Die kurze Antwort ist: “Ja”, wenn diese Person schon ordentlich gewaschen worden ist und “Nein”, falls die betreffende Person noch nicht vernünftig dekontaminiert wurde. Grundsätzlich ist Radioaktivität nicht ansteckend, wie ich ja schon mal in dem entsprechenden Artikel geschrieben hatte. Das heißt, eine verstrahlte Person ist nur so lange gefährlich, wie sie noch radioaktive Partikel in den Haaren, der Kleidung oder sonstwie bei sich trägt und diese verlieren könnte.

Dekontamination heißt nichts anderes, als “ordentlich waschen um radioaktive Substanzen von der Haut und den Haaren zu lösen.” Viele Feuerwehren in großen Städten (wie z.B. Köln) oder besondere Werksfeuerwehren haben entsprechende Dekontaminierungseinrichtungen. Denn das Wichtige bei dem ganzen Prozess ist, dass die abgewaschene radioaktiven Substanzen nichts ins Abwasser geraten, sondern gesammelt und als Atommüll entsorgt werden.

Wer sowas mal sehen will, kann sich z.B. Harrison Ford unter der Dusche ansehen (ab Minute 3:20)*g*

decon

… und ja, natürlich gibt es in Deutschland genaue Regeln, wie gewaschen werden muss. Grundsätzlich kann man das zusammenfassen zu “mehr schrubben, keine Einwirkzeit”, denn im Gegensatz zu einer Hand-Desinfektion im Krankenhaus will man ja keine Viren und Bakterien abtöten, sondern Partikel von der Haut entfernen und mit dem Wasser fortspülen.

 Der Artikel “Ist Radioaktivität ansteckend?” hat relativ viele Aufrufe von Personen, die direkt über die genaue Google-Anfrage “Ist Radioaktivität ansteckend?” dorthin gefunden haben und sich somit deutlich von der üblichen Scienenceblogs-Leserschaft unterscheiden, was sich vor allem in den entsprechenden Fragen zu dem Thema bemerkbar macht. Eine dieser Anfragen von einer Dame, die ich hier einmal “Nicole” nenne, möchte ich hier exemplarisch wiedergeben:

 

Nicole:

 Hallo Herr Cronert,

… strahlen verstrahlte Leute über die Haut?

Bei der Frage beziehe ich mich auf eine junge Dame, die in meiner Heimatstadt wohnt. Damals stand dieser Artikel ( https://www.steiz.eu/journalist/tschernobyl-opfer.html ) bei uns in der Zeitung – sogar mit Bild von Tochter und Vater. Die Tochter habe ich neulich durch Zufall wirklich gesehen, was mir auf einmal echt Angst machte. Man trifft ja nicht jeden Tag verstrahlte Personen… Zumindest weiß man nichts davon. Zum Glück.

Da ich in Physik keine Ahnung hab, kann ich nicht einschätzen, wann man davor Respekt haben muss und vorsichtig sein sollte und wann nicht. Deswegen würde ich Sie gerne noch etwas fragen, weil es mir scheint, als würden Sie nicht beschwichtigen.

Sie sagten, die Person sei nicht gefährlich bei einer Begegnung. Dann denke ich immer, dass es ja auch möglich ist, dass sich die Person über ihre Möbel aus dem ehemaligen Wohnort in der Ukraine jeden Tag erneut verstrahlt oder dass ich durch den radioaktiven Staub laufe, den Sie eventuell an den Schuhen hatte und der nun auch an meinen haftet.

Ich weiß, es klingt alles sehr weit hergeholt, aber weil ich eben nicht weiß, wie das alles vonstatten geht, frage ich mich auch, ob von diesen Gegebenheiten irgendeine Gefahr ausginge.

Zweite Frage: Ich bin neulich an einem weißen Gefahrgut-Kleintransporter mit einem orangen Warnschild vorbei gefahren. Daneben ein großes Schild mit dem Zeichen “Radioaktiv”. Das Fahrzeug war für den Überholvorgang einige Sekunden unmittelbar neben mir. Leider habe ich nicht gesehen, ob es ein deutsches Kennzeichen hatte, da der polnische Kleintransporter dahinter so dich auffuhr. Wie auch immer.

Welche Gefahr geht denn von solch einer Situation aus? Ich weiß dass für solche einen Transport viele Richtlinien eingehalten werden müssen. Über Befähigung der Person über Sicherung der Ladung und Papieren. Aber ich höre immer verschiedene Seiten: Zum Einen wird gesagt, dass neben so einem Fahrzeug eine erhöhte Strahlung gemessen wird. In einem Video im Internet wird das sogar gezeigt. Andere sagen wiederum, dass die Behälter alles weitestgehend abschirmen (müssten). Tendenziell kann es ja auch sein, dass außerhalb des Fahrzeugs eine Kontamination vorliegt und man durch das Überholen das eigene Fahrzeug auch kontaminiert wird?

Ich hoffe, Sie finden meine Fragen nicht zu komisch und finden Zeit, mir zu antworten.

Lieben Dank schonmal!

Mit freundlichen Grüßen,

Nicole

 

Tobi:

 Hallo Nicole,

also generell finde ich es immer sehr toll, wenn solche Fragen auf der SB Seite gestellt werden, weil dann haben auch viele andere Leute etwas von der Antwort und nicht nur wir beide. Aber natürlich kann ich es auch verstehen, wenn Sie etwas nicht öffentlich fragen wollen und daher bekommen Sie natürlich auch per Mail eine Antwort. Trotzdem würde ich gerne Ihre Fragen und meine Antwort anonym auf meiner Seite einbauen, falls Sie es mir erlauben.

Aber mal zu den Fragen: Wenn eine Person, oder ein (normales) Objekt (Möbel z.B.) vernünftig dekontaminiert worden sind (das heißt eigentlich nur gründlich gewaschen), dann geht davon keine Gefahr für die Umgebung mehr aus. Die Person selber kann immer noch verstrahlt sein (und ggf. die entsprechenden gesundheitlichen Probleme haben, die damit einhergehen), aber für ihre Umgebung ist es harmlos.

Der radioaktive Staub, der damals bei Tschernobyl über die Luft nach Deutschland gekommen ist, hat (insgesamt) wesentlich höhere Auswirkungen als Objekte, die jemand mitgebracht hat (oder eben die Person selber).

Radioktivität ist halt nicht ansteckend wie Bakterien oder Vieren. Diese vermehren sich ja, wenn sie gute Bedingungen vorfinden und so kann eine infizierte Person sehr vielen anderen Menschen schaden. Radioaktivität ist ab dem Zeitpunkt der Kontamination erst mal da und wird dann mit der Zeit und der Verbreitung immer weniger. Wenn man radioaktiven Staub, der 10mSv/hm² verursacht, über ein Fußballfeld verteilt, dann richtet er eben nur noch 0,001mSv/hm² an.

 Transporte von radioaktivem Material können durchaus erhöhte Strahlung außerhalb des Fahrzeuges aufweisen. Manche Hochleistungssensoren, wie wir sie z.B. am Forschungszentrum haben, können einen Transporter bemerken, der auf der Autobahn in mehreren Kilometern Entfernung einfach nur vorbei fährt. Wenn sie jetzt mit ihrem Auto an so einem Transporter vorbei fahren, werden sie auch dieser Strahlung ausgesetzt. Aber die Strahlung selber ist nicht ansteckend. Solange kein radioaktives Material (z.B. Staub) aus dem Transporter heraus in Ihr Auto kommt, kann Ihr Auto auch nicht kontaminiert werden.

Das heißt, Sie sind nur in der Zeit der Strahlung ausgesetzt, die Sie sich tatsächlich in der Nähe des Transporter befinden.

Falls Sie noch Fragen zu dem Thema haben, schreiben Sie einfach.

Mit besten Grüßen

Tobias Cronert

 

Nicole:

Hallo Herr Cronert,

danke für Ihre schnelle Antwort. Natuerlich dürfen Sie die Fragen anonym veröffentlichen. Ich hätte diese auch auf ihre Seite geschrieben, aber da davor intelligente Fragen gestellt wurden, wollte ich nicht ihren Blog mit meinen komischen Gedanken verhunzen.

Zusammenfassend: Selbst wenn man der Frau begegnet, geht keine Gefahr aus. Solang Sie nicht genau vorher durch die Sperrzone spaziert ist, wird auch über den Boden kein radioaktiver Staub an eigene Schuhen verteilt, richtig?

Das mit dem radioaktiven Kleintransport verunsichert mich jetzt.

Kann eine Aussetzungsdauer von ca. 2 Sek (bin halt viel schneller gewesen) Schaden durch Strahlen anrichten? Mich nervt das so, dass ich an dem Auto vorbei gefahren bin. Aber stark radioaktives Zeug wird doch bestimmt nicht in Autos, an denen tausende Menschen vorbeifahren, transportiert, oder?

Lieben Dank im Voraus,

Nicole

 

Tobi:

 [Im Nachhinein vereinfachte Antwort]

 Hallo Nicole,

 die Zusammenfassung ist richtig.

Die Strahlenbelastung ist halt proportional zur  Zeit und in 2 Sekunden würde selbst die höchste Strahlendosis, die transportiert werden kann, keinen nennenswerten Schaden anrichten.

 Mit besten Grüßen

Tobi

Kommentare (7)

  1. #1 Intensivpfleger
    24. November 2015

    Und wer das Vorgehen im Katastrophenfall gerne ausführlicher nachlesen will, sollte sich diese Publikation des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe durchlesen (zum obigen Thema ab Seite 203):
    Katastrophenmedizin – Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall

    Schönen Gruß wünscht der
    Intensivpfleger (und Teil des Dekontaminationsteams des Hauses)

    • #2 Tobias Cronert
      24. November 2015

      toller Link, Danke.

  2. #3 Intensivpfleger
    24. November 2015

    Man findet beim BBK durchaus noch weitere lesenswerte Veröffentlichungen zum Thema Dekontamination. Stellvertretend vielleicht noch diese zwei:

    Dekontamination von Verletzten im Krankenhaus bei ABC-Gefahrenlagen

    Dekontamination Verletzter – Sonderausgabe 2006 (zur damaligen WM-Vorbereitung)

    Ist natürlich nicht ausschliesslich zum Thema Strahlenschutz, sondern zum Thema Dekontamination allgemein, aber trotzdem nach wie vor aktuell und lesenswert.

    Vielleicht noch zwei Anmerkungen zum Beitrag:
    “mehr schrubben, keine Einwirkzeit” ist richtig. Beim MANV (Massenanfall Verletzter) haben wir aber tatsächlich pro durchzuschleusendem Patient nur 3 Minuten Zeit für die Dekontamination. Ob das im Ernstfall wirklich zu gewährleisten ist, mussten wir zum Glück noch nie erfahren.

    “Denn das Wichtige bei dem ganzen Prozess ist, dass die abgewaschene radioaktiven Substanzen nichts ins Abwasser geraten, sondern gesammelt und als Atommüll entsorgt werden.” In der Katastrophenfall-Realität gehen wir anders vor: das Abwasser aus dem Dekon-Zelt wird in die normale Kanalistation abgelassen und die Wasserwerke schütten so viel sauberes Wasser dazu, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden.
    Im geregelten Betrieb stimmt ihre Aussage natürlich.

    Gruß vom
    Intensivpfleger

  3. #4 BreitSide
    Beim Deich
    27. November 2015

    Wer eine Radiojodbehandlung für seine Schilddrüse bekommt, muss in Deutschland 14 Tage im “Bunker” leben ohne Kontakt zu Außenwelt. Dabei leuchten die noch nicht einmal nachts…

    In Frankreich wird das m.W. ambulant gemacht.

    Ein Vampir, der eine radiojodbehandelte Person beißt, bekommt sicher keine Strahlenkrankheit.

    Insofern gibt es da sicher keinen Grund zu Veranlassung 🙂

  4. #5 MEX
    22. Juli 2016

    Kleine Anmerkung zu deiner Antwort auf die Zusammenfassung:
    Wenn man ganz genau ist, wird nicht eine Dosis transportiert, sondern eine Aktivität oder Dosisleistung.

  5. #6 Rebecca
    Köln
    25. Oktober 2016

    Hallo,
    ich muss nochmal nachfragen: Verstrahlte Dinge, die neben anderen Dingen liegen, können diese also nicht kontaminieren? Hintergrund: Ich sammelte Esskastanien auf einem ehemaligem Bergbau (wusste ich da noch nicht) und lagerte sie zuhause neben Nüssen. Da können also die Kastanien, so sie denn belastet wären, nichts auf die Nüsse oder den Boden d.h. die Wohnung abgegeben haben, oder? Esskastanien habe ich dann doch vorsichtigerweise (vermutlich unnötig?) entsorgt. Ich würde mir übrigens, wenn es erlaubt ist, dies zu äußern, einen Artikel über Geigerzähler (Handhabung und Genauigkeit) wünschen. Ich besitze einen, kann aber mit den Werten kaum etwas anfangen, weil keine Vergleichsgrößen. LG aus Köln!

  6. #7 Tobias Cronert
    26. Oktober 2016

    Hallo Rebecca,

    also die Esskastanien selber können die Nüsse oder den Boden nicht “anstecken”. ABER wenn an den Kastanien jetzt Erde und/oder Steine bzw. Steinstaub aus dem Steinbruch ist, dann könnte dieser Steinstaub oder die Erde natürlich eine erhöhe Strahlung aufweisen. Wenn du die Kastanien mit der Schale (also dem Grünen drum herum) aufgesammelt hast solltest du die vielleicht entfernen und die Kastanien dann waschen (damit keine Erde dran bleibt). Nach dem Waschen sollte auch das Essen in Ordnung sein.

    Aber ansonsten sehe ich da keine Probeleme … außerdem ist auch ehem. Bergbau im Rheinland recht strahlungsarm (weil Flachland) …. zumindest im direkten Vergleich mit den Alpen o.ä.

    Was die Benutztung von einem Geigerzähler angeht… Hast du diesen Artikel gelesen oder den hier?
    Ich weis, das ist jetzt nicht direkt eine Anleitung… hilft aber vielleicht schon weiter. Eine Anleitung werde ich aber sicher auch noch mal machen. Wenn ich fragen darf: Was hast du denn für einen Geigerzähler? … nur um zu wissen, worauf ich mich fokussieren sollte.

    beste Grüße aus Xi’an
    Tobi