Das Cern ist für Anfänger, hier kommt die ESS!

Ich habe hier ja noch nicht wirklich berichtet, an was ich gerade arbeite… und das hat auch einen Grund. Als ersten Schritt habe ich meinen Kollegen Sir Patrick Stewart (sie kennen ihn vielleicht aus Filmen, wie Robin Hood oder Dune) gebeten eine kurze Einführung in mein kleines Projekt zu geben. Also Capt’n, make it so:

Oder noch mal kurz in einem Satz mit meinen Worten: Wir bauen im schwedischen Lund einen riesigen Linearbeschleuniger, der durch Spallation Neutronen erzeugt, mit denen wir sehr tief in Materie hineinblicken und erkennen können wie Materialien auf mikroskopischer Ebene funktionieren.

Grundsätzlich kann man das Thema meiner Arbeit ergoogeln, aber “Qualifikation eines hochbrillanten Moderators für kalte Neutronen” ist jetzt wirklich nur die Hälfte der Miete. Ich habe ja schon berichtet, dass es Neutronen in allen möglichen Farben bzw. Energieen/Temperaturen/Geschwindigkeiten gibt.
Mein Job ist es nun, Neutronen kalt zu machen, sie also so herunter zu moderieren, dass sie von speziellen Instrumenten genutzt werden können. Damit bin ich zwar nur ein kleines Rädchen in so großen Neutronenfacilities wie der ESS, dem alten ILL oder anderen, kleineren Quellen aber ich sitze an einer sehr interessanten Stelle, nämlich dort, wo die Neutronen produziert werden.

Aber zurück zur ESS und dem Capt’n, meinem Capt’n. Finde ich es gut, dass solche Großprojekte durch Filmstars und Dan Brown-Romane beworben werden?
Ja, auf jeden Fall, tausendmal Ja! Manche Wissenschaftler mögen die Nase rümpfen, wenn “ihre” Projekte populärwissenschaftlich aufgearbeitet bzw. präsentiert werden, aber ich empfinde dies nicht nur als gute Idee, sondern sogar als Pflicht der Wissenschaft. Diese ist nicht einfach nur eine Denkfabrik, wo man vorne Geld reinsteckt und hinten Paper, Patente und Erkentnisse herauskommen, sondern vor allem Menschen, die das, was sie machen, aus Überzeugung tun. Die meisten Leute, die an der ESS oder vergleichbaren Projekten arbeiten, tun dies sehr gerne, meist aus Neugier oder Entdeckerleidenschaft, obwohl sie in der Wirtschaft mit ihren Fähigkeiten meist wesentlich mehr Geld verdienen könnten.
Dabei ziehen sich viele aber schnell (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) in den berüchtigten Elfenbeinturm zurück und vergessen, diejenigen mitzunehmen, für die die Erkenntnisse ja eigentlich da sein sollen… alle anderen.

Alle, die wir hier bei SB posten, wollen dem entgegenwirken und die logische Konsequenz davon ist natürlich auch jeden Science Slam, jeden Sir Patrick Stewart und jeden LHC Rap zu unterstützen. Natürlich predige ich hier zu den Bekehrten, aber trotzdem… nie aufhören, weiter zu erzählen und selber nachzufragen.

Kommentare (21)

  1. #1 CM
    5. März 2015

    Kern-/Atomforschung ist “böse”. Es ist diese Idee, die argumentativ schwer zu durchbrechen ist. (Dieser Blog ist übrigens herrlich unideologisch.)

    Spallationsquellen fand ich u. a. auch deshalb stets interessant und in der öffentlichen (sowieso zu wenig stattfindenden) Debatte um Neutronenforschung und Ihre Quellen (z. B. Stichwort “Atomei”) in Bezug auf Sicherheitsaspekte und “Restprodukte” unterbewertet*.

    Sehr schön, wenn eine öffentlich besser beworbene ESS-Quelle und dieser Blog daran etwas ändern!

    Gruß,
    Christian

    * Fachlich stark eingekürzte Absätze – die Details überlasse ich mal Leuten, die das besser können. 😉

  2. #2 schlappohr
    5. März 2015

    Grundsätzlich stimme ich Dir zu. Aber leider gleitet diese Art von Wissensvermittlung allzu oft auf das Niveau von Discovery Channel oder Galileo ab (das bezieht sich nicht auf das Captn-Video, das kann ich hier im moment nicht anschauen). Oder es es kommt zu solchen unsäglichen Merchandising-Hypes wie bei Sojourner (oder war es Curiosity?) Das spült Geld in die Kassen der Spielzeug- und T-Shirt-Hersteller, aber der Sinn und Zweck dieser Forschungsarbeiten bleibt dennoch für viele im Dunkeln. Die meisten Befragten aus meinem Bekanntenkreis wissen zwar, dass auf dem Mars ein Auto rumfährt und nach Wasser sucht und finden es auch toll, dass die Nasa sowas kann. Aber wozu das ganze gut ist, wissen sie nicht.
    Das ganze ist ein Dilemma. Wissenschaft ist nun mal eine anstrengende Sache. Man muss sich ernsthaft damit beschäftigen, um die Faszination zu erkennen. Andererseits muss das in den Medien möglichst flippig (und natürlich völlig ohne Mathematik) präsentiert werden, sonst schlafen die Leute ein. Ich kenne nur wenige Sendungen, die diese Gratwanderung *halbwegs* hinbekommen (nano, Kosmos aus den 80ern, bis zu einem gewissen Grad auch Lesch, die Sendung mit Manfrad Spitzer, der Name fällt mir gerade nicht ein.)

  3. #3 Stefan K.
    5. März 2015

    Ich möchte noch auf die Science-Busters hinweisen. Eine (in meinen Augen) geniale Kombination aus Kabaret und anschaulicher Vermittlung von Wissen.
    Hier bei uns in Österreich sind sie schon ziemlich bekannt, und ich weiß auch nicht wie ihr Humor in Deutschland ankommt, aber kurz mal reinschauen sollte sich in jedem Fall lohnen wie ich denke

  4. #4 Tobias Cronert
    5. März 2015

    Ich bin auch ein großer Science-Busters Fan und habe sie hier in meinem Blog auch schon öfters verlinkt. Aber ich bin auch erst durch eine Wiener Freundin, die beim Prof. Oberhummer noch Vorlesungen hatte, aufmerksam gemacht worden. Leider sind die wohl in Deutschland etwas unterrepräsentiert, obwohl der Humor wohl zumindest mir recht gut gefällt.

  5. #5 JoergHH
    5. März 2015

    Ad 1: Eine Auswahl von Science Busters Folgen lief im Sommer 2014 im 3sat TV. Vielleicht ja in diesem Jahr wieder. Ansonsten sind bei YouTube viele vollständige Folgen zu finden.

    Ad 2: Auch wenn man es wie “Kät’n” spricht, die englische Schreibweise ist Captain. Soviel Korrektheit sollte bei aller literarischen Freiheit IMHO in einem wissensch. Blog sein 😉

  6. #6 Ludger
    5. März 2015

    Zwei Fragen eines Nichtphysikers:
    1. Warum betreibt man einen solchen Aufwand mit dem Linearbeschleuniger und erzeugt heiße (1000 MeV) Neutronen, wenn man kalte Neutronen braucht?
    2. Kann man mit einer Spallation das Problem der Endlagerung von “abgebrannten” Kernbrennstäben lösen?

  7. #7 Tobias Cronert
    5. März 2015

    @JoergHH: 1.) YouTube finde ich da auch immer sehr nett.
    2.) Die Schreibweise entspringt einem längeren Segeltörn in der Ostsee, was aber zugegebenermaßer kein Leser hier nachvollziehen kann. Ich hoffe, dass man es mir als künstlerische Schrulle verzeihen mag.

    @Ludger:
    1.) Um Neutronen aus dem Kern zu lösen muss man ihre Bindungsenergie überwinden. Das ist grundsätzlich ein bischen anders, als bei geladenen Teilchen, aber vom Prinzip her in der gleichen Ecke. Dadurch haben sie dann schon eine sehr hohe kinetische Energie (MeV) die man loswerden muss. Einzelne Neutronen ohne Kerne haben nur eine Lebensdauer von ca 10 Minuten.
    2.) Ähem… theoretisch Ja. Mit dem Myrrha Reaktor in Belgien (oder der J-Parc Spallationsquelle in Japan) (https://de.wikipedia.org/wiki/Rubbiatron#Forschungsanlagen) wird gerade an sowas gearbeitet. Aber da könnte (und werde) ich sicher noch einen ganzen Artikel zu schreiben.

  8. #8 haarigertroll
    5. März 2015

    Ist nicht die Intention hinter Myrrha eine andere?
    So wie ich das verstanden habe, wollen die die Spallationsquelle nutzen, um einen unterkritischen Reaktorkern quasi zur Kernreaktion zu “zwingen”, wodurch das Gesamtsystem dann eigensicher wird.
    Also es geht weniger um “Abfallentsorgung”, sondern eher um die Sicherheit, oder?

  9. #9 DasKleineTeilchen
    5. März 2015

    “(sie kennen ihn vielleicht aus Filmen, wie Robin Hood oder Dune)”

    wolltest du drauf hinweisen, das es für stewart auch ein leben jenseits von picard gab?!? *sligthlyOddishConfusion*

  10. #10 Tobias Cronert
    5. März 2015

    @haariger Troll: Sowohl als auch. Grundsätzlich will Myrrha Kritikalität durch Spallation herbeiführen, aber als Target kommen halt im Allgmeinen schwere Materialien in Frage, wie Blei, aber eben auch Uran. Es kann quasi Atommüll als Target für die Spallation benutzt werden. Dadurch werden dann radioaktive Isotope mit langer Halbwertszeit zu Isotopen mit rel. kurzer Halbwertszeit, die dann eben nicht mehr bis zum St. Nimmerleinstag gelagert werden müssen.

    Das ist aber nur zu Testzwecken geplant um zu zeigen, dass es geht. Der Reaktor hätte einfach nicht die Kapazität um auch nur den Atommüll eines einzigen KKWs zu transmutieren. https://myrrha.sckcen.be/en/MYRRHA/Applications

    @kleines Teilchen: Man sollte doch niemanden auf eine Rolle beschränken 😉

  11. #11 DasKleineTeilchen
    5. März 2015

    sorry, ich bin heute gnadenlos; das video ist *eigentlich* nice mit stewart als narrator, aber wer hat die idee mit der zweiten cam gehabt? die situation hat keinen ansprechpartner ausser dem publikum jenseits des bildschirms; stewart quasi ins leere reden zu lassen ist nicht nur gefühlsmässig merkwürdig, im ansprechen des publikums ist das eine katastrophe. lasst den mann IN DIE KAMERA sprechen. solche kameraeinstellungen macht man in INTERVIEWsituationen, in denen klar ist, daß ausserhalb des bildes ein interviewer sitzt. das ist hier *offensichtlichst* nicht der fall. entschuldige meine -ahem- belehrung tobias, tut mir auch leid, aber die kamera ist leider *echt* grausam. sprechende münder in grossaufnahme (selbst wens cap. picards ist) sind auch nicht gerade prickelnd, sondern lenken eher vom inhalt ab.

    (ogott, sorry, aber wenn ihr schon solche videos macht)

    überhaupt; man muss stewart nicht fast *permanent* im bild haben; kurz anreissen und *ab und zu mal* im bild, stimme im hintergrund zu den entsperchenden illustrationen ist tausendmal ‘effektiver’ für den transport und die vermittlung des inhalts.

    tschuldigung. sollte keine klugscheisserei sein, sondern naja…fürs nächste mal und so.

  12. #12 DasKleineTeilchen
    5. März 2015

    @tobias: sagichja; ich war trotzdem sligthlyOddishConfused…

  13. #13 Tobias Cronert
    5. März 2015

    Ach passt schon. Aber wenn dir das Bauchschmerzen bereitet, dann guck dir auf keinen Fall den LHC-Rap an *g*

  14. #14 DasKleineTeilchen
    5. März 2015

    ach menno, ich will ja nur, daß ihr ordentliche aussenwirkung erzielt, ohne pseudofancy zu wirken. da gehts wirklich nicht um stilfragen, ihr wollt die ‘normale’ öffentlichkeit erreichen und lasst *den* captain der neuzeit nicht zum publikum reden. und schon ist der abstand des zuschauers zum wissenschaftsbetrieb wieder da . dabei wärs so einfach. das ist kein film, da darf die 4te wand durchbrochen werden um eine persönliche beziehung zum zuschauer zu schaffen. das ist wichtig, menschenskinder 😉

  15. #15 DasKleineTeilchen
    5. März 2015

    ich mein, hat carl sagan in seinen dokus irgendwo links ins leere geredet?

  16. #16 Tobias Cronert
    5. März 2015

    Ja, ich sag mal in Punkto Außenwirkung haben wir Physiker halt echt noch viel zu lernen… wobei mal die Unbeholfenheit doch sicher auch als “authentisch” wertschätzen könnte… oder ist dieser Versuch zu offensichtlich verzweifelt?

  17. #17 Ludger
    5. März 2015

    zu #7
    Da kommen mir sofort wieder 2 Fragen:
    1. Was passiert bei niedrigerer Beschleunigungsenergie z.B. 200 MeV; gibt es dann keine Spallationsneutronen? Wo ist die Energiegrenze, damit es noch zur Freisetzung von Neutronen durch Spallation kommt?
    2. Was kann das/die ESS besser als die Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz ?

  18. #18 Tobias Cronert
    5. März 2015

    1.) Bei niedrigeren Beschleunigerenergieen gibt es “nur” noch andere Kernreaktionen. Welche das genau sind hängt von dem jeweiligen Projektil und dem Element ab, aus den das Target besteht. Man kann z.B. auch mit Protonen von 3MeV auf eine Berylliumtarget Neutronen erzeugen. Das ist dann aber keine Spallation mehr, da es keine Kaskade innerhalb des Kern gibt. Die LENS Facility in Indiana USA arbeitet z.B. auf diese Art https://www.indiana.edu/~lens/
    2.) Die ESSwird 10-100 mal so viele Neutronen pro Sekunde produzieren, wie der FRM II. Dadurch bekommt man eine sehr viel bessere Auflösung bzw. mehr Statistik. Manche Messungen, wie z.B. komplexe biologische Systeme oder Polarisationen werden dadurch erst möglich werden und normale Messungen, die heute schon möglich sind gehen dann 10-100 mal so schnell. Da ein Tag Messzeit ca. 15.000€ “kostet” ist das ein sehr großer Unterschied. Außerdem haben gepulste Quellen noch weitere Vorteile für bestimmte Messverfahren.

  19. #19 Ludger
    5. März 2015

    OK, danke!

  20. […] Cronert ist nicht nur Scienceblogger, sondern vor allem auch Physiker, und lässt von keinem geringeren als Patrick Stewart erklären, […]

  21. […] Darüber hinaus haben ich dem lieben Lars auch noch das ESS Erklärvideo von seinem geliebten Sir Patrick Steward gezeigt, von dem ich euch schon vor Jahren berichtet hatte. […]