Doch kehren wir lieber zurück zur medizinischen Wissenschaft:
„Der kritische Review im Lancet im vergangenen Jahr ist von vielen Gegnern benutzt worden, den Niedergang oder sogar das endgültige Aus der Homöopathie zu verkünden. Doch das Gegenteil scheint einzutreten. Die Leute sind nicht sehr beeindruckt worden von Argumenten, die in einer voreingenommenen [biased] Meta-Analyse dargelegt wurden, welche nicht die üblichen Standards der biomedizinischen Forschung und der medizinischen Statistik einhielt.“
Gemeint ist die Meta-Analyse von Shang et al, Lancet 2005;366:726-732. Zu den Leuten, die von ihr nicht sehr beeindruckt sind, zählen u. a. die für ihre Objektivität bekannten H. Walach und G. Lewith[20] und der Forschungsdirektor von Boiron, Philippe Belon. Boiron ist der internationale Marktführer bei Homöopathika. U. a. wird bemängelt, dass die Autoren der Meta-Analyse es “versäumen, die aufkommenden grundlegenden wissenschaftlichen Belege für die Aktivität von ultramolekularen Verdünnungen zu erwähnen“[21]. Solche Kritiker sind durch keine Art von Evidenz zu beeindrucken, fürchte ich. Auch wer sein Brot in der römisch-katholischen Kirche verdient, wird von Kritik an Glaubensinhalten, wie schlüssig auch immer sie sein mag, „nicht sehr beeindruckt“ sein. In Homeopathy ist 2008 eine Re-Analyse erschienen, die zu dem Schluss kommt, „dass die Qualität homöopathischer Therapiestudien besser ist als die von konventionellen Studien“[22]. Auch eine „Sensitivity analysis“ von R. Lüdtke et al, dem Statistiker der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, meint, dass “Shangs Resultate und Schlussfolgerungen weniger definitiv sind, als sie dargestellt“[23] wurden. „Die Lancet-Redaktion … hatte nicht den Mut, die Re-Analysen von Rutten, Stolper und Lüdtke zu publizieren.“[24]. Im Ernst: solche Meta-Analysen versprechen ebenso viel Erkenntnisgewinn wie DNA-Sequenzierungen von Kobolden oder geologische Studien von Narnia, sagt Professor Brubaker[25]. Seit David Hume weiß man (wenn man es wissen will): die Glaubwürdigkeit von Wunder-Berichten leidet prinzipiell darunter, dass die Unzuverlässigkeit der Zeugen stets die wahrscheinlichere Erklärung ist.
Schließlich: Wie steht es um die Zukunft der Homöopathie?
„Ich bin überzeugt, dass die Homöopathie eine Zukunft hat, sogar eine glänzende, nicht nur in den sich entwickelnden Ländern, wo sie eine billige und potente Medizin ist, sondern auch in den westlichen Ländern, wo der demografische Trend und die Zunahme der chronischen Erkrankungen mehr und mehr Menschen nach Hilfe außerhalb der Biomedizin suchen lassen wird.“
Was die Prognose hierzulande angeht, mag sich jeder selbst ein Urteil bilden. Die WHO jedenfalls warnt vor den Risiken der Homöopathie in den Entwicklungsländern bei der Behandlung von HIV, Tuberkulose, Malaria oder Diarrhöe, da sie dort als wirksame Alternative, nicht als zusätzliche Therapie, angesehen würde.[26]
Ziehen wir Zwischenbilanz, was wir für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach dem Verhältnis von Naivität zu Unehrlichkeit gewonnen haben. Leute, die die Lektüre der Hahnemannschen Krankenjournale empfehlen, um die medizinische Versorgung von heute zu verbessern, können nicht ganz ernstgenommen werden – doch das hilft zunächst nicht weiter. Wenn man dies aber in Kenntnis z. B. des oben zitierten Berichts[12] und, nicht minder entlarvend, der Briefe Fritz Donners tut, dann ist das nur als bewusster Akt möglich. Überhaupt ist der Umgang der Homöopathen mit dem Bericht geeignet, weiteres Licht auf unsere Angelegenheit zu werfen. Jütte selbst nimmt wie folgt Stellung:
„An diesen Überprüfungen [der Homöopathie, 1936-1939] war auch der damals an der homöopathischen Abteilung des Rudolf Virchow Krankenhauses in Berlin tätige Arzt Dr. med. Fritz Donner (1896-1979) maßgeblich beteiligt. Sein ungedruckter Bericht über diese Versuche, der allerdings quellenkritisch sehr problematisch ist, da er erst ungefähr zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst wurde und stark subjektiv geprägt ist, wird von Gegnern der Homöopathie bis heute immer wieder herangezogen, um einerseits zu zeigen, welches große Interesse die damaligen Machthaber an der Homöopathie hatten, und andererseits den fehlenden Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie zu belegen. Durch den Kriegsausbruch im Jahre 1939 fanden die Überprüfungen im Auftrag des Reichsgesundheitsamtes ein jähes Ende. Einen Abschlussbericht gibt es daher nicht. Die Originalunterlagen, die nach Donners Angaben den Krieg überdauert haben, sind bislang noch nicht wieder aufgetaucht und müssen als verschollen gelten, so dass man sich, wie Harald Wallach [sic] mit Recht betont, davor hüten muss, allein auf der Grundlage des sogenannten Donner-Reports ‚das Kind mit dem Bade auszuschütten und alle homöopathischen Effekte als Placebo-Effekte zu verstehen.‘“[27] [Hervorhebungen durch mich]
Jütte versucht so, die radioaktive Strahlung aus dieser Kernschmelze der Homöopathie mit einem Beton-Sarkophag abzuschirmen. Souverän werden die außerordentliche Detailfülle, die intime Sachkenntnis (Donner war Autor von ca. 80 homöopathischen Arbeiten) und die zahlreich angeführten Belege aus der Literatur (er war geradezu „der Quellenforscher par excellence“[15] und „das wandelnde homöopathische Lexikon“[28]) unterschlagen. Es ist überhaupt kein Grund erkennbar, an der Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit Donners zu zweifeln, und nichts deutet auf seine Böswilligkeit hin: es handele sich nur um eine „kurze und alles Peinliche weglassende Arbeit“, die versucht, „in ganz milder Form die in Wunschträumen lebenden homöopathischen Kollegen an Hand meiner Erlebnisse auf die rauhe Wirklichkeit hinzuweisen“ (Brief an Schoeler). Schließlich hat er auch darauf verzichtet und die Arbeit ganz zurückgezogen. Aus heutiger Sicht: hätte er alles Peinliche weggelassen, hätte er gar keinen Bericht schreiben können. Auch sind die Gegner der Homöopathie noch ein bisschen unverschämter als dargestellt: sie sehen in dem Bericht nicht den fehlenden Wirkungsnachweis, sondern den Nachweis der fehlenden Wirkung, was bekanntlich nicht dasselbe ist.
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