Ein Gastbeitrag von Dr. Edmund Berndt.
[Anmerkung, UB: Der Anlass für diesen Beitrag war ein Ende Jänner erschienener Artikel auf der Webseite der Zeitschrift Woman, in dem Homöopathie gegen “Winterblues” (Winterdepression, SAD) propagiert wurde. Aus bisher unbekannten Gründen ist der entsprechende link seit ein paar Tagen tot. Stellvertretend sei daher exemplarisch auf diesen älteren Woman-Artikel hingewiesen.]
Warum gerade bei Frauen Homöopathie so beliebt ist, hat viele Ursachen. Dieser Beliebtheit entspricht, dass auch Werbung für Homöopathie gezielt auf Frauen und Kinder in Frauenmedien platziert wird. Frauen sind Zielgruppe. Frauenzeitschriften ohne Empfehlungen oder Werbung für Homöopathie und anderen modernen Esoschnickschnack haben Seltenheitswert. Das ganze Spektrum frauen- u. konsequenterweise auch kindertypischer Unpässlichkeiten wird zur sanften, nebenwirkungsfreien, natürlichen und biologischen Behandlung mit Homöopathika beworben – selbstverständlich frei von böser Chemie und urnatürlich. Jede Jahreszeit mit ihren tradierten Beschwerden bietet sich an. Von der Frühjahrsmüdigkeit bis zur Winterdepression ist alles homöopathisch behandelbar.
Beworben werden in erster Linie Beschwerden und Unpässlichkeiten, die vorübergehend sind und von selbst heilen. So lässt sich Vertrauen in eine Wirksamkeit systematisch aufbauen, die so nicht vorhanden ist. Zahnen ohne Globuli – ein No-Go. Die moderne Frau wird auf Homöopathie eingestimmt. Ihre Sorgen und Nöte können selbstverständlich gefahrlos mit Homöopathie behandelt werden.
Obwohl die Homöopathie jedes gesicherten Nachweises einer kausalen Wirksamkeit entbehrt, wird diese in der Werbung als der Weisheit letzter und sanftester Schluss dargestellt. Die vielen Statements zur Wirksamkeit haben aber keine Grundlage. Es gibt keine wie immer gearteten Anhaltspunkte, die naturwissenschaftlich oder biologisch plausibel machen könnten, dass Homöopathie echt kausal wirken könnte.
Aber in der Werbung gibt es für stimmungsvolle und einschmeichelnde Assoziationen und für Wirkungsbehauptungen keine Einschränkungen, mit denen die Gefühlswelt auf die sanfte Begleitung durch Globuli getrimmt werden kann. Welche Frau wollte sich nicht als Führungspersönlichkeit mit dem Leitmetall Gold effektiv behandelt wissen? Die Indikationslyrik erinnert nicht von ungefähr an Horoskope. Das wird Barnum-Effekt genannt und ist bewährte Arbeitsmethode der Wahrsagerei. In den blumigen Geschichten, in denen die Symptome bzw. die Beschwerden und Krankheiten geschildert werden, für deren Behandlung der Einsatz von bestimmten Homöopathika so ideal ist, findet sich für jeden Geschmack, für jede Stimmung, für jede Befürchtung ein passendes Mittel. Und wer keine Beschwerden hat, der lernt seine Beschwerden zu erfühlen.
Sollten Zweifel an der Wirksamkeit geäußert werden, dann werden immer wieder Studien zur Wirksamkeit zitiert, die allesamt den Verdacht nicht loswerden, irgendwie auf ein positives Ergebnis getrimmt worden zu sein, wofür es viele Möglichkeiten gibt.
Nichts scheint daher moderner zu sein, als die seit 200 Jahren unveränderte Homöopathie. Das Zitieren von Studien, in denen die Wirksamkeit nachgewiesen worden sein soll, ist eine Fleißaufgabe der Homöopathie, die nur der Werbung dient, denn man muss wissen, dass die Homöopathieindustrie im Gegensatz zur Pharmaindustrie auch keine Wirkungsnachweise bei der Zulassung von Homöopathika vorlegen muss. Auch die Anekdoten der Anwenderinnen und Anwender, die von ihrer erlebten Heilung berichten, dienen der Werbung, wo all das in Hochglanzgeschichten sich als wahr erzählen lässt.
Aus der berichteten Zufriedenheit und den bekundeten Erfolgen, kurzum aus den persönlichen anekdotischen Erlebnisberichten der jeweiligen Anwender und Anwenderinnen kann nicht mehr auf eine tatsächliche, sprich kausale Wirksamkeit geschlossen werden, als aus Heilungsberichten bekannter Wallfahrtsorte. Gegen die Anrufung göttlicher Hilfe und die Bekundung vermeintlich dadurch persönlich erlebter bzw. erfahrener Heilung ist nichts einzuwenden. Hier gibt es nichts zu überprüfen und nachzuweisen. Wenn aber irdische Mittel als wirksam angepriesen werden, ist diese Art von Nachweis wie das Zitieren von Anekdoten eindeutig zu wenig, um nicht zu sagen eine Irreführung. Für die Zulassung von Homöopathika ist das nicht erforderlich. Homöopathika müsse nur nach den Richtlinien und Vorstellungen der Homöopathie hergestellt werden. Erforderlich ist lediglich eine pharmakologische Unbedenklichkeit. Irgendwo zwischen den Potenzen D 7 und D 10, das entspricht einer Verdünnung von 1:10 Millionen und 1:10 Milliarden, hört sich jede Nachweismöglichkeit ursprünglich enthaltener Stoffe auf und damit endet auch die Pharmakologie. Die Hochpotenzen sind garantiert unbedenklich.
Was die technische Seite der Herstellung, die Bereitstellung der Rohstoffe etc. betrifft, unterscheidet sich die Produktion von Globuli nicht von der der übrigen Mittel der Pharmaindustrie. Hygienerichtlinien, Haltbarkeitsdaten, Produktionsprotokolle, Qualitätskontrollen und dergleichen sind vollkommen gleich. Wenn man sich die Bilder von Produktionsräumlichkeiten ansieht, kann man nur sagen, dass es moderner gar nicht sein könnte. Die Mittel des Aberglaubens werden genauso high-tec produziert wie die giftigen, unnatürlichen Medikamente der Pharmaindustrie, die in alternativen, komplementären und ganzheitlichen Kreisen als Musterbeispiel für Profitgier herhalten müssen.
Der Produktionsablauf ist in allem Schritten zertifiziert, und zertifiziert ist auch das Hoc est enim corpus meum der Homöopathie, das Potenzieren – am wirksamsten per Hand. Handverschüttelt ist ein extra Qualitätsmerkmal und liefert auf Google fast 2700 Einträge. Schließlich hängt die Wirkung der Überzeugung der Hahnemannjünger nach von der fachgerechten Übertragung der geistig-immateriellen Heilkräfte von einer Verschüttelung zur nächsten ab. Diese „heilige“ Zeremonie, dieses grundlegende Ritual der Homöopathie ist genau so streng geregelt wie etwa die Rotationsgeschwindigkeit einer Mischtrommel für Pulverzubereitungen oder die Temperatur einer Alkohol-Wassermischung zur Herstellung von Auszügen aus Heilpflanzen. Es wird ganz streng darauf geachtet und protokolliert, dass auch exakt zehnmal ein entsprechender Stoß gegen eine bestimmte Unterlage so und nicht anders ausgeführt wird, denn es gibt keine Möglichkeit, am fertigen Produkt nachzuweisen, ob dieses Schüttelritual exakt durchgeführt wurde oder nicht. Auch ist zu hören, dass die Mitarbeiter dabei keine negativen Gedanken haben sollen. Wehe, wenn am Schütteln Zweifel aufkommen. So wird sichergestellt, dass, wenn einmal Homöopathie nicht „funktioniert“, die Anwender und Anwenderinnen sich nicht richtig verhalten haben. Bei Versagen trifft jedenfalls die Homöopathie nie eine Schuld.
Die Chuzpe liegt darin, dass die Homöopathieindustrie alle diese diversen Erklärungen und Studien und Behandlungsempfehlungen, die völlig unhaltbar sind, quasi als erwiesene Tatsachen auftischen darf. Alles, was der gesetzlich erlaubten Irrlehre des Herrn Hahnemann entspricht, ist per Gesetz erlaubt. Es gilt der Binnenkonsens. Was sich die Homöopathen untereinander ausmachen ist richtig. Kognitive Dissonanzen haben andere, nicht jedoch die Hahnemänner und –männerinnen. Der feste Glaube an Hahnemann verhindert das zuverlässig.
Dass die Lebenserwartung von Frauen heute im Vergleich zu früher derart hoch ist, verdanken wir vor allem auch der Medizin, die auf naturwissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen beruht. Der Beitrag der Homöopathie ist dabei null. Im Jahre 1947 erlebten ca. 91 Prozent der Mädchen ihren 10. Geburtstag und konnten damals mit einer weiteren Lebenserwartung von ca. 60,5 Jahren rechnen. Heute erleben ca. 99,5 % der Mädchen ihren 10. Geburtstag und haben eine weitere Lebenserwartung von ca. 74 Jahren. Diese Zahlen sind mit früheren Jahrhunderten überhaupt nicht vergleichbar.
Seit 200 Jahren hat sich die Lehre der Homöopathie weder verändert noch irgendwie erweitert. Im Gegensatz dazu hat sich die Medizin enorm verändert und weiterentwickelt. Gerade Frauen und die Kinder haben davon besonders profitiert, und es ist irgendwie höchst seltsam, dass gerade Frauen dies nicht sehen. Dass dies so ist und so bleibt und dass das Geschäft so weiterläuft, dabei helfen „Woman“ und andere Lifestyle-Magazine mit. Manch ein Magazin, mehr oder weniger von Inseraten und Werbebeiträgen finanziert, druckt alles ab, was der Redaktion an Werbung vorgelegt wird. Auch modernen Frauen lässt sich Aberglaube verkaufen und damit ordentlich Kohle machen. Dazu wird dieser zwischen Modebeiträgen, Küchenratschlägen, „Promi“-Gesäusel und Erläuterungen wie frau manngerecht Fellatio machen sollte, verpackt. Und das alles kann frau dann mit ihren Freundinnen per Internet teilen und so werden auch die Wunder der Homöopathie via Twitter und Facebook ins 21. Jahrhundert weitergetragen und vermehrt.
Keine Frage, nirgendwo ist die Homöopathie besser aufgehoben als im Internet. Ich darf dazu aus „Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift“ von Konrad Paul Liessmann zitieren:
„Die Kenntnisse der allgemeinsten Grundlagen in den Naturwissenschaften scheinen ebenso abzunehmen wie das Wissen um historische Entwicklungen, kulturelle Zusammenhänge oder ästhetische Referenzen. In der digitalen Welt blühen denn auch Verschwörungstheorien, esoterische Weltanschauungen, Pseudowissenschaften und irrationale Heilversprechungen aller Art, als lebten wir Jahrhunderte vor der Aufklärung.“
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