Jetzt ist schon wieder was passiert.
Sie erinnern sich: Im August erlebten wir GEOs publizistischen Absturz mit Alternativmedizin, im September mussten wir Herrn Dellmours pseudowissenschaftliche Homöopathie-PR auf derStandard.at ertragen. Im Oktober erstaunte uns Die Presse, als sie mit einem unterirdisch unkritischen Homöopathie-Artikel einen neuen Tiefenrekord im Segment der Qualitätspresse aufstellte. Und jetzt ist immer noch Oktober, und schon schaffen es die Salzburger Nachrichten, diesen Rekord glatt zu egalisieren.
Die Salzburger Nachrichten, kurz SN, das muss man unseren nördlichen Nachbarn an dieser Stelle vielleicht kurz erklären, sind trotz ihres Namens kein unbedeutendes Provinzblatt, sondern eine österreichweit erscheinende sogenannte Qualitätszeitung. Bemerkenswert ist, dass wir auch in der SN dasselbe Phänomen wie zuletzt in Der Presse beobachten können: In Artikeln zur Alternativmedizin, speziell zur Homöopathie, vollzieht sich bereits in den ersten Zeilen ein unvermittelter infantiler Regress. Die zu einem Großteil akademisch gebildeten Leserinnen und Leser werden plötzlich wie kleine Kinder behandelt, denen man die mysteriöse Welt in blumigen Metaphern erklären muss, damit sie intellektuell nicht überfordert werden.
Heiße Informationen
In dem gegenständlichen Artikel vom 17.10.2011 mit dem etwas krampfhaft auf Sprachwitz getrimmten Titel Globuli geben dem Körper heiße Informationen geschieht genau das.
Ein Fieberkranker liegt mit hochrotem, heißem Gesicht, klopfenden
Kopfschmerzen und lichtempfindlichen Augen darnieder. Bringt man nun
dieses bestehende Krankheitsbild mit der homöopathischen Information
„rot, heiß, pochend und lichtempfindlich” in Form von Belladonna-Globuli
in Kontakt, kommt bildlich gesprochen ein Fass zum Überlaufen. Es ist,
als ob die Eigenregulationskraft sagt, „jetzt reichts”, richtig aktiv
wird und für Ordnung und Gesundung sorgt.
Der Rest des
Artikels besteht fast ausschließlich aus völlig unkritischer
Homöopathiewerbung, inklusive einer Auflistung aller möglicher Krankheitsbilder,
bei denen Globuli angeblich wunderbar helfen sollen: Bei Infekten, bei
Heuschnupfen, Kopfweh und Stimmungstiefs, bei Bronchitis, bei
Schwächezuständen nach Pfeifferschem Drüsenfieber, bei wiederkehrende
Kopfschmerzen und Wundheilungsstörungen, bei Schwangerschaftsübelkeit,
Blähungskoliken und Zahnungsbeschwerden ebenso wie bei Unruhe, Konzentrationsschwäche, Versagensängsten, Mobbing und
Überlastungssymptomen.
Esoterische Ausbildung
Die Autorin der Jubelarie, Frau Barbara
Stelzer, ist keine Ärztin, sondern Heilpraktikerin in Bad
Reichenhall gleich hinter der deutschen Grenze. Ihre Kompetenz liegt in
einem Lehramtsstudium Französisch/Italienisch begründet, auf das sie
eine “Ausbildung in Energiefelddiagnose und -therapie” bei einer deutsch-amerikanischen Hardcore-Esoterikerin draufsetzte. Seither weiß sie, “dass Krankheit und Gesundheit maßgeblich
von Schwingungsfeldern bestimmt werden, die mit rein schulmedizinischen Methoden
nicht erfasst werden können.” Nach Heilpraktiker- und Homöopathieausbildung ging es weiter mit “Familienstellen, Enneagramm und Archetypenlehre“.
Neben Homöopathie bietet sie in ihrer Praxis auch die Andichtung von
Nahrungsmittelunverträglichkeiten mittels Pendel und Wünschelrute für €
80,- an, umschrieben mit “individuelle Nahrungsmittelaustestung, radiästhetisch“.
Globuli für Vergewaltigungsopfer
Esoterischer
Bullshit also, wohin man schaut. Die SN aber halten es offenbar für
vertretbar, dass ihre Autorin, die weder Ärztin noch Psychotherapeutin
ist, wirkstofffreie Placebokugerl für Opfer von Vergewaltigungen
empfiehlt:
Potenzierte Arzneien können direkt nach
Unfällen oder Vergewaltigungen, aber auch Jahre später helfen, ein
schockerstarrtes System in eine heilsame Bewegung zu leiten.
Der
Auftritt von Frau Stelzer in den Salzburger Nachrichten ist leider
nicht einmal als einmaliger Ausrutscher entschuldbar. Tatsächlich darf
sie dort seit drei Jahren regelmäßig Kolumnen zur Homöopathie schreiben. Warum, darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht hat Frau Stelzer ja aus ihrer Zeit “als Journalistin in den Lokalredaktionen von ORF Radio Salzburg und den Salzburger Nachrichten”
noch alte Bekannte in der Redaktion sitzen. Denn auch wenn
SN-Chefredakteur Manfred Perterer in seinem Blog völlig richtig feststellt: “Manche Zeitungen sind offenbar käuflich geworden” – soweit wollen wir mit unseren Mutmaßungen hier doch nicht gehen!
PR-Journalismus
Die Leserinnen und Leser der Salzburger Nachrichten sind zu recht empört über diese Art des PR-Journalismus. Ein paar Auszüge aus Leserbriefen zum Artikel machen das deutlich:
Mich wundert es daher sehr, dass die Salzburger Nachrichten als
Qualitätszeitung (sic!), einen solch einseitigen und mit
Falschinformationen gespickten Bericht überhaupt drucken kann.
Auf
kritische Worte zur Homöopathie hofft man bei der Lektüre des Artikels
jedoch vergeblich. […] Bei einem solch einseitigen Plädoyer wäre
zumindest eine Angabe des
Hintergrunds der Autorin angebracht, wie das auch bei anderen
Kommentaren der Fall ist.
Ich nehme mit großer Freude zur Kenntnis, dass ich nicht die einzige
Person bin, der dieser homöophatische Jubeljournalismus der SN
unangenehm auffällt. Statt Fakten und Informationen bekommt man hier
persönliche Meinungen und Vorlieben.
Die SN scheinen ein Naheverhältnis zu Homöopathie-Gläubigen zu haben,
oder zumindest zu einer angeblichen Expertin für Homöopathie. Ist ja
vermutlich auch ein gutes Geschäft. […] Leider wird die Zeitung mit so etwas immer mehr zum Provinzblatt.
Wirklich gute Zeitungen hätten selbstverständlich auch die andere Seite
zu Wort kommen lassen.
Ratschlag
Die Salzburger Nachrichten sollten vielleicht von Der Presse lernen. Deren Chefredakteur signalisierte einem empörten Leserbriefschreiber nach dem eingangs zitierten Fiasko Zustimmung und kündigte an, er “werde mit der zuständigen Kollegin ein ernstes Gespräch führen.” Das wäre immerhin ein Anfang!
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