Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie von Naturwissenschaft begeistert. Am Ende der Schullaufbahn sind Physik und Mathematik die unbeliebtesten Fächer. Irgendetwas läuft hier falsch – doch gehen neue Reformen in die richtige Richtung?
Welche Rolle hat ein Lehrer – in einer Zeit von Internetvideos, Smartphones und Online-Enzyklopädien? Verliert der Lehrer seine Rolle als Faktenlieferant, weil sich Schüler ihre Informationen ohnehin selbst besorgen können? Wie viel fachliches Wissen ist in der Lehrerausbildung nötig? Sollte das Hauptaugenmerk eher auf pädagogischer Ausbildung liegen? In Österreich wird die Zukunft der Lehrerausbildung derzeit heftig diskutiert – die dahinterliegende Frage müssen sich alle Staaten stellen: Welche Rolle haben Lehrer, und wie viel Fachwissen brauchen sie?
Eine der Hauptaufgaben des Schulunterrichts ist, Schülern das Interesse an intellektuellen Themen nahezubringen. Die Lehrer, an die ich mich heute gerne zurückerinnere, waren jene, die eine Begeisterung über ihr eigenes Fach spüren ließen. Wenn jemand im Klassenzimmer steht, und das, was er zu erzählen hat, tatsächlich aufregend, spannend und wichtig findet, dann kann der Unterricht kaum langweilig werden. Schmerzhaft quälend waren hingegen die Schulstunden, in denen wir das Gefühl hatten, der Lehrer fühlt sich eigentlich selbst angeödet über das, was er da erzählt. Diese notwendige Begeisterung über das eigene Fach kann man aber sicher nur aufbringen, wenn man sich im eigenen Fach zuhause fühlt und sich ein tiefes Wissen angeeignet hat.
Einer der besten Lehrer meiner Schulzeit war ein Biologe, der sich in seiner Freizeit auf wissenschaftlichem Niveau mit Lichenologie beschäftigte – der Erforschung von Flechten, diesen unscheinbaren krustigen bis büscheligen Gewächsen, die man auf Baumrinden oder Steinen findet. Das ist wohl kaum ein Wissenschaftsgebiet, das man als siebzehnjähriger freiwillig ganz oben auf seiner Prioritätenliste einreihen würde – doch aufgrund seiner Begeisterung und durch sein ungeheures Wissen darüber gelang es dem Lehrer, unser Interesse dafür zu wecken. Monatelang sammelten wir Proben, zerschnitten sie unter der Stereolupe und analysierten sie im Mikroskop. Aus mir wurde dadurch kein Lichenologe, aber ich habe dabei ganz gewiss viel über Naturwissenschaft gelernt.
Zu glauben, ein Lehrer müsse in seinem Fach nur das wissen, was er den Schülern beizubringen hat, ist ein gefährlicher Fehler. Man kann komplizierte Themen nur dann verständlich erklären, wenn man viel mehr über sie weiß, als man den Schülern erzählt. Nur wenn das Fachwissen des Lehrers deutlich tiefer geht als das, was er im Unterricht seinen Schülern tatsächlich präsentiert, kann er abschätzen, welche Aspekte besonders wichtig sind und wo die Grenze zwischen zulässiger Vereinfachung und irreführender Tatsachenverbiegung verläuft. Nur ein Lehrer, der auch mit überraschenden Fragen besonders kluger Schüler souverän umgehen kann, leistet wirklich gute Arbeit. Wer sich verschämt aus solchen Situationen herauszuwinden versucht, indem er erklärt, das sei nicht Lehrstoff, das müsse man also nicht wissen, der wird jede aufkeimende Begeisterung bei den Schülern schon beim ersten Aufglimmen sofort wieder abdämpfen.
Besonders in den Naturwissenschaften ist das ein Problem. Um Evolutionstheorie, Quantenphysik oder Wahrscheinlichkeitstheorie unterrichten zu können, braucht man eben sehr viel Vorwissen. Genau die Fächer, die wissenschaftlich besonders herausfordernd sind, in denen es für Lehrer besonders schwierig ist, fachlich souverän zu bleiben, sind die unbeliebtesten Unterrichtsgegenstände. Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Oft sind Lehrer selbst inhaltlich überfordert und schummeln sich über Unterrichtsthemen hinweg, indem sie manche Gebiete ausklammern oder sich öde und stur an die Lehrbücher halten. Für die Schüler ist das keine gute Lösung. Wir brauchen Lehrer, die selbst eine fachlich hervorragende Ausbildung genossen haben. Wir brauchen Lehrer, denen ihr Fach ein echtes inneres Anliegen ist. Wir brauchen Lehrer, die von ihrem Fach so brennend begeistert sind, dass ihre Begeisterungsfunken in den Köpfen der Schüler ein Licht aufgehen lassen.
Dass darüberhinaus eine fundierte pädagogische Ausbildung unerlässlich ist, versteht sich von selbst. Wer sich heute zum Lehrer ausbilden lässt, steht schon während der Ausbildungszeit viel früher und viel öfter im Klassenzimmer als in früheren Jahrzehnten – und das ist gut so. Wer kleine Kinder unterrichten will, wird kaum auf fachliche Herausforderungen stoßen, auf pädagogische und soziale hingegen sehr oft. Wer aber Jugendliche in den letzten Jahren der Schulzeit unterrichtet, muss fachlich allerdings ganz andere Anforderungen erfüllen: Wenn wir Schüler dazu erziehen wollen, intellektuelle Spitzenleistungen abzuliefern und sich in ihre Lieblingsfächer intensiv zu vertiefen, dann brauchen wir Lehrer, die ihrerseits Erfahrung mit fachlicher Tiefe haben. Die Fachausbildung von Lehrern abzuwerten und stattdessen zu glauben, mit pädagogischer Qualifikation und Wikipedia könne man ohnehin jedes Thema unterrichten, wäre ein Fehler, der ungeheuren Schaden anrichten könnte.
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