Erwähnenswert finde ich auch noch die angebliche Metaanalyse, die im ÖÄZ-Artikel präsentiert wird und ein signifikant erhöhtes Risiko für Gliome bei Nutzung von Mobilfunk nahelegt. Allerdings wird im Artikel nicht erklärt, ob es sich dabei um eine publizierte Metaanalyse oder um eine eigene Arbeit der Autoren handelt. Ohne diese Angaben lässt sich überhaupt nicht nachvollziehen, wie sie auf eine solche Aussage kommen.
Hans-Peter Hutter ist auch Vorstand des Vereins “Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt” (ÄGU) und hat für diesen mit anderen einen “Leitfaden Senderbau” geschrieben, der i. W. einen Planungszielwert von einem Milliwatt pro Quadratmeter (entspricht gerundet einer Feldstärke von 0,6 V/m) für alle Hochfrequenz-Immissionen empfiehlt. In der Schweiz hat eine Arbeitsgruppe im Auftrag des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation eine Machbarkeitsstudie verschiedener Optionen des 5G-Ausbaus erarbeitet, in der auch diese Option der Senkung des Anlagegrenzwertes auf 0,6 V/m erwähnt wird. Allerdings geht die Arbeitsgruppe auf diesen Vorschlag erst gar nicht näher ein, denn bei dieser Variante erachten die Mobilfunkbetreiber eine leistungsfähige Mobilkommunikation als nicht mehr möglich. Mit anderen Worten, der von Hutter geforderte Grenzwert läuft in der Praxis auf die Abschaffung von Mobilfunk hinaus.
Wenn es laut Hutter und Kollegen nicht ausreichend (gute) Forschung über gesundheitliche Folgen von Mobilfunk gibt, weshalb betreibt er dann nicht selbst diese Forschung? Immerhin diagnostiziert auch der WBF, dass die Anzahl der wissenschaftlich hochwertigen Studien rückläufig ist. Wenn Hutters Bedenken so groß und seine wissenschaftlichen Ideen exzellent sind, dann kann er sie ja der internationalen Community vorstellen und z. B. über den Wissenschaftsfonds FWF Projektmittel einwerben. Dass er das bislang nicht erfolgreich gemacht hat, lässt sich im FWF Projectfinder leicht nachprüfen. Eine Hürde beim Einwerben von Projektmitteln könnte sein, dass er in den letzten ca. zehn Jahren praktisch keine referierten Publikation über dieses Thema vorzuweisen hat, wie ein Blick in PubMed zeigt. Die Öffentlichkeit lässt sich aber eben auch mit nicht-referierten Publikationen ganz gut erreichen, ganz ohne lästiges Peer Review.
Die von Hutter und Kollegen getätigten Äußerungen sind meiner Meinung nach dazu geeignet, bei besorgten Bürgern Angst zu verbreiten. Dies wird dadurch verstärkt, dass man ihnen aufgrund ihrer Profession als Wissenschafter erhöhte Glaubwürdigkeit zumisst. Nicht ganz verwunderlich ist es daher, dass verängstigte Bürger auch schon mal zur Tat schreiten; Anschläge auf (vermeintliche) 5G-Mobilfunkmasten sind mittlerweile rund um den Globus dokumentiert. Ein Brandanschlag auf einen Mobilfunkmasten wurde kürzlich auch im Weinviertel geplant, konnte durch Ermittler des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Niederösterreich jedoch vereitelt werden. Der in diesem Fall Verdächtige bezeichnete sich selbst als Gegner des 5G-Mobilfunknetzes (sowie der Corona-Maßnahmen) und rechtfertigte seine Anschlagsfantasien explizit mit Gesundheitsschäden, die von 5G ausgingen. Pikantes Detail am Rande: Chats, Bild- und Videodateien der Vorbereitungen wurden von den Behörden ausgerechnet auf seinem Handy gesichert …
Ich möchte hier deutliche Worte finden: Meiner Meinung nach muss sich Hans-Peter Hutter durch seine irreführenden Aussagen über Mobilfunk und 5G die Frage gefallen lassen, ob er sich nicht für solche Taten moralisch mitverantwortlich fühlt. Als Astrophysiker möchte ich mir noch folgenden Kommentar erlauben: Ein Umweltmediziner, der unentwegt vor den gesundheitlichen Gefahren von Mobilfunk warnt, ist so verantwortungsvoll wie ein Astrophysiker, der ständig auf den Einfluss des Mondes auf unser Leben hinweist.
Hutter und das Mikroplastik
Eine Anekdote, die Hutters zumindest schlampigen Kommunikationsstil mit der Öffentlichkeit illustriert, lässt sich auch zum Thema Mikroplastik erzählen. Im Oktober 2018 wurden die Ergebnisse einer Pilotstudie von österreichischen Wissenschaftern präsentiert, die Mikroplastik in der Größe zwischen 50 und 500 Mikrometern im Stuhl von acht internationalen Probanden nachweisen konnten. Der Gedanke an Mikroplastik in unseren Körpern verbreitet sicherlich kein Wohlbehagen. Allerdings gibt es über potentiell negative gesundheitliche Auswirkungen von Mikroplastik bislang kein belastbares Material. Der Wikipedia-Eintrag dazu stützt sich auf eine Arbeit des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung; ich zitiere aus der Wikipedia: “Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung kann eine abschließende gesundheitliche Risikobewertung der Wirkung von Mikroplastik aktuell noch nicht erfolgen. Konkrete Studien, die schädliche Wirkungen von Mikroplastik für den Menschen nachweisen, gibt es bisher nicht. Da die meisten Polymere (Hauptbestandteile von Kunststoffen) unter physikochemischen Bedingungen des Körpers als unreaktiv (inert) gelten, erscheint das Risiko voraussichtlich gering zu sein, es gibt jedoch noch viele offene Fragen.” Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung kommt das Projekt Science Advice for Policy by European Academies, das die Europäische Kommission in wissenschaftlichen Fragen unabhängig berät. Aus Anlass der Veröffentlichung der genannten Pilotstudie wurde Hutter ins ORF-Studio eingeladen und interviewt. Der ORF-Journalist stellte an einer Stelle des Gesprächs die naheliegende Frage, ob nicht der nächste Schritt sein müsse, zu untersuchen, welche gesundheitlichen Auswirkungen Mikroplastik auf den Menschen hat. Hutters Antwort darauf war in etwa: “Nein, jetzt muss man als nächstes untersuchen, ob nicht noch viel kleineres Mikroplastik in unseren Körpern vorhanden ist!” Es ist nicht falsch, das zu fordern. Ich finde die Antwort allerdings bedenklich, weil sie dem Zuseher die eigentlich wichtige Botschaft, nämlich dass nach aktuellem Erkenntnisstand von Mikroplastik keine gesundheitsschädliche Gefahr ausgeht, vorenthalten wird. Beim Zuseher, der das nicht weiß, bleibt Unbehagen zurück. Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch noch, dass Hutter zum Thema Mikroplastik nur eine einzelne Publikation aus dem Jahr 2021 (!) vorweisen kann, in der es jedoch um eine Nachweismethode und nicht um gesundheitliche Auswirkungen von Mikroplastik geht.
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