Vorgestern erschien auf Seite 11 der Presse, die bekanntlich eine Qualitätszeitung sein will, ein Artikel zur Homöopathie in Form einer Buchvorstellung. Auf der Webseite der Presse ist dieser Artikel momentan der meistgelesene Artikel aus der Rubrik Gesundheit. Von der Presse wissen wir, dass in ihrer Gesundheitsredaktion Frau Richter sitzt, die nicht davor zurückschreckte, schreibend die kommerziellen Interessen ihrer eigenen Verwandtschaft zu bedienen. Ansonsten war die Presse aber in Sachen Alternativmedizin nicht besonders auffällig. Das hat sich mit dem gestrigen Artikel der studierten Germanistin und Anglistin Gerta Niebauer drastisch geändert. Seit Jahren habe ich in der österreichischen Qualitätspresse nicht mehr einen derart blamablen Artikel zu einem Gesundheitsthema gelesen.
Zum Thema Homöopathie gibt es laut Amazon 8.437 einschlägige Bücher. Man
sollte also meinen, der Bedarf sei annähernd gedeckt. Aber nein,
kürzlich ist wieder ein neues solches Buch erschienen, in dem der
Heilpraktiker Sven Sommer seine Sicht der Homöopathie vorstellt. Die
Presse hält dies offenbar für berichtenswert. Frau Niebauers Lobrede auf
dieses Buch erscheint also in Druck, eine Kennzeichnung als bezahlte
Anzeige ist nicht ersichtlich. Der Verlag war sicher dankbar.
Eigene Meinung
In seinem neuen Buch, so Frau Niebauer, versucht der Autor, “anhand von neuen wissenschaftlichen Daten dem Leser zu einer eigenen Meinung zu verhelfen.”
Ein Buch also, das wissenschaftliche Daten präsentiert und die Frage
nach der Wirksamkeit offen lässt, auf dass der Leser sich seine eigene
Meinung bilde? Wohl kaum. Das Buch trägt nämlich den Titel “Homöopathie. Warum und wie sie wirkt.” In welche Richtung die Meinungsbildung des Lesers gelenkt wird, dürfte also nicht allzu schwer zu erraten sein.
Verdünntes Aspirin
Das Grundprinzip der Homöopathie ist das “Ähnlichkeitsprinzip”. Laut Frau Niebauer bedeutet dies, “dass eine Substanz, die eine bestimmte Krankheit hervorruft, diesen Zustand auch heilen kann.”
Nur ist dies leider nicht richtig. Substanzen erzeugen laut Homöopathen
beim Gesunden keine Krankheiten, sondern lediglich Symptome. Sei’s
d’rum! Frau Niebauer gibt uns ein Beispiel:
Am Beispiel Aspirin, einem Blutverdünnungsmittel, das in der Dosis von
50 bis 100 mg verabreicht wird, konnte gezeigt werden, dass bei gesunden
Testpersonen Aspirin in 100-facher Verdünnung die Blutverdünnungszeit
verkürzt, also die Wirkung des hoch dosierten Aspirins aufhebt: ergo
Gleiches mit Gleichem ausschaltet.
Das Wort
“Blutverdünnungszeit” existiert in der deutschen Sprache nicht. Gemeint
ist offenbar “Blutgerinnungszeit”. Es ist nicht ganz klar, ob Frau
Niebauer hier ihre eigenen Weisheiten zum Besten gibt, oder die des Herrn
Sommer. Für den Leser spielt das aber ohnehin keine große Rolle. Die Behauptung
“es konnte gezeigt werden” bezieht sich offenbar auf eine einzige und 13 Jahre alte Studie,
an der der Forschungsleiter der Homöopathiefirma Boiron aktiv
mitgewirkt hat. Die Studie wurde nie repliziert und wird es auch nicht werden. Sie ist methodisch derart abstrus, dass sie es
auf pubmed auf ganze drei Zitationen – alle von Homöopathen – gebracht
hat.
Der erste Teil des Buches, so Niebauer weiter, …
[…] geht auf neue Erkenntnisse und Theorien ein. Um den Vorwurf der
Placebowirkung zu entkräften, wurden zahlreiche Versuche auch an Tieren
unternommen, etwa bei Vergiftungserscheinungen oder Wundheilung.
Was
die “neuen Erkenntnisse und Theorien” sein sollen, erfährt der neugierige Leser nicht.
Stattdessen erfährt er, dass es Versuche an Tieren gab. Wie diese
Versuche ausgegangen sind, erzählt uns Frau Niebauer auch nicht. Wir
wissen es zwar (insgesamt negativ), vermuten aber, dass Herr Sommer bzw. sein Sprachrohr das ganz anders sehen dürften.
Der Machotyp und die Frau im Wechsel
Im zweiten Teil des Buches, so informiert uns die Presse, …
[…] werden die zehn häufigsten Persönlichkeitstypen vorgestellt. Da gibt es
den Ängstlichen, den Perfektionisten oder den Machotyp, den Managertyp
oder die Frau im Wechsel, sie sprechen auf ganz verschiedene
Ausgangsstoffe an.
Aha. Der Buchautor übt sich also in Hobbypsychologie. Sind das jetzt die “neuen Erkenntnisse und Theorien”? Und was würde Herr Sommer eigentlich einem Skeptiker entgegnen? Ach ja:
Im dritten Teil des Buches „Homöopathie in der Praxis” werden 180
bewährte Tipps für die Selbstbehandlung gegeben. Dieser Teil soll vor
allem Skeptiker von der vielfältigen Anwendungsmöglichkeit überzeugen.
Klar, das ist wichtig. 180 Tipps – da wirft der Skeptiker sicher gleich das Handtuch! Und die Skeptiker kommen gleich noch ein zweites Mal ins Spiel:
Es gibt aber auch Hochpotenzen, die um das Milliardenfache verdünnt
sind. „Was soll da noch drinnen sein?”, fragen die Skeptiker.
Um das “Milliardenfache” verdünnte Hochpotenzen soll es geben? Frau Niebauer, als einer dieser staunend fragenden Skeptiker kann ich Ihnen versichern, dass uns milliardenfache Verdünnungen höchstens zum Gähnen bringen. Eine typische homöopathische Hochpotenz wie C30 ist
nämlich um den Faktor 1000000000000000000000000000000000000000000000000000 stärker verdünnt als “milliardenfach”, und für eine C1000 Potenz stellen Sie sich hier einfach 1991 Nuller nach dem Einser vor.
Biophysikalischer Effekt
Aber Polemik beiseite, denn jetzt wird es ernst. “Biophysikalischer Effekt” verkündet der Zwischentitel, und was dann kommt, klingt tatsächlich interessant, weil neu:
Dass
dennoch eine Wirkung eintritt, wird neuen Theorien zufolge auch einem
biophysikalischen Effekt zugeschrieben.
“Ja welche neuen Theorien denn? Und welchem biophysikalischen Effekt?” brennt es da dem neugierigen Leser schon unter den Nägeln. Tja, da hat er Pech gehabt. Denn mit derlei Nebensächlichkeiten will Frau Niebauer ihre Leser offenbar nicht behelligen. Das Wort “biophysikalisch” alleine muss ausreichen, klingt ja auch total wissenschaftlich, oder?!
Viel wichtiger als dieser Biodingseffekt ist der Presse-Journalistin die abschließende Feststellung …
Bisher hat allerdings auch noch niemand die Unwirksamkeit der Homöopathie hundertprozentig nachweisen können.
Echt jetzt? Da sind wir Skeptiker aber baff!
Das traurige an der Sache ist das, was die Auswahl des zu besprechenden Buchs, der Stil und die Argumentation des Artikel nahe legen: Die Presse hält die Leser von Artikeln zur Alternativmedizin offenbar für geistig beschränkt – eine Tendenz, die man übrigens auch in anderen Medien beobachten kann.
Wer das nicht nachvollziehen kann, sollte kurz folgendes Gedankenexperiment anstellen: Im Wirtschaftsteil der Presse erscheint eine Buchvorstellung zum neuesten Werk des Anlageberaters Gustav Glaubemir über die Finanzkrise und deren wahre Ursachen. Der Rezensent fasst zusammen:
Die Ursache der Finanzkrise wird neuen Theorien zufolge auch einem finanzwirtschaftlichen Effekt zugeschrieben. […] Zwar gibt es viele Skeptiker, doch bisher hat noch niemand die Theorien von Herrn Glaubemir hundertprozentig widerlegen können.
Was meinen Sie, wie oft dürfte dieser Rezensent noch für die Presse schreiben?
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