Was die technische Seite der Herstellung, die Bereitstellung der Rohstoffe etc. betrifft, unterscheidet sich die Produktion von Globuli nicht von der der übrigen Mittel der Pharmaindustrie. Hygienerichtlinien, Haltbarkeitsdaten, Produktionsprotokolle, Qualitätskontrollen und dergleichen sind vollkommen gleich. Wenn man sich die Bilder von Produktionsräumlichkeiten ansieht, kann man nur sagen, dass es moderner gar nicht sein könnte. Die Mittel des Aberglaubens werden genauso high-tec produziert wie die giftigen, unnatürlichen Medikamente der Pharmaindustrie, die in alternativen, komplementären und ganzheitlichen Kreisen als Musterbeispiel für Profitgier herhalten müssen.
Der Produktionsablauf ist in allem Schritten zertifiziert, und zertifiziert ist auch das Hoc est enim corpus meum der Homöopathie, das Potenzieren – am wirksamsten per Hand. Handverschüttelt ist ein extra Qualitätsmerkmal und liefert auf Google fast 2700 Einträge. Schließlich hängt die Wirkung der Überzeugung der Hahnemannjünger nach von der fachgerechten Übertragung der geistig-immateriellen Heilkräfte von einer Verschüttelung zur nächsten ab. Diese „heilige“ Zeremonie, dieses grundlegende Ritual der Homöopathie ist genau so streng geregelt wie etwa die Rotationsgeschwindigkeit einer Mischtrommel für Pulverzubereitungen oder die Temperatur einer Alkohol-Wassermischung zur Herstellung von Auszügen aus Heilpflanzen. Es wird ganz streng darauf geachtet und protokolliert, dass auch exakt zehnmal ein entsprechender Stoß gegen eine bestimmte Unterlage so und nicht anders ausgeführt wird, denn es gibt keine Möglichkeit, am fertigen Produkt nachzuweisen, ob dieses Schüttelritual exakt durchgeführt wurde oder nicht. Auch ist zu hören, dass die Mitarbeiter dabei keine negativen Gedanken haben sollen. Wehe, wenn am Schütteln Zweifel aufkommen. So wird sichergestellt, dass, wenn einmal Homöopathie nicht „funktioniert“, die Anwender und Anwenderinnen sich nicht richtig verhalten haben. Bei Versagen trifft jedenfalls die Homöopathie nie eine Schuld.
Die Chuzpe liegt darin, dass die Homöopathieindustrie alle diese diversen Erklärungen und Studien und Behandlungsempfehlungen, die völlig unhaltbar sind, quasi als erwiesene Tatsachen auftischen darf. Alles, was der gesetzlich erlaubten Irrlehre des Herrn Hahnemann entspricht, ist per Gesetz erlaubt. Es gilt der Binnenkonsens. Was sich die Homöopathen untereinander ausmachen ist richtig. Kognitive Dissonanzen haben andere, nicht jedoch die Hahnemänner und –männerinnen. Der feste Glaube an Hahnemann verhindert das zuverlässig.
Dass die Lebenserwartung von Frauen heute im Vergleich zu früher derart hoch ist, verdanken wir vor allem auch der Medizin, die auf naturwissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen beruht. Der Beitrag der Homöopathie ist dabei null. Im Jahre 1947 erlebten ca. 91 Prozent der Mädchen ihren 10. Geburtstag und konnten damals mit einer weiteren Lebenserwartung von ca. 60,5 Jahren rechnen. Heute erleben ca. 99,5 % der Mädchen ihren 10. Geburtstag und haben eine weitere Lebenserwartung von ca. 74 Jahren. Diese Zahlen sind mit früheren Jahrhunderten überhaupt nicht vergleichbar.
Seit 200 Jahren hat sich die Lehre der Homöopathie weder verändert noch irgendwie erweitert. Im Gegensatz dazu hat sich die Medizin enorm verändert und weiterentwickelt. Gerade Frauen und die Kinder haben davon besonders profitiert, und es ist irgendwie höchst seltsam, dass gerade Frauen dies nicht sehen. Dass dies so ist und so bleibt und dass das Geschäft so weiterläuft, dabei helfen „Woman“ und andere Lifestyle-Magazine mit. Manch ein Magazin, mehr oder weniger von Inseraten und Werbebeiträgen finanziert, druckt alles ab, was der Redaktion an Werbung vorgelegt wird. Auch modernen Frauen lässt sich Aberglaube verkaufen und damit ordentlich Kohle machen. Dazu wird dieser zwischen Modebeiträgen, Küchenratschlägen, „Promi“-Gesäusel und Erläuterungen wie frau manngerecht Fellatio machen sollte, verpackt. Und das alles kann frau dann mit ihren Freundinnen per Internet teilen und so werden auch die Wunder der Homöopathie via Twitter und Facebook ins 21. Jahrhundert weitergetragen und vermehrt.
Keine Frage, nirgendwo ist die Homöopathie besser aufgehoben als im Internet. Ich darf dazu aus „Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift“ von Konrad Paul Liessmann zitieren:
„Die Kenntnisse der allgemeinsten Grundlagen in den Naturwissenschaften scheinen ebenso abzunehmen wie das Wissen um historische Entwicklungen, kulturelle Zusammenhänge oder ästhetische Referenzen. In der digitalen Welt blühen denn auch Verschwörungstheorien, esoterische Weltanschauungen, Pseudowissenschaften und irrationale Heilversprechungen aller Art, als lebten wir Jahrhunderte vor der Aufklärung.“
Kommentare (254)