Die Medien definieren die Nachfrage definiert die Medien. Die Wissenschaft schafft es kaum, in diesen Teufelskreis einzubrechen.
Abendnachrichten sind wichtig. Das lernte ich schon, als ich ein kleines Kind war. Meine Eltern bemühten sich immer sehr, um halb acht mit dem Geschirrspülen fertig zu sein, und dann wurden gemeinsam die Abendnachrichten angesehen – die „Zeit im Bild“ im österreichischen Staatsfernsehen. Ich verstand zwar nicht wirklich, was diese wichtig aussehenden Erwachsenen im Fernsehen erzählten, aber es war offenbar wichtig. Ohne jeden Zweifel. Sonst wären diese Leute ja schließlich nicht in den Abendnachrichten. Fernsehen definiert Bedeutung.
Heute besteht mein Job darin, Wissenschaft zu erklären und mit Journalisten zusammenzuarbeiten, die das auch machen wollen. Ich habe dadurch viele großartige Leute kennengelernt – von kleinen Medien, von großen Tageszeitungen, von Onlinejournalen und von Hochglanzmagazinen. Die Erkenntnis bleibt: Abendnachrichten sind wichtig. Was immer schon wichtig war, wird dort präsentiert, und wenn das, was dort präsentiert wird, vorher nicht wichtig war, ist es danach wichtig – es war ja in den Abendnachrichten.
Daher macht es mich ein bisschen traurig, dass Wissenschaft für die Abendnachrichten absolut kein Thema zu sein scheint. Na gut, die Nobelpreise kommen dort vor, einmal im Jahr, und ab und zu wird wieder mal irgendwo Krebs geheilt, dann dürfen würdige Männer in weißen Kitteln zwölf Sekunden lang schwierige Wörter in die Kamera sprechen. Aber sonst stehen dort Murenabgänge, Basketballmeisterschaften oder Koalitionsstreitereien meist viel höher im Kurs als wissenschaftliche Erfolge. Für die Abendnachrichten ist Wissenschaft nicht wichtig.
Heute wurde in Wien der Wittgenstein-Preis vergeben, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Republik Österreich. „Austro-Nobelpreis“ wird die Bezeichnung gerne genannt. (Was zwar ein bisschen lächerlich ist, denn der Wittgenstein-Preis hat für die Forschung eingesetzt zu werden, über Nobelpreis hingegen darf man frei verfügen – aber trotzdem: Ein hochdotierter Wissenschaftspreis mit 1.5 Millionen Preisgeld, das ist schon eine tolle Sache.)
Der Preis geht an Prof. Ulrike Diebold, eine hochangesehene Oberflächenforscherin der TU Wien, eine international anerkannte Metalloxid-Expertin, mit besonders aufsehenerregenden Forschungserfolgen mit Titanoxid. Ich freue mich und schalte die Abendnachrichten ein. Schließlich ist der größte österreichische Forschungspreis doch sicher eine wichtige Angelegenheit.
Die Nachrichten beginnen mit Finanzkrise und tschechischer Innenpolitik. Keine Frage: Das ist wichtig. Ich warte weiter gespannt. Die Türkei ist auch ziemlich wichtig, und der Datenskandal ohnehin, ganz meine Meinung. Aber jetzt langsam wäre es doch auch Zeit für Wissenschaft? Ganz kurz mal? Der Meldungsblock kommt: Rasch hintereinandergeschnittene Kurzmeldungen – ein Format für doch-nicht-ganz-so-weltbewegend-aber-doch-noch-sehr-wichtige Sachen. Aber keine Wissenschaft.
Doch da! Gleich nach dem runden Geburtstag des alternden Schauspielers kommt das Stichwort „Nanotechnologie“! Hurra! Sind wir am Ende doch wichtig? Titanoxid? Höre ich recht? Doch nach wenigen Sekunden ist klar: Es handelt sich nicht um einen Bericht über die tollen zukunftsweisenden Anwendungsmöglichkeiten aus der Metalloxid-Forschung, für die heute vom Wissenschaftsminister 1.5 Millionen an Preisgeld hergegeben wurden, sondern um einen Beitrag über die Gesundheitsgefahren der Nanotechnologie. Zum Glück muss in Zukunft auf den Sonnencremes draufstehen, ob Nano drin ist. Na da haben wir aber noch mal Glück gehabt!
Wissenschaft taugt als Angst-Thema. Irgendwelche feindlichen Forscher denken sich verrückte Sachen aus, das muss doch sicher zumindest umweltschädlich sein, kein Zweifel. Ob es nützlich sein könnte, darüber denken wir eventuell nach, wenn wir es vorher mal verboten haben. Angst vor Wissenschaft ist wichtig – sie schafft es in die Abendnachrichten. Die Wissenschaft selbst ist hingegen weniger wichtig. Die bleibt draußen.
Nun werden Fernsehjournalisten sicher behaupten, sie präsentierten doch nur, was das Volk haben will. Es gibt sicher irgendwelche Umfragen, dass Wissenschaft in den Abendnachrichten nun eben mal nicht gewünscht wird. Doch das ist ein großer Irrtum: Was die Zuseher interessiert, ist kein genetisch festgelegter Parameter. Die Abendnachrichten erzeugen – wie alle Massenmedien – ihre eigene Nachfrage selbst. Sie definieren, was wichtig ist – und damit will man es sehen. Warum kennen wir Paris Hilton? Wofür ist die berühmt? Ach ja, sie war in den Abendnachrichten. Irgendwann mal.
Nun, da kann eine Wittgenstein-Preisträgerin wohl einfach nicht mithalten. Sie ist eben nicht so wichtig.
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