Auf keine dieser Fragen geht Beauvais ein. Dabei bietet die Quantenmechanik durchaus komplexere Möglichkeiten als 2-Zustands-Systeme an; sie sind allerdings etwas weniger bekannt und nicht so einfach in der Anwendung.
Das nächste Fragezeichen stellt sich beim Ergebnis. Offensichtlich entspricht das Wellenbild des Interferometers dem homöopathischen Wunschzustand: Allen homöopathisch behandelten Patienten geht es besser, allen Placebo-Patienten hat die Scheinbehandlung nicht geholfen. Nach Beauvais‘ oben wiedergegebener Nomenklatur also 100% CP. Das Teilchenbild entspricht der „gescheiterten“ Studie: 50% CP und 50% DP bedeutet, dass es zwischen den Gruppen keinerlei Unterschied gibt.
Noch fehlt die Zuordnung zwischen möglichen Studienarten und dem Wellen- bzw. Teilchenbild. Auch dieser Schritt ist nicht ganz einfach, denn am Ende kommt keine Studie ohne Messung aus. Irgendwann muss ausgewertet werden, welche Patienten Placebo und welche das richtige Mittel bekommen haben. Beauvais identifiziert die „offene“ Studie, bei der Patient und Homöopath wissen, ob sie Placebo bekommen, mit dem Wellenbild bzw. mit 100% CP. Die „zentralisierte“ RCT – nur der Studienleiter kennt das „Messergebnis“ und weiß, wer Placebo bekommt und wer Verum – vergleicht er mit dem Teilchenbild.
Nach etwas Rechenarbeit erhält Beauvais trotz einer kleinen Ungenauigkeit (in einigen Formeln wird vergessen, dass Quantenmechanik auf komplexen Zahlen beruht) ein Ergebnis, das im Grunde nichts anderes ist als die allgemeinst mögliche Formulierung des quantenmechanischen 2-Zustands-Systems. Darin taucht ein „enigmatischer“ (Fisher) Parameter θ (theta) auf, der den Grad der Vermischung der Zustände CP und DP beschreibt. Beauvais spekuliert
„I did not hypothesise what θ stands for [… it] could summarize cognitive and mental phenomena as different as empathy, physician’s experience, expectation of patient and/or practitioner related to beliefs about treatment effectiveness and other cultural beliefs, Pavlovian conditioning, implicit learning, unconscious mechanisms and unknown mechanisms.“
und rechnet verschiedene Fälle vor. Warum er aus dem Fall θ = 0, wo es keinem Patienten (weder denen, die das Placebo erhalten haben, noch denen der Verum-Gruppe) besser geht, einen wichtigen Spezialfall konstruiert, konnte ich trotz mehrfacher Versuche nicht nachvollziehen. Den komplementären Fall θ = π/2 verschweigt er, womöglich weil die Erwähnung einer Situation mit Besserung aller Patienten – sowohl in der Placebo- als auch in der Verum-Gruppe – seinen Argumenten etwas Überzeugungskraft genommen hätte.
Bis jetzt erinnert Beauvais‘ Modell an eine etwas ältere Arbeit von Marcin Molski (13) , die unlängst von Ute Parsch auf dem Blog Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie vorgestellt wurde (14) : Nach flüchtiger Lektüre mag der Anschein einer mathematisch stringenten Argumentation sich einstellen. Bei genauerer Analyse zeigt sich aber, dass die einzelnen Schritte nur locker aneinander gereiht, aber nicht auf zwingende oder besonders plausible Weise miteinander verbunden sind.
Geradezu bizarr ist aber eine Forderung an zukünftige Doppelblindstudien zur Wirksamkeit homöopathischer Präparate, die Beauvais aus seinen Überlegungen ableitet und als „ in situ randomization/unblinding“ bezeichnet. Arzt und Patient sollen zwei verdeckte Therapiesätze bekommen, wobei sich in einem Satz das Placebo und im anderen das echte, vermutlich individuell ermittelte Homöopathikum befindet. Selbstredend kennen weder Arzt noch Patient die Zuordnung. Anschließend losen sie aus, mit welchem Satz die Behandlung stattfinden soll. Nach Abschluss der Therapie und Bewertung des Wohlergehens des Patienten bekommen sie mitgeteilt, ob es sich um Placebo oder Verum gehandelt hat.
Eine „zentralisierte“, von Arzt und Patient unabhängige Studienplanung lehnt Beauvais ab, da sie zu der bereits angesprochenen Verschränkung zwischen den beiden Gruppen und damit zu einer „Verschmierung“ der Ergebnisse führt. Stattdessen entspricht d ie lokale (in situ) Messung von Behandlungsart (Verum oder Placebo) und Behandlungserfolg (Besserung oder nicht) dem Mach-Zehnder-Interferometer im gewünschten Wellenbild. Die beiden Versuchsarme interferieren irgendwie konstruktiv und führen in allen Fällen zum richtigen Versuchsergebnis (100% „concordant pairs“).
Wie sich in seinem Bild zentralisierte und in-situ-Versuchsdurchführung unterscheiden, erklärt Beauvais nicht. Auch den Grund, warum seine bevorzugte „in-situ-Messung“ dem quantenmechanischen Fall ohne Messung entspricht, bleibt er schuldig.
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