Das Anfang Oktober erschienene Buch von Christian Weymayr und Nicole Heißmann mit dem Titel “Die Homöopathie-Lüge – So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen” ist in Skeptikerkreisen natürlich bereits bestens bekannt. Wer derzeit nach dem Titel des Buchs googelt, der findet auf den vorderen Rängen u.a. die Verlagsseite und die Amazon-Seite des Buchs, die Ankündigung im GWUP-Blog und die Rezension des Sciencebloggers Florian Freistetter. Dazwischen und dahinter findet man diverse ebenso wütende wie inkompetente Verrisse von Homöopathen und Homöopathiefreunden – die meisten davon wurden interessanterweise bereits vor dem Erscheinen des Buchs verfasst. Links zu weiteren Reaktionen und Rezensionen gibt es auf Herrn Weymayrs Webseite zum Buch.
Meiner bescheidenen Meinung nach ist das Werk von Weymayr und Heißmann nichts weniger als das ultimative populärwissenschaftliche Buch zur Homöopathie. Man sollte es jedem Menschen, der sich auch nur ein klein wenig für Homöopathie und die Kontroverse um diese paramedizinische Lehre interessiert, unter den Weihnachtsbaum legen. (Falls Sie dazu beitragen wollen, dann bestellen Sie das Buch am besten über diesen link, dann profitiert nämlich auch die GWUP ein klein wenig davon!)
Für eine detailliertere Inhaltsangabe verweise ich auf Florian Freistetters Rezension. An dieser Stelle möchte ich nur ein paar Punkte hervorheben, die mir wesentlich erscheinen:
Weymayr und Heißmann haben offenbar sehr intensiv und in alle denkbaren Richtungen recherchiert. So beschreiben sie nicht nur ausführlich und kenntnisreich die Rolle der “alternativen” Pharmaindustrie im Homöopathie-Marketing, sondern auch die der Ärzte, der Apotheken und der Krankenkassen sowie der Medien. Auch die unrühmliche Rolle mancher Universitäten wird gebührend gewürdigt. Außerdem gehen sie sehr detailliert auf die historischen, politischen und rechtlichen Verwicklungen ein, die zu der Zumutung der Sonderstellung der “besonderen Therapierichtungen” geführt haben.
Besonders beachtenswert ist meiner Meinung nach Weymayrs und Heißmanns Kritik an der Herangehensweise der evidenzbasierten Medizin (EbM) an abstruse Pseudotherapien wie die Homöopathie. Die EbM behandelt diese nämlich “unvoreingenommen” im schlechtesten Sinne, und studiert deren Wirksamkeit mithilfe von klinischen Studien, ohne dabei die Plausibilität aus naturwissenschaftlicher Sicht zu berücksichtigen. Dabei begeht sie einen Fehler, der als base rate fallacy bekannt ist – sie ignoriert unser wissenschaftliches Vorwissen in Bezug auf die Möglichkeit einer spezifischen Wirksamkeit von homöopathischen Hochpotenzen. Der wissenschaftlich korrekte Zugang wäre jener des bayesianischen Ansatzes, der aus fundamentaler wissenschaftlicher Logik folgt. (Eine allgemeinverständliche Einführung dazu gibt es z.B. auf sciencebasedmedicine.org.)
Weymayr und Heißmann bringen das Problem der EbM-Methodik auf den Punkt: Klinische Studien sind nicht dazu geeignet, naturwissenschaftlich extrem unplausible Therapieansätze wie die Homöopathie zu testen. Da die Anfälligkeit für systematische Verzerrungen (bias) auch in methodisch guten klinischen Studien sehr hoch ist, steigt bei herkömmlichen Hypothesentests die Rate der falsch-positiven Resultate mit abnehmender Plausibilität der getesteten Therapie. Am Ende misst man durch solche Studien also nicht die Wirksamkeit der Homöopathie, sondern lediglich das Ausmaß der der Methodik inhärenten Verzerrungen. Man gewinnt auf diese Weise keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern spielt damit nur jenen Pseudowissenschaftlern der Homöopathieszene in die Hände, die dann mit einzelnen positiven Studien herumwedeln, um einem Laienpublikum weiszumachen, an der Homöopathie sei irgendetwas “wissenschaftlich bewiesen”.
Wie aktuell diese Problematik ist, konnte man unlängst in Wien beobachten, wo die heimischen Homöopathievereine zu einem “Wissenschaftssymposium” luden, auf dem – Überraschung – mit drei über 7 Jahre alten “positiven” Homöopathiestudien herumgewedelt und die Schnapsidee der “Einzelfallstudie” (aka Anekdote) promotet wurde. Dass der Eröffnungsvortrag über Wissenschaft von einem Nichtwissenschaftler und Faktenverdreher präsentiert wurde, der nicht nur große Probleme mit dem p-Wert hat, sondern für sein abstruses Wissenschaftsverständnis von dem Physiker Joachim Schulz bereits für das Goldene Brett nominiert worden war, fiel den unkritisch berichtenden Medien nicht auf.
Zurück zum Buch. Die Darstellung der Homöopathie-Kontroversen ist mit Stand August 2012 äußerst aktuell und der skeptisch vorgebildete Leser wird vermutlich einige deja-vu Erlebnisse haben. So ist etwa GEOgate ebenso ein Thema wie die Vorgänge rund um Hogwarts an der Oder und die schmutzigen Methoden der gar nicht so sanften Paramedizin.
Wichtig erscheint mir auch ein von den Autoren mehrfach betonter Punkt, den ich selbst bereits seit Jahren zu vermitteln versuche: Die direkten und indirekten Risiken der Homöopathie sind vergleichsweise gering gegenüber ihrem kollateralen Hauptschaden: der schleichenden Verdummung der Gesellschaft. So heißt es im Klappentext über die “weißen Kügelchen”:
Teuer und wirkungslos wecken sie falsche Hoffnung und verhindern im schlimmsten Fall echte Therapien. Vor allem aber untergraben sie ein Denken, das auf rationalen Kriterien beruht – wer Homöopathie für möglich hält, muss alles für möglich halten.
Damit diese Rezension keine unkritische Lobeshymne wird, am Ende ein paar kleine Kritikpunkte: Die Erklärung von statistischer Signifikanz ist etwas unsauber geraten, was in einem populärwissenschaftlichen Buch aber vermutlich verschmerzbar ist. Der Psychologe, CAM-Forscher und Goldbrett-Träger Harald Walach ist zwar ein Homöopathie-Freund, aber gewiss kein “Homöopath“. Linde und Jonas haben in ihrem Leserbrief an den Lancet 2005 nicht “schwere Fehler” der Shang-Metaanalyse kritisiert, sondern lediglich zwei Probleme aufgezeigt, von denen sich eines schon vor Jahren erledigt hat. Was ich bereits mehrmals vermisst habe, war außerdem ein Stichwortverzeichnis. Und zu guter Letzt fürchte ich auch, dass der reißerische Titel einige in der Homöopathiefrage noch unentschiedene potenzielle Leser vom Kauf oder der Lektüre zurückschrecken lassen wird. Das wäre schade, denn dieses Buch verdient so viele Leser wie möglich. Man sollte es ein wenig kleiner drucken und als verpflichtenden Beipackzettel jedem Fläschchen Globuli beilegen.
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