Die Quantenphysik ist keine Hexerei. Sie ist eine Theorie wie andere auch. Man rechnet, und am Ende kommt eine Zahl heraus.
Sie suchen nach einer wissenschaftlichen Erklärung für Astrologie oder Wünschelrutengehen? Sie wollen Telekinese, Gedankenübertragung oder Wahrsagerei erklären? Gar kein Problem: Machen Sie ein ernstes Gesicht, erheben Sie einen ehrfurchtsgebietenden Zeigefinger und behaupten Sie: Das ist Quantenphysik! Meistens wird man Ihnen glauben.
Geld machen mit Quanten
Das Zaubergerät, das aus bösen, negativ gepolten Elektronen bioverträglichen positiv-Strom macht, die Wundermaschine, die Wassermoleküle in der feuchten Kellerwand durch magische Kräfte zum Verschwinden bringt, oder auch das Motivations-Buch, das uns einredet, wir können durch positives Bewusstsein die Zukunft gezielt bestimmen – sie alle argumentieren gerne mit der Quantenphysik. Hat schon jemals jemand versucht, Ihnen esoterischen Unfug mit dem Hinweis zu verkaufen, es handle sich um ganz neue Forschung aus der Mechanik oder Thermodynamik? Natürlich nicht! Nur die Quantenphysik wird immer gerne für solchen Unfug missbraucht.
Das ist nicht ganz überraschend: Schließlich liefert die Quantenphysik tatsächlich Vorhersagen, die wir durch unser Alltagsverständnis gerne versehentlich für widersinnig halten. Das liegt aber ausschließlich daran, dass wir nicht daran gewöhnt sind, mit sehr kleinen Objekten umzugehen. Im Grunde ist die Quantenphysik nämlich genauso logisch und solide wie jede andere physikalische Theorie. Leider hat sie den Ruf, etwas Kuschelweiches, Beliebiges, Bauchgefühltes zu sein. Selbstverständlich ist das falsch.
Überlagerungen, Bewusstsein und Verschränkung
Es sind immer wieder dieselben Punkte, an denen die Quantenphysik in den Sumpf der Esoterik gezogen werden soll. Erstens: Die Quantenphysik erlaubt Überlagerungen von Zuständen, obwohl wir aus unserer Erfahrung wissen, dass die Eigenschaften von Objekten (wie Ort, Geschwindigkeit, Farbe oder Gewicht) normalerweise ganz eindeutig festgelegt sind. Zweitens: Die Quantenphysik sagt, dass wir ein quantenmechanisches System durch eine Messung verändern – die Beobachtung hat also einen Einfluss auf das, was beobachtet wird. Dadurch wurden Spekulationen angeregt, das Bewusstsein des beobachtenden Menschen habe eine Auswirkung auf die physische Situation des Messobjektes. Drittens: Die Quantenphysik sagt, dass Teilchen aus sehr subtile Art in Verbindung stehen können, sodass man sie nur gemeinsam mathematisch beschreiben kann – das bezeichnet man als „Quantenverschränkung”. Bei näherer Betrachtung hat natürlich keiner dieser drei Punkte etwas mit Mysterien, Wundern und Zauberei zu tun.
Überlagerungszustände: So und gleichzeitig anders
Das Phänomen der Quanten-Überlagerungen (der sogenannten Superposition von Zuständen) ist tatsächlich faszinierend. Ein Elektron ist nicht links oder rechts vom Atomkern – es ist beides gleichzeitig. Es kann sich gleichzeitig links- und rechtsherum drehen. Ein Molekül kann (für kurze Zeit) sowohl ganz als auch zerbrochen sein. Während in der klassischen Physik Zustände etwas Absolutes, Eindeutiges sind, kennt die Quantenphysik auch Zustände, die einer Überlagerung dieser klassischen, eindeutigen Zustände entsprechen.
Wer an diesem Punkt aber schon rosarote Einhörner herumtraben sieht und schlussfolgert, dass es laut Quantenphysik also gar keine Realität gäbe, der hat die Sache nicht verstanden. Auch Überlagerungszustände sind sauber definiert, können brav mathematisch hingeschrieben und ausgerechnet werden. Dass uns Überlagerungszustände komisch vorkommen liegt an uns – die Quantenphysik kann nichts dafür.
Wenn wir den Zustand eines Quantensystems (etwa eines Elektrons oder eines Atoms) beobachten, dann finden wir es immer in einem klassisch möglichen Zustand – niemals in einer Überlagerung. Wenn wir den Aufenthaltsort eines Teilchens messen, dann messen wir es an einer ganz bestimmten Stelle – auch wenn es nach den Regeln der Quantenphysik vorher in einer Überlagerung aus links, rechts, vorne, hinten oder wo auch sonst immer gewesen sein muss. (Das habe ich schon einmal etwas ausführlicher erklärt.) Das ist natürlich etwas verwirrend: Die Messung beeinflusst das Messobjekt. Durch unser Beobachten verändern wir das, was wir beobachten wollen. Das führt seit der Entdeckung der Quantentheorie immer wieder zu ganz seltsamen Ideen: Immer wieder kann man lesen, das Bewusstsein sei irgendwie dafür verantwortlich. Die Tatsache, dass wir als bewusste Wesen das Quantensystem vermessen zwinge das Quantensystem, sich für eine der verschiedenen möglichen Messwerte zu entscheiden.
Das Bewusstsein in der Physik?
Für die Strömung der konstruktivistischen Philosophie ist das natürlich ein äußerst attraktiver Gedanke: Erst durch die Messung wird etwas festgelegt – erschaffe ich die Wirklichkeit also nur durch mein Denken? Entsteht die äußere Umwelt erst durch mein Bewusstsein? Bevor wir nun mystisches Bauchkribbeln bekommen: Die Antwort ist (nach all unserem Wissen über Physik und die Natur): Nein. Die Wirklichkeit gibt es wirklich, der Mond ist auch da, wenn niemand hinsieht und das Bewusstsein ist dem Quantensystem herzlich egal.
Mittlerweile haben wir sogar recht gut verstanden, wie man sich den Messprozess vorstellen muss, bei dem eine Quanten-Überlagerung zu einem eindeutig festgelegten Zustand wird. Bei diesem Vorgang kommt es nicht auf das Bewusstsein an, sondern schlicht auf die Tatsache, dass ein kleines Quantensystem in Kontakt mit etwas Großem (dem Messgerät) gebracht wird – und große Dinge können sich normalerweise nicht in Überlagerungszuständen befinden. Das Konzept des Bewusstseins taucht dabei gar nicht auf: Ob ein Mensch, ein Grottenolm oder ein seelenloser Roboter die Messung durchführt, spielt überhaupt keine Rolle. Das kleine Quantensystem kommt in Kontakt mit etwas viel Größerem – und dadurch wird eine Überlagerung aus verschiedenen Zuständen extrem unwahrscheinlich.
Doch diese Erkenntnis kommt heute wohl zu spät: Längst sind dicke Bücher mit bunten Umschlägen gedruckt, in denen behauptet wird, die Quantenphysik hätte endlich das Bewusstsein mit in die Physik einbezogen und käme daher zum selben Schluss wie fernöstliche ganzheitliche Philosophien, die immer schon gewusst hätten, dass alles irgendwie zusammengehört. Nichts gegen fernöstliche Traditionen – aber die Quantenphysik damit zu verknoten wird weder der Physik noch der Philosophie gerecht.
Spukhafte Fernwirkung?
Der vielleicht kniffligste Punkt an der Quantentheorie ist die Quanten-Verschränkung: Mehrere Teilchen können quantenphysikalisch so in Verbindung stehen, dass sie nur gemeinsam beschrieben werden können. Sie bilden gewissermaßen ein gemeinsames Quanten-Objekt, auch wenn sie weit voneinander entfernt sind.
Man kann beispielsweise ein Paar von Lichtteilchen erzeugen, die gleichzeitig waagrecht und senkrecht schwingen – und zwar so, dass sie auf jeden Fall unterschiedliche Schwingungsrichtungen haben. Die Schwingungsrichtung jedes der beiden Teilchen ist nicht festgelegt – sie befinden sich in einem Quanten-Überlagerungszustand. Aber die beiden Teilchen sind so verschränkt, dass sie nach einer Messung immer unterschiedliche Zustände einnehmen. Messe ich ein Teilchen, lege ich seinen Zustand damit auf eine der beiden Möglichkeiten fest – waagrecht oder senkrecht. Das Verwirrende daran ist, dass damit im selben Augenblick auch der Zustand des zweiten Teilchens festgelegt wird – denn es muss sich immer genau entgegengesetzt verhalten.
Einstein war damit alles andere als glücklich: Er verwendete diese Überlegung sogar als Argument gegen die Quantenphysik. In der Tat ist es sehr merkwürdig, dass eine Messung an einem bestimmten Ort einen Einfluss auf ein Teilchen an einem anderen Ort haben könnte – doch in Experimenten wurde mittlerweile gezeigt, dass das tatsächlich so ist. Das Problem ist auch hier wieder unsere menschliche Alltagsvorstellung von „Zuständen”, „Beeinflussung” und „Informationsübertragung”.
Gedankenübertragung und Quanten-Telefon
Diese Art von „Fernwirkung” zwischen verschränkten Teilchen wird gerne mit mystischen Dingen wie Gedankenübertragung in Verbindung gebracht. Das ist natürlich völlig falsch. Diese Quanten-Fernwirkung hat nämlich nichts mit Kraftwirkungen zu tun, wie wir sie kennen. Hier beeinflussen sich Teilchen nicht wie zwei Magnete oder wie Hebel, die über Schnüre in Verbindung stehen. Durch die Quanten-Fernwirkung wird keine Information übertragen (das ist eigentlich schade, denn sonst könnte man ein Quanten-Telefon bauen, das Nachrichten ohne Zeitverzögerung übermittelt – Einsteins Relativitätstheorie wäre dann allerdings ziemlich beschädigt). Sie ist einfach eine Konsequenz der seltsamen Tatsache, dass die Quantenphysik Überlagerungszustände erlaubt.
Alles ist mit allem verbunden
Was diese Quanten-Verschränkung tatsächlich mit sich bringt ist die Erkenntnis, dass Teilchen in unserer Welt auf ziemlich komplizierte Weise miteinander in Verbindung stehen können. Das stellt uns tatsächlich vor Probleme: In der Naturwissenschaft beschreiben wir schließlich niemals die ganze Welt auf einmal – wir suchen uns kleine Teile dieser Welt heraus und versuchen sie zu beschreiben. Wenn die Quantenphysik aber sagt, dass sich manche Teilchen nicht wirklich alleine beschreiben lassen, dann ist dieser Versuch doch wohl zwecklos? Wenn die Quantenphysik sagt, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt – hat die Naturwissenschaft dann nicht eigentlich verloren? Müssen wir dann nicht doch zu Pentagramm und Zauberhut greifen und einen holistischen, ganzheitlichen Weg wählen, anstatt auf naturwissenschaftliche Weise einzelne Teilobjekte des Universums zu studieren?
Natürlich nicht! Dass in unserer Welt alles mit allem zusammenhängt ist schließlich nicht neu. Ständig haben wir mit störenden Kräften zu tun, die sich unserem Einfluss entziehen – und die Wissenschaft funktioniert trotzdem. Jeder weit entfernte Stern übt durch seine Gravitation eine Kraft auf uns aus. Würde ich die Bewegung von einzelnen Atomen in einem Gas hier auf der Erde über lange Zeit präzise vorhersagen wollen, müsste ich unermesslich viele störende Einflussgrößen mitberücksichtigen – vom Magnetismus einer Stromleitung in China bis zum Rotation von fernen Monden um ihre Planeten. Natürlich ist das nicht möglich. Und – stört uns das?
Chaos, Chaos überall!
Die Chaostheorie erklärt uns, dass wir mit unserem beschränkten Wissen über die Welt nicht beliebig weit in die Zukunft vorausblicken können. Winzig kleine Einflüsse von außen können dazu führen, dass sich ein kompliziertes System (wie zum Beispiel das Wetter) nach einer gewissen Zeit völlig anders verhält als es sich ohne diese äußeren Einflüsse verhalten hätte. Trotzdem versuchen wir mit großem Erfolg einzelne Objekte zu studieren und dabei äußere Einflüsse zu ignorieren. Wenn ich ausrechnen will, wie lange der Bremsweg eines Autos ist, kümmern mich die Jupitermonde wenig – auch wenn sie einen winzig kleinen Einfluss haben. Ich muss nur wissen, welche Fragen durch Vereinfachungen beantwortet werden können und welche Fragen aufgrund von unvorhersehbaren Störungen unbeantwortet bleiben müssen.
In der Quantenphysik ist es genauso: Verschränkungen zerstören nicht die Vorhersagekraft der Quantentheorie, wir müssen nur etwas vorsichtig sein, wenn wir überlegen, welche Fragen wir beantworten können und welche nicht. Philosophisch betrachtet ist die Quantentheorie aber sicher keine Bedrohung für die wissenschaftliche Methode des Vereinfachens und des isolierten Betrachtens einzelner Objekte.
Die Quantentheorie ist sicher ein ganz besonders faszinierendes Gebiet. Den Ruf, etwas philosophisch ganz grundlegend Neues zu sein, hat sie aus meiner Sicht aber zu unrecht. Sie kommt uns vielleicht seltsamer vor als andere Theorien, doch das liegt nur daran, dass wir nicht durch Alltagserfahrung an sie gewöhnt sind. Keinesfalls möchte ich der Quantentheorie hier ihren Glanz nehmen – im Gegenteil: Eben dadurch, dass man sie verstehen und in Formeln fassen kann, wird sie erst recht faszinierend. Wäre sie bloß eine Sammlung von schwammigen Aussagen über Ganzheitlichkeit, Verbundenheit und Bewusstsein wäre sie vergleichsweise langweilig – und hätte unsere Technologie und unser Leben niemals so verändert wie das in den letzten Jahrzehnten gelungen ist.
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