Gestern Abend lief Heute Abend läuft die angeblich definitiv letzte Wetten, dass …? – Sendung mit Thomas Gottschalk, und ich nehme das zum Anlass für einen kleinen Rückblick auf einen “vergessenen Skandal”.
Zuerst der nicht vergessene Skandal: Es ist bereits 23 Jahre her, aber viele von Ihnen können sich sicher noch an die Wetten, dass…? – Affäre von 1988 erinnern. Damals hatte sich der Titanic-Redakteur Bernd Fritz unter Pseudonym als Wettkandidat eingeschlichen. Er behauptete, er könne die Farbe von Buntstiften nur am Geschmack erkennen. Nachdem er seine Wette bravourös gewonnen hatte, löste er den Trick auf. Fritz hatte bei der Buntstiftverkostung ganz einfach unter dem Rand seiner undurchsichtigen Schibrille durch gelinst.
Wirklich bemerkenswert daran aber ist, dass sich Thomas Gottschalk 17 Jahre später durch genau denselben Trick abermals reinlegen ließ. Und niemand – naja, fast niemand – hat’s gemerkt. Im Gegenteil – nachdem die beinahe völlig blinde Gabi Simon (nach eigenen Angaben 1,5% Sehvermögen) anno 2005 bei ihrem Wettauftritt trotz zusätzlicher Augenbinde die Farben von mehreren Kleidungsstücken nur durch Betasten mit den Fingern erkannt hatte, war die Begeisterung allenthalben groß. Die Spekulationen von selbsternannten Experten überschlugen sich; von “Synästhesie” war ebenso die Rede wie von den unterschiedlichen Härtegraden von Textilfarben, von Wärmegraden von verschiedenfarbigen Stoffen, vom bemerkenswert geschärften Tastsinn von Blinden, und natürlich von der Wissenschaft, die halt vieles einfach noch nicht erklären können. Selbst ansonsten seriöse Medien kamen nicht auf die naheliegendste Erklärung. Die NZZ verstieg sich gar zu der Belehrung
Das alles ist natürlich noch kein strenger Beweis für Simons Fähigkeit, aber die experimentellen
Fakten sprechen für sie. Es ist ausserdem ein wissenschaftliches Prinzip, dass man ein Phänomen nicht nur
deswegen bestreitet, weil man es nicht erklären kann, es sei denn, es widerspricht anderen gesicherten
Erkenntnissen. Das aber ist hier allem Anschein nach nicht der Fall. Ein Gegenbeispiel wäre etwa die
Homöopathie, die ihre «Urtinkturen» so stark verdünnt, dass in den Präparaten kein Wirkstoff mehr vorhanden
ist.
Nun, die Wissenschaft war hier der falsche Ansprechpartner. Trickexperten wie James Randi ließen sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Simon habe, so erklärte Randi, unter der Augenbinde durch geschaut und mit ihrem verbleibenden Sehvermögen die Farbe des Hemds schlicht und einfach gesehen. Die GWUP erklärte sich bereit, den Test für Randis Million-Dollar-Challenge durchzuführen. Die freundliche Einladung zu einem simplen Test unter kontrollierten Bedingungen lehnte Frau Simon leider ab.
Doch damit war die Affäre noch nicht zu Ende. Wegen “Betrugsvorwürfen” fuhr Gottschalk extra zu Gabi Simons Wohnung, um sie vor der Kamera und mit einem Pfarrer als vertrauenswürdigem Zeugen einem verschärften Test zu unterziehen – mittels vierfacher Verblindung!
Zuerst bekam der Pfarrer die vierfache Verblindung verpasst und bestätigte, dass er nichts sehen könne. Danach wurde Gabi Simon verblindet: Zunächst mit einer Schwimmbrille, darüber kam dann eine Schlafmaske, über diese eine Augenbinde und zu guter Letzt wurde ihr noch ein Stoffsack über den Kopf gestülpt. Erst dann öffnete Gottschalk einen Koffer, kramte ein Hemd hervor und breitete es vor Gabi Simon aus. Diese nahm es in die Hand und erklärte nach wenigen Sekunden des Reibens und Tastens: “Blau-weiß gestreift.” Und das war korrekt! Damit, so Gottschalk, der dieses Video in der nächsten Wetten dass Sendung im Zeitraffer vorführte, sei die Sache doch wohl erledigt, obwohl: “Ein paar Zweifler wird es immer geben.”
Und tatsächlich: im fernen Wien saß zur gleichen Zeit ein notorischer Zweifler, der damals noch nicht einmal wusste, was ein Blog ist, vor dem TV-Gerät und ließ den Videorecorder mitlaufen. Warum der Zeitraffer?, fragte er sich. Freilich, das spart wertvolle Sendezeit, und Gottschalk überzieht ohnehin ständig. Aber es könnte auch noch einen anderen Vorteil haben, die vierfache Verblindungsprozedur von Gabi Simon auf fünf Sekunden zu raffen. Es könnte zum Beispiel dazu dienen, etwas zu verstecken, was sonst allzu offensichtlich geworden wäre: Dass Gabi Simon schon wieder schummelte.
Nach jeder einzelnen Verblindung griff sie zu ihrem Gesicht. Sie rückte ihre Schwimmbrille zurecht, positionierte ihre Schlafmaske neu, fummelte an ihrer Augenbinde herum und griff am Ende auch noch ganz ungeniert unter den vorderen Rand des Stoffsackes. Nachdem sie auf diese Weise einen senkrechten Blickkanal geschaffen hatte, zog sie das vor ihr liegende Hemd unter ihr Kinn zu ihrer Bluse – zu Vergleichszwecken, wie sie sagte – und “ertastete” die richtige Farbkombination.
Wenn man nicht vorgewarnt ist, übersieht man das im Zeitraffervideo leicht. Die einzelnen frames aber sind relativ eindeutig:
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