Gleich drei aktuelle Veröffentlichungen in Nature (hier Nummer zwei) und Nature Genetics beschäftigen sich mit dem Thema Rauchen und Lungenkrebs. Amüsanterweise hat die populärwissenschaftliche Berichterstattung die Intention der ursprünglichen Arbeiten übersehen,


einige Spekulation aus der Diskussion aufgegriffen, ein Gen herbei gezaubert und das Ganze mit Schicksal übersetzt. Dabei ging es doch ursprünglich um harte Wissenschaft.
In jeweils extrem rechenintensiven Verfahren haben die Forscher untersucht, welche Raucher Lungenkrebs entwickeln und ob dabei auch genetische Faktoren wirken.

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Tatsächlich fanden die drei Gruppen unabhängig voneinander und in äußerst unterschiedlichen Populationen (11.000 Isländer, 4500 Lungenkrebspatienten aus 40 Ländern und 3000 Raucher vor allem aus den USA) in der Region 15q24 zwei Punktmutationen, die mit der Entstehung von Lungenkrebs zusammenhängen.Die besonders Interessante heißt rs8034191.

Heißt übersetzt: Wer diese Punktmutation besitzt, hat – sofern er raucht – ein deutlich höheres Risiko an Lungenkrebs zu erkranken, als jemand, der diese Punktmutationen nicht besitzt.

Für Europäer (Daten von deCODE) wird es allerdings komplizierter, weil die Hälfte von ihnen diese Punktmutation auf einem der beiden Chromosomen Nummer 15 besitzt (ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass die Leser wissen, dass Menschen 46 Chromosomen haben, von denen 1 bis 22 in doppelter Ausführung vorliegen dazu kommen dann noch xx bzw. xy).

Heißt also: Richtig schlimm wird es für Europäer, wenn sie die Punktmutation auch auf dem anderen 15er besitzen. Dann erhöht sich ihr Risiko an Lungenkrebs zu erkranken um satte 30 Prozent.

Man kann deshalb davon ausgehen, dass Leute wie Helmut Schmidt und Jopi Heesters rs8034191 nicht in doppelter Ausführung tragen, doch dass nur am Rande.

Natürlich bietet deCODE auch einen entsprechenden Gentest an, mit dem man sein Erbgut überprüfen kann, aber das schmälert nicht den Wert ihrer Arbeit. Außerdem fanden sie auch heraus, dass Raucher häufiger die Punktmutationen tragen als Nichtraucher.

So viel zu den hard facts. Dann kam die Spekulation:

Die Forscher schauten nach, was sonst noch so in der Nähe von 15q24 liegt. Dabei entdeckten sie, dass in der Region auch Teile des nikotinergen Acetylcholin-Rezeptors (nACh) codiert werden.
Der ist zwar primär gar nicht für die Bindung von Nikotin zuständig, sondern natürlich für den Botenstoff Acetylcholin – aber wenn er die Wahl hat, reagiert er lieber mit Nikotin. Das ist so wie mit dem Hämoglobin im Blut, dass lieber Kohlenmonoxid bindet als Sauerstoff – obwohl das den restlichen Körper nicht glücklich macht …
Aber gut.

Also in der Region 15q24 wird zusätzlich auch der sogenannte nACh codiert. Damit kommen wir zur Spekulation der Forscher, die im Gegensatz zu der Lungenkrebs-Geschichte nicht durch Forschungsergebnisse abgesichert ist.

Da der nACh unter anderem im Gehirn wirkt, könnte es sein, dass Nikotin auf Leute mit der entsprechenden doppelten Punktmutation, eine besonders starke Wirkung hat. Folglich könnte es sein, dass diese Leute nur sehr schwer mit dem Rauchen aufhören können.
Eine sehr interessante Theorie, die auf jeden Fall weiter untersucht werden sollte.

Aber was macht die populärwissenschaftliche Presse daraus? „Können Raucher gar nichts für ihre Sucht? Eine Gruppe europäischer Forscher hat ein „Raucher-Gen” entdeckt” schreibt Bild. Das ist ganz schön witzig, denn da hat die Chefetage aus einer Punktmutation gleich ein ganzes Gen gemacht. Evolution im Sekundentakt! Oder auch hier.

Hat irgendjemand das Wort Lungenkrebs entdeckt?

Kommentare (3)

  1. #1 Monika
    April 4, 2008

    Hmm…wenn Journalisten unter der Münchhausen-Mutation leiden 😉 …An Deinem Beispiel zeigt sich wieder, dass man auf “Allround-Wissenschaftsjournalisten” zugunsten von “Journalisten vom Fach” verzichten sollte……Aber auch der Spiegel hat diese Woche mit ähnlichen weit interpretierten Nachrichten aus der Hirnforschung aufgewartet….Das hat schon epidemischen Charakter…oder gar eine Pandemie????
    Wie der Spiegel seine Leser für dumm verkauft oder: wieder Supernachrichten für alle Gutgläubige
    Auf der einen Seite ist es ja ganz nett, wenn dadurch uns Bloggern die Themen nicht ausgehen. Auf der anderen Seite wäre es aber auch schön, wenn man mal die Zeit hätte, über das zu berichten, was Wissenschaft tatsächlich leistet und leisten kann. Was den Erkenntnisforschritt anbelangt treten wir dadurch eher auf der Stelle. Schade…schade

  2. #2 Martin R
    April 6, 2008

    Nobody here writing about the measles outbreak in a Salzburg Waldorf school?

    https://scienceblogs.com/aardvarchaeology/2008/04/austrian_anthroposophy_waldorf.php

  3. #3 blugger
    April 18, 2008

    @Martin, surely one of our bloggers has written about it – https://www.scienceblogs.de/weitergen/2008/04/masernepidemie-in-osterreich.php