Die Wahrheit ist: Wir wissen nicht, wie sich minimale radioaktive Dosen auswirken. Es gibt Grund zur Annahme, dass unser Körper mit radioaktiver Strahlung unterhalb einer gewissen Grenze gut zurechtkommt – schließlich sind wir ununterbrochen natürlicher Strahlung ausgesetzt. Die kosmische Strahlung, Radon aus der Erde oder auch Radioaktivität des Gesteins unter uns beeinflusst unseren Körper ständig. Die zusätzliche Dosis, die wir in Mitteleuropa durch den Unfall von Tschernobyl abbekommen haben ist viel kleiner, als die Dosis, die wir aus ganz natürlichen Quellen jedes Jahr abbekommen. Mehr noch: Die zusätzliche Tschernobyl-Strahlenbelastung ist sogar geringer als die regionalen Unterschiede in der Strahlenbelastung. Ob in der Ukraine ein Reaktor explodiert oder nicht hat auf die Strahlenbelastung eines Mitteleuropäers mittelfristig einen geringeren Einfluss als sein Wohnort.
Nun kann man sagen: Wenn wir nicht garantieren können, dass minimale Strahlungsdosen harmlos sind, dann sollten wir vom Schlimmsten ausgehen und maximale Vorsicht walten lassen. Man könnte Fairlies Berechnungen als Worst-Case-Szenario betrachten, nachdem man sich aus purer Vorsicht richten kann. Doch dann müssten wir uns konsequenterweise ganz anders verhalten. Wenn wir nämlich so argumentieren, müssten wir sofort alle Erdgeschoß- und Kellerwohnungen räumen, in denen Radon nachweisbar ist, wir müssten das Granithochland evakuieren, in denen die natürliche Strahlenbelastung höher ist als anderswo, wir müssten Transatlantikflüge verbieten. Wir müssten Bananen aus den Supermärkten verbannen, sie enthalten nämlich radioaktives Kalium. Niemand geht davon aus, dass die minimale Belastung durch eine Banane ein Problem sein könnte – aber naiv nach dem Linearen No-Threshold-Modell berechnet, kommt es im Jahr weltweit zu tausenden Bananentoten.
Bleiben wir bei den Tatsachen!
Tatsache ist, dass Tschernobyl eine furchtbare Katastrophe war. Zahlreiche Menschen sind daran gestorben – die WHO und die IAEO haben sehr detaillierte Studien dazu gemacht und kamen zu einer Abschätzung von mehreren tausen Menschen, die direkt oder indirekt durch Tschernobyl zu Tode kamen. Das ist eine gewaltige Zahl. Jeder einzelne Tote ist eine Tragödie. Jedes einzelne Kind mit Schilddrüsenkrebs (auch wenn zum Glück viele geheilt werden konnten) ist eine persönliche Katastrophe.
Umweltschutzorganisationen könnten bei den Fakten bleiben – sie sind schlimm genug und eignen sich zweifellos als Argumente gegen Kernenergie. Ich halte es für eine Beleidigung der Leute, die tatsächlich unter der Reaktorkatastrophe zu leiden hatten, wenn man heute so tut, als müsse man mit zweifelhaften statistischen Methoden die Katastrophe größer aufbauschen als sie tatsächlich war. Wenn Umweltschutzorganisationen dieses schreckliche Unglück auf künstliche Weise statistisch aufbauschen, dann tun sie so, als wäre die offizielle wissenschaftliche Faktenlage noch nicht dramatisch genug. Wieso? Reichen tausende Tote denn nicht? Müssen es wirklich hunderttausende sein?
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