Ich sitze gerade im Forschungsreaktor München II in meiner Kabine und habe eine halbe Stunde Zeit, bevor mein nächster Test durchgelaufen ist. Die möchte ich nutzen um euch etwas von einem interessanteren Tag in meinem Arbeitsleben zu tzwitschern (nein, keine Angst ich werde keine Bilder von meinem Essen hochladen, das ist hier nämlich verboten).

Geographisch bin ich gerade in der Neutronenhalle des Forschungsreaktors, genauer gesagt hier https://www.google.de/maps/@48.2656178,11.6760738,184m/data=!3m1!1e3 in dem Gebäude zwischen dem Atomei und dem Reaktor. Ich bin zwar gut 45 Meter Luftlinie von den Uran-Brennstäben entfernt, aber dazwischen befinden sich ein paar Meter Schwerbeton und Wasser. In das Wasser um den Reaktorkern herum führen mehrere Neutronenleiter, die die Neutronen aus der Kernspaltung extrahieren und durch Neutronenleiter zu den Experimenten führen(1).

An den meisten anderen Instrumenten hier werden momentan Kristalle und andere Materialien untersucht, aber ich bin “nur” hier um meinen neuen Detektor zu testen und zu kalibrieren.

Die Halle ist recht eng und vollgestellt, was hauptsächlich geometrische Gründe hat. Die Neutronenleiter können nur in rel. kleinen Winkeln den Reaktorkern verlassen und dürfen auch nur eine bestimmte Länge haben. Deswegen hat man viel nach oben gebaut und die ganze Halle ist von Gitterbrücken durchzogen.

Neutronenhalle FRM II

 Das Bild hier ist ein wenig älter, denn mittlerweile wurden auf die lila Röhren (Kleinwinkelstreuung) noch zwei von diesen blauen Kabinen gebaut und in einer davon sitze ich gerade.

Die Halle ist ziemlich laut, weil eigentlich immer irgendwo eine Pumpe läuft, ein Kaltkopfcryostat schnauft oder ein Lüfter summt. Ziemlich trocken ist sie auch noch, was ja kein Problem wäre, wenn ich mir etwas zu trinken mitnehmen könnte. Das geht leider nicht, denn die ganze Halle ist ein radioaktiver Kontrollbereich ist, in dem Essen, Trinken und Kosmetik verboten sind um die Inkorporation von Radioaktivität zu minimieren.

Betreten und verlassen kann ich diesen Kontrollbereich nur durch eine Schleuse. Da heißt es dann über das Doppelklebeband laufen, sich auf dem Hand/Fuß-Kontamaten freimessen, weiße Sicherheitsschuhe gegen die eigenen austauschen, Kittel ausziehen, Passkontrolle am Drehkreuz und dann Hände waschen … jedes Mal. Da überlegt man sich echt zweimal, ob man jetzt WIRKLICH pinkeln gehen muß oder einen Schluck trinken will.

Händewaschen geht hier übrigens anders, als ich es als Rettungssanitäter gelernt habe. Während man in der Medizin eine bestimmte Zeitspanne einhalten muss, damit die Desinfektion wirken kann, geht es hier nur darum evtl. Reste radioaktiven Staubs abzubekommen, so dass kurzes aber kräftiges Schrubben vollkommen ausreicht. Vorsorglich habe ich mir vorher noch die Fingernägel geschnitten, aber notwendig wäre das nicht gewesen.

Neben mir sitzt eine Gruppe Franzosen, die Schichten von einigen Nanometern Dicke untersuchen und die hoffen, daraus in naher Zukunft einmal topologische Isolatoren herstellen zu können, die dann unsere Elektronik noch weiter miniaturisieren würden. Während bei mir alles recht erfolgreich gelaufen ist, haben die Jungs gerade ernsthafte Schwierigkeiten, aber helfen kann ich ihnen nicht wirklich, da ich echt nur ansatzweise verstehe, was die da so treiben.

Den einzigen wirklich interessanten Moment bei meinen Messungen hatte ich gestern, als ich meinen Chopper in den Neutronenstrahl eingebaut habe. Das ist eine Aluscheibe (Aluminium ist für Neutronen “unsichtbar”) mit aufgeklebten Bor-Plättchen, die den kontinuierlichen Neutronenstrahl in kleine Pakete zerhacken. Durch das Auftreffen des Neutronenstrahles auf den Chopper wurden nämlich recht viele Gammastrahlen erzeugt, die dann in alle Richtungen abgestrahlt wurden und die Ortsdosisleistung in der Umgebung erhöht haben. Da es für alle Orte hier starke Beschränkungen für die Ortsdosisleistung gibt (Rundwege max. 3µSv/h, Brücken 6µSv/h, Kabinen 3µSv/h usw.) musste ich erst mit dem Strahlenschutz zusammen neue Messungen durchführen und zusätzliche Abschirmung aufbauen um niemanden durch meine Umbauten zu gefährden, bevor ich mit meiner Messung anfangen konnte.

Das ist allerdings mittlerweile auch alles durch und ich kann mich den langweiligeren Kalibrierungsarbeiten widmen. Ich hab noch bis morgen früh um 9:00 Strahlzeit, die ich auch gedenke voll auszunutzen. Generell ist Messzeit mit Neutronen sehr kostbar und die meisten Instrumente hier sind überbelegt, sprich es gibt mehr Wissenschaftler, die sich um Messzeit bewerben, als insgesamt Messzeit zur Verfügung steht, so dass eigentlich niemand auf die Idee kommt etwas davon zu verschwenden.

Das letzte große Abenteuer steht mir morgen bei der Abreise bevor. Ich habe relativ viele Sachen (Messrechner, Chopper etc.) hierher mitgebracht und es ist auch kein größeres Problem Dinge IN den Reaktor hinein zu bringen (solange sie nicht explodieren können), aber es ist kompliziert sie wieder heraus zu kriegen. Denn alle Gegenstände hier sind erst mal potentiell kontaminiert und müssen in einem langwierigen Prozess vom Strahlenschutz freigegeben werden, was in Deutschland auch immer noch eine riesige Papierschlacht mit sich bringt.

Sinnvoll ist es halt schon. Vor zwei Jahren hatten wir in Grenoble zum Beispiel mal einen Hochspannungsgenerator, dessen Kupferspulen sich ein paar umherfliegende Neutronen eingefangen hatten und so radioaktiv geworden waren. Der kam dann in den Bleikeller und wir mussten 10 Halbwertzeiten (bei Kupfer ca. zwei Tage) warten, so dass unser Chef den nachher auf dem Rücksitz seines BMW-Sportwagen mit zurück bringen musste.

Naja, sowas steht morgen hoffentlich nicht an, aber wenn ich beim Auschecken noch mal ein paar Stunden warten muss, dann kann ich vielleicht davon auch noch live berichten … oder nett Mittagessen gehen, mal gucken.

(1) https://www.frm2.tum.de/technik/reaktor/strahlrohre/index.html

PS: Ich wurde gerade von einem Kollegen aus der TUM darauf hingewiesen, dass die Beschränkungen für die Gehwege etc. natürlich µSv sind und nicht mSv. Sorry Folks und danke für den TREFFer 😉

Kommentare (10)

  1. #1 strahlenbiologe
    1. Februar 2015

    Viel Erfolg bei deiner Strahlzeit!
    Sind beim FRMII eigentlich noch Experimente zur Neutronentherapie am laufen, hast du da was mitgekommen? Bei dem Genehmigungs- /Antragsarbeit zum FRM2 wurde ja viel Rummel deswegen veranstaltet. Bis ca 2010 hab ich die MEDAPP Gruppe noch “wahrgenommen” die letzten Jahre wurde es aber ziemlich ruhig.

  2. #2 Tobias Cronert
    1. Februar 2015

    Danke.
    Also grundsätzlich gibt es den medizinischen Platz (also das Instrument NECTAR) noch, aber die teilen sich halt die Strahlzeiten mit den Radiographen und subjektiv habe ich irgendwie das Gefühl, dass da mehr Radiographie betrieben wird. Ich habe mal auf dem Gang gehört, dass die Zusammenarbeit mit der Medizin recht schleppend verläuft und die nicht genug Patienten haben … aber das ist nur Hörensagen.

    Ich weis, dass in Italien am LNL viel mit Bor-capture Therapie gemacht wird, aber da müsstest du für einen Live Bericht bis Mai warten, dann fahre ich bei denen mal vorbei.

  3. #3 sas
    1. Februar 2015

    Sehr interessanter Artikel!

  4. #4 Mithrandir
    1. Februar 2015

    Es ist schön Berichte über Nuklearphysik und Reaktoren ganz sachlich und ohne emotionale Kritik zu lesen.
    Danke dafür.
    Ich kam im Rahmen meiner Diplomarbeit (Verschleißmessung mit Hilfe der Radionuklidtechnik) mit der Thematik in Kontakt.
    Das war so 9-10 Jahre nach Tschernobyl.
    Erst damals bekam ich richtig mit, wie man das Thema sachlich betrachtet, dass Becquerel an sich nicht wirklich viel Aussagekraft hat. Mein Prof war früher am CERN und hat uns das Thema Radioaktivität und Kernkraft sehr sachlich und von allen Seiten beleuchtet näher gebracht.
    Damals durften wir auch in einem Kernkraftwerk bis zum Abklingbecken.
    Obwohl ich mittlerweile weeeiiit weg von der Thematik arbeite, interessiert mich der Stoff immer noch und ich bin immer wieder verwundert mit wie viel Unwissenheit und Panikmache das Thema von beiden Seiten diskutiert wird.
    Deshalb noch mal Danke für deine sachlichen Infos und Berichte.

  5. #5 schlappohr
    2. Februar 2015

    Ähm… TOFTOF? Kann man die Halle auch für einen Kindergeburtstag mieten? *g*

  6. #6 Tobias Cronert
    2. Februar 2015

    😉 das steht für “Time Of Flight”. Da Neutronen je nach Energie unterchiedliche Geschwindigkeiten haben, kann man mit der Methode Energiespektren aufnehmen … und da man das ganze zweimal messen kann … TOFTOF halt *g*

    Kindergburtstag ist wahrscheinlich schwierig, aber wenn ich mir hier den Humor von ein paar Kollegen so angucke … kein großer Unterschied zu einem Kindergeburtstag 😉

  7. #7 schlappohr
    2. Februar 2015

    Ich kenne TOF von der Entfernungmessung mit Licht: man sendet moduliertes (Infrarot)Licht aus, misst die Phasenverschiebung des von einem Gegenstand reflektierten Signals und erhält so (innerhalb eines Eindeutigkeitsbereiches) eine Entfernungsinformation. Hier ist man natürlich darauf angewiesen, dass die Photonen immer gleich schnell sind (und nein, das sind sie nicht: Wenn man das Fenster öffnet und ein Schwall kalter (also dichter) Luft hereinkommt, ändern sich die Messwerte gravierend). Aber das mit den Neutronen ist eine coole Sache.

    ” aber wenn ich mir hier den Humor von ein paar Kollegen so angucke … kein großer Unterschied zu einem Kindergeburtstag ;-)”

    Überall das selbe…

  8. #8 F.Jeschke
    2. Februar 2015

    Danke für den Bericht-und diese hochspannende und extrem wichtige Technik soll nach Willen einiger(!) Kampfgrüner und Anti-Atom-Religioten auf den Müll geschmissen werden zu Gunsten von Gülle-Motoren…
    Ja, es ist richtig-ich sehe es täglich in meiner Praxis:Strahlenphobie IST eine Krankheit und un-therapierbar

  9. #9 Tobias Cronert
    2. Februar 2015

    Na ja, also ich halte den Atomenergieausstieg schon für sinnvoll und finde Gülle Motoren grundsätzlich recht toll … das ist auch High Tech.

    Neutronen kann man auch anders produzieren https://www.youtube.com/watch?v=MX5oDlq_H_I

    Niemand braucht mehr Kernspaltung, das ist so voll 60th … es gibt mittlerweile viel tollere Technik. Um Atome wird aber wohl niemand drum herum kommen *g*

  10. #10 Tobias Cronert
    2. Februar 2015

    PS: Ich wurde gerade von einem Kollegen aus der TUM darauf hingewiesen, dass die Beschränkungen für die Gehwege etc. natürlich µSv sind und nicht mSv. Sorry Folks und danke für den TREFFer