Ein Gastbeitrag von Philippe Leick
Verallgemeinerte Quantentheorie und Homöopathie
Zwölf Jahre ist es her, dass Harald Atmanspacher, Hartmann Römer und Harald Walach in Foundations of Physics eine Arbeit veröffentlichten (1), in der sie die Möglichkeiten von Verschränkungen auch außerhalb der engen Grenzen des quantenmechanischen Mikrokosmos betrachteten. In ihrem Artikel beschrieben sie zuerst den theoretischen Überbau, eine Verallgemeinerung der Quantenmechanik, und deuteten anschließend mögliche Anwendungen an, darunter auch die Homöopathie.
Damals wurde der Begriff der „schwachen“ Quantentheorie eingeführt (Weak Quantum Theory, oder WQT), da gewisse Randbedingungen im Vergleich zur physikalischen Quantenmechanik weniger stark sind. Mittlerweile wird insbesondere im deutschsprachigen Raum der Begriff der „schwachen Quantentheorie“ nur noch von Kritikern verwendet. Ihre Anhänger bevorzugen (möglicherweise aufgrund naheliegender und wenig schmeichelhafter Wortspiele) den passenderen Begriff der „Verallgemeinerten Quantentheorie“ (VQT), den ich auch in diesem Beitrag verwenden werde.
Kurz nach der Veröffentlichung der ersten Arbeit legte Harald Walach einen Artikel vor (2), in dem er, basierend auf der VQT und den Vergleich zur quantenmechanischen Teleportation, ein ausführliches Modell der Homöopathie beschrieb. Wenig später folgte ein weiteres, ebenfalls auf der verallgemeinerten Quantentheorie aufbauendes Homöopathie-Modell von Lionel R. Milgrom (3), welches nicht nur den Patienten und das homöopathische Mittel, sondern auch den praktizierenden Homöopathen mit einbezieht.
Beide Modelle versuchen zu erklären, warum placebo-kontrollierte, randomisierte und doppelblind durchgeführte klinische Studien (Randomized Controlled Trial oder RCT) der Homöopathie „überhaupt keine gute Idee“ sind (Walach). Die Homöopathie, die in der täglichen Praxis so beeindruckende Erfolge feiert, muss in solchen Studien scheitern, weil es zu einer Verschränkung zwischen den beiden Gruppen kommt, die mit dem Placebo bzw. dem richtigen Mittel behandelt werden. Die Ergebnisse der beiden Gruppe „verschmieren“ bis zur Unkenntlichkeit und es ist kein Unterschied mehr zwischen Homöopathie und Placebo erkennbar. Das Versagen der Homöopathie in RCTs ist demnach kein Indiz mehr für die fehlende spezifische Wirksamkeit der Intervention, sondern ein Beleg für die Richtigkeit der auf „verallgemeinerter Verschränkung“ basierenden Erklärungsansätze.
Mit Hilfe der verallgemeinerten Quantentheorie kippt eines der wichtigsten Argumente der Gegenseite scheinbar elegant um und wird zu einem Beleg für die Homöopathie. Vielleicht ist es deshalb kein Wunder, dass sie unter forschenden Komplementärmedizinern hohes Ansehen genießt. Die Originalarbeit (1) kommt laut Google Scholar jedenfalls auf beeindruckende 185 Zitate (Stand: 21.7.2013), und die Modelle von Walach, Milgrom und anderen werden in Fachzeitschriften wie Homeopathy immer wieder wohlwollend diskutiert. Dazu kommt natürlich noch die allgemeine Tendenz, alles unerklärliche mit der Quantenmechanik in Verbindung zu bringen.
Vor einigen Jahren habe ich mich sehr kritisch mit der verallgemeinerten Quantentheorie auseinandergesetzt (4)(5)(6). Der Ansatz, Phänomene außerhalb des eigentlichen quantenmechanischen Mikrokosmos mit mathematischen Modellen zu beschreiben, die eher an Quantenmechanik als an klassische Physik zu erinnern, ist natürlich legitim. Aber ohne physikalischen Kontext, ohne eindeutige Korrespondenz zwischen Modellgrößen und Realität sind solche Modelle nicht mehr als mathematische Spielereien. In Walachs und Milgroms Modellen sucht man vergeblich nach wissenschaftlicher Präzision. An keiner Stelle wird klar begründet, aus welchen Annahmen der Modellaufbau folgt oder warum nicht ein anderer, ebenso plausibler Ansatz gewählt wurde. Mit mathematischen Größen, deren physikalisches Pendant nur schwammig angedeutet wird, lässt sich auch deutlich „entspannter“ rechnen als mit klar definierten Größen (7). Analogien zur Quantenmechanik werden immer dann bemüht, wenn es gerade passend erscheint, aber ignoriert, wenn sie das eigene Konzept nicht stützen…
Ein ganz anderer Kritikpunkt ist die fehlende Wissenschaftlichkeit eines Ansatzes, der im Nachhinein alles (z.B. Misserfolge in RCTs) erklärt, aber keine überprüfbaren Vorhersagen macht. So hatte ich in einem Brief an Homeopathy (5) gefordert,
„[T]he real test of these models is not whether they explain previously known features of homeopathy, but whether they can be used to improve the design of experimental tests of homeopathy’s core hypothesis that high dilutions are different from appropriately prepared placebos.“
Von Walach und Milgrom gibt es Vorschläge, die strengen Regeln großangelegter RCTs für die Homöopathie-Forschung zu lockern. Sie sollte näher an der täglichen homöopathischen Praxis stattfinden. Unter solchen Umständen kann aber keine positive Studie Kritiker beeindrucken, die vom Placebo-Effekt und einer Fülle anderer systematischer Fehler wissen, die in unkontrollierten Studien kaum zu vermeiden sind (8)(9).
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