, dann verliert eine einzelne Studie jegliche Aussagekraft. (Herrn Walzl dürfte das bewusst sein, denn er erwähnte beim Pressefrühstück am Rande, dass dies ja erst eine Pilotstudie sei und man das multizentrisch überprüfen müsste.)
Fazit: Im Gegensatz zu Herrn Homanns Behauptungen beweist die Schlafstudie rein gar nichts. Der AlphaPrevent Aufkleber ist ein teures und wirkungsloses Placebo.
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