In letzter Zeit haben mich einige sehr interessante Fragen erreicht und nachdem ich jetzt endlich mal wieder zu Hause bin, habe ich auch die Gelegenheit, diese ausführlich zu beantworten. Zwar habe ich den Fragenden schon kurze Antworten per E-Mail geschrieben, aber jetzt werde ich mir die Zeit nehmen, diese ausführlicher anzugehen.
Markus: “Man hört immer wieder, dass Güter aus Japan frei von Radioaktivität sind. Für mich ist diese Aussage vollkommen unlogisch. Wenn z. B. die Pilze im bayerischen Wald durch Tschernobyl belastet sind, dann steht die oben genannte Aussage (für mich als Laien) in einem krassen Widerspruch. Das ist eine deutlich größere Distanz als z. B. Fukushima zu Tokio.
Konkret geht es mir um Autos, welche in Japan hergestellt werden. Wie sicher ist es zu sagen, dass sich vor allem in dem Fahrzeug (Sitze etc.) keinerlei radioaktiver Staub findet? Dieser bleibt ja auch an Kleidung haften und wird weiter verteilt. Wie “gefährlich” ist demnach ein japanisches Fahrzeug?
Vielen Dank für Ihre Hilfe und den informativen Blog.”
Tobias: “Also grundsätzlich haben Pilze und Autos einen großen Unterschied. Bei Pilzen lagern sich die radioaktiven Elemente in den Zellen, sprich dem Gewebe des Pilzes an, weil dieser sie aufnimmt, während er noch lebt und sie in seine Zellstruktur mit einbaut. Dadurch befinden sich imPilz selber mehr oder weniger gleichmäßig verteilt radioaktive Isotope und die ganze Masse des Pilzes zählt zur Dosis hinzu.
Bei dem Auto sind eher nur die Oberflächen belastet, weil die Radioaktivität ja nicht während des Gießens des Stahls etc. eingebaut wird.
Wie ich immer wieder hier sage, hat Radioaktivität (gegenüber anderen Schadstoffen wie z.B. schädlichen Chemikalien) den Vorteil, dass sie sehr leicht gemessen werden kann, vor allem, wenn sie sich nur auf der Oberfläche befindet.
Wenn sich also radioaktiver Staub auf dem Auto befindet, kann dieser einfach durch Abwaschen entfernt werden.
Soweit ich weiß, wird in Japan auch sehr viel Exportgut auf Strahlung hin überprüft, damit die Katastrophe von Fukushima eben nicht die Exportwirtschaft schädigt. Aber da habe ich nur öffentliche Informationen, also ist diese Aussage mit entsprechender Vorsicht zu genießen.
Was die Entfernung von Tschernobyl-Bayern bzw Fukushima-Tokyo angeht, so kann man das nicht einfach 1:1 gegenüberstellen. Die meisten radioaktiven Partikel wurden mit dem Wind weggetragen und da kommt es eben sehr auf die Wetterlage an. Dadurch ist Bayern eben wesentlich mehr belastet als andere Gebiete in Europa, die ein gutes Stück näher an Tschernobyl liegen.
Also ich würde mir bei einem japanischen Fahrzeug keine Sorgen machen (also nicht über die Radioaktivität). Aber im Zweifelsfalls kann man das relativ leicht nachmessen.”
Markus: “Ihre Antwort klingt zunächst einmal sehr beruhigend. Aber ich verstehe z. B. nicht weshalb es unwahrscheinlich ist, dass sich radioaktiver Staub in der Innenausstattung des Fahrzeugs, wie den Sitzen, sammelt.
Kurze Frage am Rande: Ab welcher Konzentration ist dieser Staub schädlich? In Japan, der Ukraine, Weißrussland usw. kommen/kamen die Menschen ja unmittelbar mit den Folgen der Atomunglücke in Kontakt.”
Tobias: “Es ist genauso wahrscheinlich, dass der Pilz mit dem Staub in Kontakt kommt wie ein Autoteil. Allerdings sammelt der Pilz radioaktive Teilchen an, während der Sitz dies nicht tut.
Natürlich kann radioaktiver Staub auf den Sitz kommen, aber dieser kann:
1.) leicht gemessen werden.
2.) mit einem feuchten Tuch entfernt werden
3.) nicht in die Nahrung gelangen, wie z.B. bei Pilzen
Ab welcher Konzentration er schädlich ist, kommt natürlich stark darauf an, mit welchen radioaktiven Partikeln der Staub belastet ist. Bei dem Sitz würde ich sagen, dass alles unter 0,1µSv/h Dosis harmlos ist (wobei die gesetzlichen Regelungen noch wesentlich strenger sind).
Als ganz ganz grobe Richtlinie könnte man sagen, dass dies ca. 100g stark belastetem Erdreich aus Bayern direkt nach Tschernobyl entspricht. Dies ist aber wie gesagt nur ein sehr grober Anhaltspunkt und ohne genauere Angaben nicht aussagekräftig.
Zusätzliche Anmerkungen: Also grundsätzlich geht es hier um zwei (bzw. drei) unterschiedliche Punkte. 1.) Warum ein Pilz mehr belastet ist als ein anderes Güterstück, wie z.B. ein Autositz und 2.) Die lokale Ausbreitung nach einer Katastrophe mit der Freisetzung von radioaktiven Elementen.
Punkt 2.) ist rel. leicht zu beantworten, wie ich es ja schon oben getan habe. Sowohl für Tschernobyl, als auch für Fukushima gibt es mittlerweile sehr gute Karten über Ausbreitung des radioaktiv belasteten Fallouts. Dabei muss man sich halt immer prominent im Hinterkopf behalten, dass es eben nicht um die Ausbreitung von Strahlung geht, sondern um die Ausbreitung von strahlenden physikalischen Objekten (zumeist staubähnliche Partikel), so dass Ausbreitungsmechanismen wie Luft und Wasserbewegung und Transport mit bzw. über Personen das wichtigste Kriterium sind.
Punkt 1.) ist etwas komplizierter, aber darüber habe ich bereits hier öfter gesprochen.
1a.) Kann oberflächliche Radioaktivität leicht gemessen und entfernt werden im Gegensatz zu Aktivität, die irgendwo “eingebaut” ist.
1b.) es gibt einen Unterschied zwischen dieser oberflächlichen Radioaktivität und zwischen äußerer Einwirkung von ionisierender Strahlung, die (bei gleicher Dosis) wesentlich harmloser ist, als Strahlung, die z.B. durch Nahrung in den Körper aufgenommen wurde.”
Grundsätzlich beantworte ich gerne solche Fragen, die mit dem fundamentalen Verständnis von ionisierender Strahlung und Radioaktivität zu tun haben, aber das ganze Thema gehört eben nur marginal zu meiner Expertise. Ich setze ionisierende Strahlung (vor allem Neutronen) als Werkzeug und Methode ein und obwohl ich mich auch mit Strahlenschutz beschäftige und mehrere Ausbildungen darin habe, sind diese auf mein Arbeitsgebiet fokussiert. Ich bin kein Strahlenbiologe, kein Mediziner, der sich mit Strahlentherapie oder Radiographie beschäftigt, und auch kein Wissenschaftler, der sich genuin um nukleare Sicherheit kümmert. Ich werde gerne so weitermachen, wie bisher, aber behaltet bitte im Hinterkopf, dass ich eigentlich Neutronenstreuer bin und Detektoren baue.
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