Im Februar 2013 leitete eine kritische Grazer Konsumentin mit ihrer von uns unterstützten Beschwerde über eine Schamanismus-Akademie, die ihre “Schamanen” zu Lebens- und Sozialberatern kürte, einen behördlichen Nachdenkprozess ein, der sich sowohl im konkreten Fall als auch darüber hinaus als folgenreich erwies. Seit Juni 2014 gilt eine neue Richtlinie des Gesundheitsministeriums, die die Integration von schamanistischer und anderer Esoterik in die Psychotherapie untersagt. Den Proponenten der Schamanotherapie hat das natürlich missfallen. Einer dieser Proponenten, der Linzer Psychotherapeut Dr. August Thalhamer, brachte seine Streitschrift gegen diese Richtlinie sogar als Buch heraus (und beruft sich dabei – wen wundert’s? – auch auf die Quantenphysik). Unsere kritische Grazer Konsumentin fordert in folgendem offenen Brief nun Konsequenzen:
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Sehr geehrter Herr Dr. Thalhamer!
Ihr kürzlich erschienenes Buch trägt den Titel: „Streitschrift gegen die Reduktion des Menschen auf naturwissenschaftlich erfassbare Materie“. Mit dieser bewusst gewählten literarischen Textform laden Sie als Autor dazu ein, eine Kontroverse öffentlich auszutragen. Wie wir wissen, liegt es in der Natur einer Streitschrift, dass sie provoziert, zuspitzt, sogar beleidigend sein kann. Es geht ihr nicht um sachliche Argumentation.
Daher überrascht es kaum, dass man in Ihrem Buch vergeblich nach einem Austausch von Argumenten sucht, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Nicht minder überraschend ist daher auch Ihre unterschwellige Kritik an den Physikern Heinz Oberhummer (leider erst kürzlich verstorben) und Werner Gruber, an einer seriösen Psychotherapeutin namens Dr. Frei, an dem Psychologen und Buchautor Johannes Fischler. Den qualifizierten Psychiatern und Psychotherapeuten, die esoterische und schamanischen Heilbehandlungen ablehnen, sprechen Sie deren fachliche Kompetenz ab: „Mangelnde spirituelle Erfahrung von Psychiatern und Psychotherapeuten kann zu Fehldiagnosen führen, wenn sie z.B. psychoseähnliche spirituelle Erfahrungen nicht von Erkrankungen unterscheiden können.“ (S./ 29) Im Gegensatz dazu berufen Sie sich auf die Pseudoexperten, wie etwa Prof. Dr. Dr. Harald Walach, der sich im Jahr 2012 als Gewinner des „Goldenen Brett vorm Kopf“ auszeichnete.
Unverkennbar zeigen Sie sich enttäuscht bis erzürnt darüber, dass hierzulande der Schamanismus und die Esoterik in der Psychotherapie durch die vom Ministerium ausgearbeiteten Richtlinien nicht Anerkennung finden. Mit völligem Unverständnis nehmen Sie zur Kenntnis, dass zahlreiche Beschwerden Angehöriger psychisch Kranker über die Auswüchse der Esoterik in der Psychotherapie bei Beschwerdestellen eingegangen sind. Darüber sprechen Sie nicht nur geringschätzig von „Querulanten“. Sondern auch mit Ihrer Homepage geben Sie selbst ein weiteres Beispiel von den wunderlichsten Auswüchsen der Esoterik in der Psychotherapie und Psychologie ab.
Sowohl Ihre Homepage als auch Ihr Buch gewähren ernüchternde Einblicke in Ihre „schamanische“ Tätigkeit und lassen das ganze Ausmaß dieses Problems erahnen. Eine besondere „Kostprobe“ davon werde ich später noch geben, damit sich jeder seine eigene Meinung dazu bilden kann.
Wirft man einen Blick auf Ihre Homepage, um herauszufinden, welche universitäre Ausbildung Sie absolviert haben, geht das große Rätselraten los:
„Ich wurde 1943 geboren, habe in Linz Theologie und Philosophie und in Salzburg Psychologie und Psychiatrie studiert.“ Ungeklärt bleibt damit die Frage, ob Sie tatsächlich im Besitz von vier akademischen Titeln sind. Offen ist auch die Frage, ob Sie ein Psychiater sind.
Wenn es außerdem zutrifft, dass die Thematik „Wo sich Schamanismus und Psychologie treffen” zu Ihrem Forschungsgebiet gehört, wie Sie ständig behaupten, so werden Sie nicht umhin kommen, einen wissenschaftlichen Beweis anzutreten.
Dass Sie allerdings unter „Forschungsarbeit“ eine systematische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren exakte Dokumentation unter wissenschaftlichen Kriterien verstehen, wird stark angezweifelt.
Meine Skepsis lässt sich damit begründen, dass das Ziel wirklicher Forschungen und klinischer Studien in der Psychotherapie ist, bestimmte Behandlungsformen auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen. Diese sollten durchgeführt werden, um wissenschaftliche Fragestellungen zu beantworten und die medizinische Behandlung zu verbessern. Der erste Einsatz einer Erfolg versprechenden medizinischen Behandlung am Menschen muss daher eine klinische Studie mit dem Ziel sein, Wirksamkeit und Verträglichkeit neuer Therapien zu testen.
Nehmen Sie doch auch unmissverständlich zur Kenntnis, dass eine solche klinische Studie allerdings erst dann stattfinden kann, wenn ein positives Votum der betroffenen Ethikkommission vorliegt. Falls Sie nicht eine notwendige Genehmigung für Ihre Forschungsarbeit vorlegen können, um sie an Patienten durchführen zu dürfen, so ist es unseriös und wissenschaftlich nicht haltbar von einer „Forschungsarbeit“ zu sprechen.
Wie gedenken Sie überhaupt ohne empirisch überprüfbare Methode für Ihre absurde Gedankenwelt über schamanische Heilslehren und Ihren esoterischen Unfug mit einer seriösen klinischen Studie belegen zu können?
Es gilt als völlig inakzeptabel, wenn – ohne Genehmigung der Ethikkommission – ein „Herumexperimentieren“ an labilen oder psychisch kranken Personen stattfindet. Und es lässt sich außerdem mit keinem vernünftigen Argument rechtfertigen, weshalb für diese pseudowissenschaftlichen Forschungszwecke die Versuchspersonen auch noch zur Kasse gebeten werden (Forschungsgelder?).
Wie oben bereits erwähnt, sollte der interessierte Leser Einblicke in Ihre schamanische Arbeit bekommen, um sich seine eigene Meinung bilden zu können. Ein kurzer Auszug aus Ihrem Buch:
Schamanische Fernheilung durch Herrn Thalhamer:
„Für mich steht aufgrund meiner langjährigen Erfahrung außer Zweifel, dass es zudem unerheblich ist, ob der Patient bei einer schamanischen Behandlung vor mir sitzt oder sich hunderte Kilometer entfernt befindet.
Ein Beispiel:
Angelika, sechs Jahre alt, hat Rheuma mit schlimmen Auswirkungen auf die Augen. Die Mutter bittet mich um eine Fernbehandlung. Ich sehe in Trance das Mädchen vor mir sitzen. Ein dicker Holzkeil durchbohrt von vorne nach hinten ihren Kopf. Es ist entsetzlich anzuschauen. Besonders das rechte Auge ist geschädigt. Der Keil schiebt sich immer noch weiter in ihren Kopf. Ich solle aber nichts tun, lautet die Anweisung meiner Geistführer. Es fällt mir schwer, aber ich folge. Dann wird ein Vorhang rund um Angelika gebreitet, sodass sie sich wie in einer Koje befindet und von außen nicht zu sehen ist. Ich soll weiterhin nicht eingreifen, nur wohlwollend das sein, mich entspannen und darauf vertrauen, dass mit ihr etwas Großes geschieht (das ist zugleich ein Auftrag an die Mutter). Ich spüre, es geht etwas vor sich, das weit über mich und meine bescheidenen Fähigkeiten hinausgeht. Nun bringe ich es recht gut fertig, mich nicht einzumischen, sondern das Kind der göttlichen Vorsehung anzuvertrauen. Als mir ein Blick in Innere des Stoffverschlages gewährt wird, sehe ich, dass er leer ist. Am Schluss der Sitzung zwinkert mir das Mädchen komplizenhaft zu und ihr riesiger Engel bedankt sich bei mir. In den nächsten Wochen normalisierten sich ihre Augen, berichtete die Mutter.“
Es ist erklärtes Ziel der Psychotherapie, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, psychische Leidenszustände zu heilen oder zu linden, in Lebenskrisen zu helfen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern oder die persönliche Entwicklung und Gesundheit zu fördern. Zur Beurteilung der Frage, ob Sie als Psychotherapeut mit der Anwendung von esoterischen, spirituellen und schamanischen Methoden die gebotene Sorgfalt verletzt haben, macht es erforderlich, die folgenden Aspekte zu erörtern. Dabei ist das Recht des Patienten auf einen verantwortlichen Umgang mit dem in einem besonderen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis stehenden Psychotherapeuten hervorzuheben.
Sie erachten es als Psychotherapeut und klinischer Gesundheitspsychologe nicht als notwendig, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Mit den esoterischen, spirituellen und schamanischen Praktiken haben Sie sich somit in krassem Widerspruch zum Selbstverständnis von Psychotherapie als wissenschaftlich fundierte Methode gesetzt.
Darüber hinaus ist im Berufskodex für Psychotherapeuten festgelegt, dass mit der Ausübung der Psychotherapie – nämlich auf wissenschaftlicher Grundlage zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit oder zur Reifung und Entwicklung leidender Menschen beizutragen – auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung verbunden ist.
Somit befürchte ich, dass Sie sich weiterhin dem Vorwurf aussetzen wollen, vorsätzlich gegen dieses Bundesgesetz verstoßen zu haben.
Sie rechtfertigen sich zwar damit: „Dass in einer demokratischen Gesellschaft ein Beirat in Geheimverhandlungen ohne jede öffentliche Auseinandersetzung z.B. im Psychologen- und im Psychotherapeutenverband über die Köpfe hunderter PsychotherapeutInnen und tausender KlientInnen hinweg Richtlinien erlassen kann, zu deren Einhaltung jede/r gezwungen wird – sogar mit Androhung hoher Strafen und der Streichung aus der Therapeutenliste, ist unglaublich.“
Entgegen Ihren Behauptungen handelt es sich bei der Richtlinie aus dem Jahr 2014 keineswegs um irgendein Geheimpapier. Diese auf einem Gesetz basierende Richtlinie wurde durch Beschwerden von Konsumenten angeregt. Bei der Ausformulierung derselben wurden die Erfahrungswerte der Psychotherapeuten sowie die Ergebnisse von Diskussionen zwischen den Standesvertretern mit berücksichtigt.
Des Weiteren sei hier klarstellend vermerkt: Das Psychotherapeutengesetz verpflichtet die Psychotherapeuten dazu, ihren Beruf unter Beachtung der Entwicklung der Erkenntnisse der Wissenschaft auszuüben. Wer darin nachliest, bekommt Auskunft darüber, dass der Psychotherapiebeirat – der sich aus Fachfrauen und Fachmännern zusammensetzt – die Aufgabe hat, Gutachten aufgrund von Konsumentenbeschwerden zu verfassen. Bereits in den Jahren 2010 und 2012 wurde der Versuch unternommen, eventuelle Missverständnisse bei der Interpretation des Psychotherapiegesetzes auszuräumen, und zwar mit der Folgewirkung, dass die verbindlichen Werberichtlinien und der Berufskodex für Psychotherapeuten geschaffen wurden.
Da eine Gruppe von Psychotherapeuten die Geltung dieser gesetzlichen Bestimmungen weiterhin ignorierte oder auch inhaltlich nicht erfassen konnte, bestand die Notwendigkeit, eine noch verständlichere Richtlinie auszuarbeiten.
Aufgrund der Vielzahl der eingegangen Konsumentenschutzbeschwerden war die Sektion II – Recht und Gesundheitlicher Verbraucherschutz des Bundesministeriums für Gesundheit der gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen, dem Psychotherapiebeirat den Auftrag zu erteilen, nach Maßgabe des Gesetzes aus dem Jahr 1990 die Richtlinien mit unmissverständlichen und klaren Formulierung zu versehen.
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass am 17.06.2014 diese neue Richtlinie (Abgrenzung der Psychotherapie von esoterischen, spirituellen und religiösen Methoden) veröffentlicht wurde.
Wiederholte Vorfälle der sowohl auf Ihrer Homepage als auch in Ihrem Buch beschriebenen Art sollten mit der neuen Richtlinie in Zukunft verhindert werden.
Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, weshalb ein erfahrener und seriöser Psychotherapeut diese neue Richtlinie bekämpfen sollte. Denn beim Auftauchen von Sinnfragen, spirituellen Krisen und religiösen Themen seitens der Klienten, darf der Psychotherapeut weiterhin auf diese Thematik eingehen und aktiv stützend intervenieren.
Insgesamt gesehen erweist sich Ihre Kritik an der neuen Richtlinie als völlig unbegründet und haltlos. Legitime Rechtfertigung oder überzeugende sachliche Argumente für die Einführung von Schamanismus und Esoterik in der Psychotherapie und Psychologie konnten Sie nicht vorbringen.
Folgerichtig erhebe ich als Konsumentin die Forderung, dass Sie Herr Thalhamer unverzüglich aus der Liste der Psychotherapeuten und der klinischen Gesundheitspsychologen des Bundesministeriums für Gesundheit gestrichen werden.
Sollte diese Forderung nicht konsequent umgesetzt werden, so würden sich der Psychotherapiebeirat, der Psychologenbeirat und die Sektion II – Recht und gesundheitlicher Verbraucherschutz des BMG wegen Untätigkeit und Nichtvollziehung der gesetzlichen Bestimmungen mitschuldig machen.
Da Sie Ihr Buch mit einer Vielzahl von Zitaten gespickt haben, erlaube ich mir zum Abschluss noch, ein bekanntes Zitat Wilhelm Buschs, „Der fliegende Frosch“, anzuführen:
Wenn einer, der mit Mühe kaum,
gekrochen ist auf einen Baum,
schon meint, dass er ein Vogel wär,
so irrt sich der.“
Mit freundlichen Grüßen,
eine kritische Konsumentin aus Graz
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