Ein Gastbeitrag von Stefan Uttenthaler
In meiner Heimatgemeinde Geboltskirchen in Oberösterreich hat sich vor kurzem eine Bürgerinitiative gegen den 5G-Ausbau gebildet. Die Initiative hat sogar den Gemeinderat dazu gebracht, einen Beschluss gegen den 5G-Ausbau im Ort zu fassen. Als ich darüber aus Lokalmedien erfuhr und diese Entwicklungen auf meinem Facebook-Profil in Frage stellte, entspann sich eine ungewohnt heftige Diskussion. Insbesondere lautete mein Kritikpunkt, dass es für Behauptungen zu gesundheitlichen Bedenken gegenüber 5G keinerlei wissenschaftliche Grundlage gäbe. Die Sache zog weite Kreise, sogar die “Stiftung Gurutest” schrieb darüber einen (lesenswerten) Artikel im Standard.
Auf wiederholte Nachfrage bei den Initiatoren der Anti-5G-Bewegung wurde mir schlussendlich der Bericht “5G-Mobilfunk und Gesundheit”, der vom Austrian Insititute of Technology (AIT) und dem Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Auftrag des österreichischen Parlaments verfasst wurde, als Quelle für diese Behauptungen genannt. Der 126 Seiten starke Bericht wurde im Jänner 2020 fertiggestellt und dem Parlament übergeben, bis zur Diskussion auf meinem Facebook-Profil hatte ich nicht davon gehört. In der Zwischenzeit habe ich den Bericht gelesen und möchte im Folgenden auf naturwissenschaftlicher Basis argumentieren, weshalb er nicht als Argumentationsgrundlage für gesundheitliche Beeinträchtigungen durch 5G und damit gegen den Ausbau der Technologie taugt.
Was ist 5G?
5G ist die fünfte Generation des Mobilfunks, der derzeit in vielen Ländern ausgerollt wird, auch in Österreich. Etwa alle zehn Jahre kommt so ein neuer Mobilfunkstandard, vor zehn Jahren wurde LTE (eben 4G) eingeführt. Diesmal ist es aber eigentlich nicht einmal etwas ganz Neues. 5G wird vornehmlich wegen der anderen Systemarchitektur als neue Generation bezeichnet. Im Vergleich zu 4G nutzt 5G einfach nur ein neues, verbessertes Protokoll, über das Endgeräte (z.B. Mobiltelefone) mit den Basisstationen (“Handymasten”) kommunizieren, d.h. Daten austauschen. Dieses verbesserte Protokoll erlaubt es u.a., dass Handys weniger stark senden (“strahlen”) müssen, um eine stabile Verbindung mit der Basisstation aufzubauen. Soweit, so positiv.
In einem weiteren Schritt sollen dann auch “neue” Frequenzen der elektromagnetischen Wellen für den Mobilfunk verwendet werden, insbesondere Frequenzen höher als 6 GHz. “Neu” ist deshalb hier unter Anführungszeichen gesetzt, weil es diese Frequenzen ja grundsätzlich gibt und sie auch schon genutzt wurden und werden. Bei der Standardisierung wurden Frequenzbereiche für den Betrieb von 5G spezifiziert, die sich in folgende zwei Blöcke unterteilen lassen: Frequency Range 1 (FR 1) von 410 MHz bis 7125 MHz und Frequency Range 2 (FR 2) von 24,25 GHz bis 52,60 GHz (oft als Millimeterwellen bezeichnet, wenn auch nicht ganz korrekt). In FR 1 werden für 5G ausschließlich Frequenzen verwendet, die schon bisher für andere Funkanwendungen genutzt wurden: So wurden z.B. Frequenzen um 700 MHz für terrestrisches Fernsehen genutzt, WLAN nutzt Frequenzen um 2,4 GHz und 5 GHz – und eben für 4G-Mobilfunk.
Der Vorteil von FR 2 mit den höheren Frequenzen liegt, im Vergleich zum bisherigen Mobilfunk, in den sehr viel höheren Datenraten. Ein Nachteil ist aber, dass die Reichweite in der Atmosphäre mit steigender Frequenz abnimmt und die Dämpfung durch z.B. Gebäude zunimmt. Das bedeutet wiederum, dass die Reichweite in diesem Frequenzbereich nicht so hoch ist. Das wird sich in den Anwendungsfällen widerspiegeln, die nicht jenen eines klassischen zellulären Mobilfunk-Netzwerkes entsprechen. Vielmehr wird eine Nutzung in räumlich eng eingeschränkten Hotspots erwartet, also z.B. Haltestellen, Plätze, Veranstaltungshallen usw., wo hohe Datenraten vorteilhaft sind. Aufgrund der geringeren Reichweite ist aber auch ein dichteres Netz an Mobilfunkmasten nötig. An den Funkmasten scheiden sich offenbar die Geister, ähnlicher Widerstand wie bei früheren Mobilfunk-Generationen regt sich in der Bevölkerung.
Es sei hier noch hinzugefügt, dass auch FR 2 Frequenzbereiche umfasst, die schon bisher für andere Funkanwendungen genutzt wurden. Zum Beispiel werden Teile des 26 GHz-Bandes für Richtfunk verwendet. Richtfunk ist ein stark gebündeltes Signal zwischen zwei Richtfunkantennen. Derartige Richtfunkstrecken werden insbesondere von Mobilfunkbetreibern für die Anbindung von Basisstationen genutzt. Derzeit sind in Österreich rund 1080 Richtfunkverbindungen beinahe ausschließlich zur Anbindung von Basisstationen für bestehende öffentliche Mobilfunknetze bis 2029 bewilligt. Würden die oftmals aufgestellten Behauptungen der Schädigung von Insekten durch mm-Wellen stimmen, so müsste dies entlang der Funkstrecken bereits jetzt massiv sichtbar sein.
Der Bericht
Der besagte Bericht wird als Studie im Auftrag des Parlaments tituliert. Da es sich hierbei jedoch nicht um eine Studie im wissenschaftlichen Sinn handelt, d.h. es wurde durch den Bericht kein neues Wissen generiert und er hat dementsprechend kein Qualitätssicherungsverfahren im Peer-Review durchlaufen, ziehe ich es im Folgenden vor, dafür nicht das Wort “Studie” zu verwenden. Das ist nicht abwertend gemeint, sondern soll einfach eine klare Abgrenzung von wissenschaftlichen Artikeln darstellen, die eine solche Qualitätssicherung hinter sich gebracht haben. Der Bericht sammelt Stellungnahmen, die wiederum andere Gremien und Behörden (sogenannte “Aggregatoren”) aus dem Studium von wissenschaftlicher Primärliteratur zusammengetragen und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben. Es handelt sich dabei um Gremien und Behörden, die über die ganze Welt verstreut sind, von Kanada bis Neuseeland. Auffallend ist, dass nur MitarbeiterInnen des ITA namentlich als AutorInnen des Berichts genannt werden, das AIT jedoch insgesamt als beteiligte Organisation und keine Person von dort namentlich erwähnt wird.
Der Bericht weist allerdings auch darauf hin, dass beim BMVIT (jetzt BMK, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) ein Wissenschaftlicher Beirat Funk eingerichtet ist, der einen jährlichen Bericht über Forschungsergebnisse zu Mobilfunk inkl. Literaturtabelle herausgibt. Dieser Beirat kommt (Zitat aus dem Bericht) regelmäßig zum Schluss, dass „[e]ine Gefährdung der Gesundheit durch Mobilfunk […] nicht wahrscheinlich“ sei, es jedoch „[w]eiterhin […] offene Fragen“ gebe. Weshalb es dann noch diesen Bericht an das Parlament braucht und es nicht einfach auf den Wissenschaftlichen Beirat Funk vertraut, geht aus dem Bericht nicht hervor. Warum die weiterhin offenen Fragen ebenfalls kein Grund zur Besorgnis sind, möchte ich in einem weiteren Blogartikel beschreiben.
Mobilfunk allgemein
Die meisten der ausgewerteten Aggregatoren-Berichte befassen sich mit potentiellen gesundheitlichen Effekten von Mobilfunk allgemein, nicht speziell mit 5G. Deshalb behandelt der größte Teil des Berichts diesen Aspekt. In Tabelle 12 sind die Einschätzungen der unterschiedlichen Gremien zusammengefasst. Diese Tabelle sieht furchteinflößend aus, denn es sind sehr viele Kästchen gelb, orange oder rot eingefärbt, aber nur sehr wenige grün. Grün bedeutet, dass kein gesundheitlicher Effekt nachgewiesen ist. Gelb bedeutet, dass laut Aggregator die Studienlage inadäquat sei, um eine Aussage zu treffen, und orange wiederum, dass ein Effekt limitiert nachgewiesen sei. Nur rot besagt, dass ein ausreichender Nachweis über einen gesundheitlichen Effekt vorliege. Anmerken möchte ich hier allerdings, dass man sehr vorsichtig in der Interpretation des Begriffes “Effekt” sein muss, denn ein Effekt ist nicht gleichbedeutend mit “gesundheitlicher Beeinträchtigung”: Wenn ich einen Waldspaziergang mache, hat das sicherlich einen physiologischen Effekt auf mich (Atem- und Herzfrequenz steigen, Durchblutung und Sauerstoffsättigung nehmen zu, etc.), aber niemand käme deshalb auf die Idee, von einer gesundheitlichen Gefährdung zu sprechen. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, sieht Tabelle 12 gleich wesentlich weniger bedrohlich aus.
Es gibt keinen einzigen Effekt, bei dem sich die Gremien einig sind, dass er ausreichend nachgewiesen ist, sie kommen also zu recht uneinheitlichen Ergebnissen. Es gibt jedoch zwei Effekte, bei denen eine Mehrheit der Aggregatoren zur Einschätzung eines limitierten oder gar ausreichenden Nachweises gelangt. Der erste Effekt sind unspezifische Symptome, ausgelöst durch einen Nocebo-Effekt: Wenn ich Angst vor der Handystrahlung habe, dann zeige ich beim Anblick eines Handys o.ä. auch Symptome. Solche Effekte kennt man auch vom Anblick des Bohrers beim Zahnarzt … Es gibt sehr gute Studien darüber, die belegen, dass selbst Menschen, die von sich behaupten, Mobilfunkstrahlen spüren zu können, dies nicht tun. Auch über Effekte auf das EEG sagt eine Mehrheit der Aggregatoren, dass sie ausreichend nachgewiesen sind. Die Deutsche Strahlenschutzkommission und das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz geben auch hier eindeutig Entwarnung. Ob es wirklich die Strahlung selber ist, die Gehirnströme beeinflusst oder ob es nicht einfach normale Gehirnaktivität während eines Telefonats ist, scheint also nicht eindeutig geklärt zu sein.
BioInitiative und IARC: Zwei Gremien stechen hervor
Unter den betrachteten Gremien stechen ganz besonders die BioInitiative und die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hervor: Laut BioInitiative sind fast alle der von ihr untersuchten Effekte ausreichend nachgewiesen (und sie drängt daher auf noch strengere Grenzwerte und Empfehlungen zur Expositionsreduktion) und die IARC stuft seit 2011 Mobilfunkstrahlung als “möglicherweise krebserregend” ein. Ein genauerer Blick auf diese beiden Gremien lohnt daher, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Bericht nicht weiter auf diese Diskrepanz eingeht.
Herausgeberin des BioInitiative Reports ist Cindy Sage. Sie ist Inhaberin einer Firma im Geschäftsbereich Baubiologie, die an der Westküste der USA einige Filialen unterhält. Die Firma bietet Beratung und Dienste zur Reduktion von elektromagnetischen Feldern durch Mobilfunk an, der Bericht der BioInitiative ist auf der Homepage der Firma verlinkt. Eine Voreingenommenheit gegenüber Mobilfunk einerseits und andererseits ein gewisses Interesse an einem wissenschaftlich anmutenden Nachweis eines gesundheitlich nachteiligen Effekts von Mobilfunkstrahlung kann bei ihr also nicht von der Hand gewiesen werden.
Ein bekanntes Mitglied der BioInitiative ist Lennart Hardell, ein schwedischer Onkologe, Krebs-Epidemiologe und Umweltmediziner. Was seine Untersuchungen zum Krebsrisiko durch bestimmte chemische Substanzen anlangt, ist er sicherlich eine anerkannte Größe. Allerdings wurden bereits seine frühen Arbeiten zum behaupteten Zusammenhang zwischen Mobilfunk und Krebs als methodisch mangelhaft und statistisch kaum signifikant kritisiert. In einer 2007 publizierten Studie prognostizierte er einen relativen Anstieg der Krebsfälle aufgrund von Mobilfunknutzung. Bereits 2012 widersprach dem eine andere Gruppe von Wissenschaftern aufgrund von detaillierten Krebsdaten aus den USA. Bis heute wollen sich die Krebsfälle partout nicht an die Vorhersagen Hardells halten. Außerdem trat Hardell als Sachverständiger u.a. in den USA in Gerichtsprozessen gegen Mobilfunkgesellschaften auf, was ihm nicht nur viel Aufmerksamkeit beschert, sonder wahrscheinlich auch ein nicht zu verachtendes Zubrot abwirft.
Auch zwei Autoren aus Österreich haben am BioInitiative Report mitgewirkt: Michael Kundi von der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin der MedUni Wien und Gerd Oberfeld von der Landessanitätsdirektion des Landes Salzburg. Ao. Univ.-Prof. Michael Kundi war schon lange vor Erscheinen des BioInitiative Reports gegen Mobilfunk aktiv: Er veröffentlichte eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonie und Tinnitus gefunden haben will, der aber andere Arbeiten widersprechen, agitierte gegen groß angelegte epidemiologische Studien, die keinen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonie und Krebs gefunden haben, forderte mit der Wiener Ärztekammer u.a. ein Werbeverbot für Mobiltelefone, usw. Wie Hardell gibt auch Kundi einen Interessenskonflikt aufgrund einer Gutachtertätigkeit für einen Gerichtsprozess in den USA an.
Dr. med. Gerd Oberfeld hingegen ist u.a. dafür bekannt geworden, dass er im Jahr 2008 eine Studie gemacht hat, die gezeigt haben will, dass die Häufung von Krebs in den steirischen Gemeinden Hausmannsstätten und Vasoldsberg in Zusammenhang mit einem Mobilfunkmasten stünde – mit dem kleinen Haken, dass der behauptete Sender an dieser Stelle nie existiert hat! Herr Oberfeld entging einer Verurteilung aufgrund einer Klage der Mobilkom Austria nur durch einen Vergleich, die Studie hat er noch im gleichen Jahr zurückgezogen. Zusätzlich war diese Studie von schweren methodischen Schwächen geplagt. Details und Hintergründe zu dieser Causa waren schon einmal Thema in diesem Science Blog.
Es wäre interessant zu wissen, welche “Leistungen” die übrigen 25 AutorInnen des BioInitiative Reports noch so vorzuweisen haben. Es ist wenig überraschend, dass ein Bericht wie jener der BioInitiative herauskommt, wenn sich das Autorenteam aus Personen mit solchen Vorgeschichten aus tw. schlechter Wissenschaft, um nicht zu sagen Pseudowissenschaft, zusammensetzt. Ich möchte hier anmerken, dass es mir nicht um eine Argumentation ad hominem geht, um den BioInitiative Report in ein schlechtes Licht zu rücken, sondern zu zeigen, dass es einerseits auch auf der Gegenseite sehr wohl wirtschaftliche Interessen gibt und andererseits, mit welch zweifelhaften Methoden hier gearbeitet wird. Letztlich laufen die von der BioInitiative geforderten Grenzwerte darauf hinaus, dass Mobilfunk schlicht nicht realisierbar wäre.
Der Bericht an das Parlament verabsäumt es, ernsthaft zu hinterfragen, wie denn diese eklatante Diskrepanz zwischen der BioInitiative und den meisten restlichen Gremien zustande kommt. Das ist umso bedauerlicher, als die oben zusammengefassten Problematiken rund um die BioInitiative dem Normalbürger in der Regel unbekannt sind. Dass es handfeste wirtschaftliche Interessen nicht nur auf der Seite von Mobilfunkbetreibern, sondern auch auf der Seite von Mobilfunkgegnern gibt, wenn sie Geschäfte mit der Angst der Menschen vor Mobilfunk machen, wird von den BerichtsautorInnen nicht thematisiert. Wie sich Geschäftemacherei von Mobilfunkgegnern abspielt, habe ich bei zwei einschlägigen Veranstaltungen kürzlich selber erleben dürfen und soll Thema eines weiteren Blogartikels werden. Darüber hinaus gibt es beim Mobilfunk, nach dem gleichen Muster wie bei anderen Technologien und Anwendungen, auch ideologische Voreingenommenheiten, aus einem oft esoterisch angehauchten Antrieb “weg von der Technik, zurück zur Natur”. Auch dieser Umstand findet im Bericht mit keinem Wort Erwähnung. Ob es dafür außer die knapp bemessene Zeit bis zur Abgabe konkrete Gründe gab, ist unklar. Interessieren würde mich auch, ob die BerichtsautorInnen damit gerechnet haben, dass ihr Werk von Mobilfunkgegnern als Argumentationsgrundlage für ihre Agitation verwendet werden würde?
Einstufung von Mobilfunkwellen durch die IARC
Krebs ist der einzige gesundheitliche Effekt, den die IARC betrachtet, wie ihr Name schon nahelegt. Die IARC findet “limitierte Nachweise” für Krebs, insbesondere am Kopf, als biologischen Effekt von Mobilfunkstrahlung. Die Einstufung von Mobilfunkwellen als “möglicherweise krebserregend” (Kategorie 2B) geschah 2011, nachdem die (von der IARC selbst beauftragte) sogenannte Interphone-Studie abgeschlossen war. Die Methodik der Interphone-Studie, die auf retrospektiven Selbstauskünften basiert, ist allerdings sehr mangelhaft, und die Interpretation der Ergebnisse hat selbst unter den beteiligten Wissenschaftern zu handfestem Streit geführt. Abgesehen davon: Ist Kategorie 2B besorgniserregend? Neben vielen verschiedenen Substanzen sind in der Kategorie 2B auch Aloe-vera-Extrakte und die Tätigkeit als Zimmermann eingestuft. Sogar rotes Fleisch und Heißgetränke über 65°C sind höher in der Krebsgefahr eingestuft, nämlich Kategorie 2A (“wahrscheinlich krebserregend”). Nimmt man sehr konservativ die oben zitierte und sowieso umstrittene Studie von Lennart Hardell zu Mobilfunk und Hirntumore (Glioma) als Grundlage, so steigert sich die maximal zu erwartende Zahl an Glioma-Erkrankten unter 100000 Menschen von 3,0 auf 3,9 – nicht einmal eine Person mehr. Nicht nur in Österreich sind die Hirntumorraten seit Beginn der 1990er-Jahre konstant, obwohl seither Millionen Mobiltelefone und WLAN-Router, in privaten Haushalten, Unternehmen oder im öffentlichen Bereich, in Betrieb gegangen sind. Jegliche potentielle Auswirkung von Mobilfunk auf die Krebsrate geht im statistischen Rauschen unter. Grundlegende Überlegungen, warum man getrost davon ausgehen kann, dass selbst diese Restwahrscheinlichkeit gegen Null geht, werde ich in einem nachfolgenden Blogartikel anstellen.
Auswertung in Hinblick auf 5G
Was mögliche gesundheitliche Auswirkungen von 5G betrifft, greift der Bericht auf aktuelle Review-Artikel zurück, da es noch kaum Stellungnahmen von Gremien gibt, die viel mehr als pauschale Aussagen über 5G machen. Es wird ein Mangel an Studien konkret zu 5G konstatiert, hier gäbe es noch große Wissenslücken (aber siehe dazu den nachfolgenden Blogartikel). Der Bericht räumt zwei rezenten Review-Artikeln etwas mehr Platz ein. Hier sei angemerkt, dass der Bericht die Trennung zwischen Frequenzen <6 GHz und > 6GHz (FR 1 und FR 2, s.o.) nicht oder nur rudimentär vornimmt und die zwei zitierten Review-Artikel ausschließlich auf FR 2 eingehen.
Der erste Artikel stammt von Simko & Mattsson (2019). Sehr viele der von diesen AutorInnen ausgewerteten Studien untersuchen biologische Effekte bei sehr hohen Expositionen, insbesondere in Hinblick auf medizinisch-therapeutische Anwendungen – also genau das Gegenteil dessen, was Mobilfunkgegner den Funkwellen unterstellen! Ein Fazit der Studie von Simko & Mattsson lautet, dass “aus der Studienlage insgesamt wegen widersprüchlicher Ergebnisse aus In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen keine klare Evidenz” erwachse (Zitat aus dem Bericht) – keine wissenschaftliche Grundlage also, um sich vor 5G zu fürchten oder es gar zu bekämpfen. Es wird “empfohlen, die Suche nach möglichen biologischen Auswirkungen auf den Menschen auf die oberen Hautschichten und Augen zu konzentrieren”.
Eine weitere interessante Studie ist jene von Betzalel et al. (2018), die u.a. ein verbessertes Hautmodell für Simulationen der Wechselwirkung von Schweißdrüsen mit hochfrequenter Mikrowellenstrahlung vorstellt. Eine solche Wechselwirkung würde sich aber erst bei Frequenzen von 75 bis 110 GHz zeigten – am oberen Rande oder über dessen, was derzeit für 5G geplant ist. Die Autoren schließen, dass es aufgrund der besonderen Struktur der Schweißdrüsen bei hohen Frequenzen zu nicht-thermischen biologischen Effekten kommen könnte – der Konjunktiv lässt grüßen, wie sehr häufig bei dieser Thematik.
Mein Fazit aus diesen Arbeiten lautet, dass es legitim ist, nach noch unbekannten Effekten bei hohen Expositionen (weit über den geltenden Grenzwerten!) oder hohen Frequenzen zu suchen, aber dass es nach wie vor keinerlei Grund für Beunruhigung gibt.
Zurück nach Geboltskirchen
Was die Bürgerinitiative in Geboltskirchen betrifft, so habe ich den Eindruck gewonnen, dass es eigentlich nicht (nur) um 5G geht, sondern dass im Hintergrund das Ziel mehr Nachhaltigkeit steht. 5G scheint also nur als Aufhänger zu fungieren. Nachhaltigkeit ist ein löbliches Ziel, meiner Meinung nach ist 5G als Aufhänger aber ungeeignet. Ich kann das Bauchgefühl, dass es mit unserer Umwelt bergab geht und Technik unsere natürliche Lebensgrundlage gefährdet und zerstört, durchaus nachempfinden. Ich bin aber sicher, dass der zweite Teil des vorigen Satzes nur ein Gefühl ist und dass wir Technologie benötigen, um mit möglichst wenigen Ressourcen die vielfältigen Bedürfnisse aller zu befriedigen. Technologie alleine wird das Nachhaltigkeitsproblem nicht lösen, aber ich bin überzeugt davon, dass wir für eine nachhaltigere Lebens- und Wirtschaftsweise nicht weniger Technologie brauchen, sondern bessere Technologie! 5G kann, intelligent genutzt, so eine bessere Technologie sein, die zu mehr Ressourceneffizienz, weniger CO2-Ausstoß und weniger Schadstoffen führt. Um nur ein Beispiel zu nennen, könnte durch eine lokal gut ausgebaute Infrastruktur gerade in einer sog. strukturschwachen Region mit wenigen modernen Arbeitsplätzen der CO2-Ausstoß reduziert werden, wenn dadurch weniger Menschen mit dem Auto täglich zu weit entfernten Ausbildungs- und Arbeitsplätzen pendeln müssten. In Geboltskirchen soll dies nun v.a. durch einen Ausbau des Glasfasernetzes erfolgen.
Mein Dank geht an Manfred Ruttner für Hilfe beim technischen Teil des Artikels, an Ernst Bonek für die Unterstützung bei der Recherche, an Alwin Schönberger, dessen Profil-Artikel ein wichtiger Anhaltspunkt war und an Erich Eder und Ulrich Berger fürs Korrekturlesen.
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