Ich habe grundsätzlich zwei Arten von Lesern. 1. Die wissenschaftsinteressierten regelmäßigen Leser von ScienceBlogs und ähnlichen Seiten (sowie PodCasts, Wissenschaftssendungen etc. pp.) und 2. Leser, die durch Suchmaschinen zu mir finden und eigentlich nur das Internet durchstöbern auf der Suche nach Seiten, die ihre Fragen zu Radioaktivität und sonstiger Strahlung möglichst einfach erklären.
Gerade zweitere Leser bringen mich des öfteren in ein Dilemma, denn meine Artikel sind nicht als Tutorial oder Lehrstoff gedacht und konzipiert, aber trotzdem zeigen die Fragen sehr stark, dass wohl ein signifikanter Teil der Bevölkerung wirklichen Wissensbedarf hat. Als Kompromiss werde ich mir in regelmäßigen Abständen einmal repräsentative Fragen heraussuchen und sie öffentlich beantworten (bzw. meine Antworten öffentlich machen), so dass die Allgemeinheit etwas davon hat.
Diese Fragen handeln auch wieder von der Fragestellung, ob Radioaktivität anstecken bzw. übertragbar ist. Offensichtlich besteht da sehr viel Klärungsbedarf.
Johann: Vor zwei Wochen habe ich eine Frau kennengelernt. Als wir uns am letzten Wochenende in XXX trafen, erzählte Sie mir, da ich sie auf Ihren Akzent ansprach, dass Sie aus der Ukraine stammt, aber seit 12 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. Sie erzählte, dass Sie in regelmäßigen Abständen ihre Freunde und Verwandten in der Ukraine besucht. Sie fliegt hierzu nach Kiew und reist von dort dann ggf. weiter. Meine Recherche ergab, dass Kiew sehr nahe an Tschernobyl und Prypjat liegt. Wo die Frau genau in der Ukraine wohnte und Ihre Freunde und Verwandten noch wohnen (vielleicht Kiew/Tschernobyl/Prypjat oder Umgebung), weiß ich noch nicht, da wir uns ja erst kennengelernt haben. Wir haben uns stundenlang unterhalten und uns zur Begrüßung und bei der Verabschiedung umarmt. Weiterer Körperkontakt bestand nicht.
Nach dem Treffen und den Recherchen habe ich nun große Angst, dass die Frau selbst, ihre Kleidung, Schuhe, Haare, Ohrringe, Tasche o. ä. radioaktiv verstrahlt oder anderweitig gesundheitsgefährdend sind, radiaoktive Stoffe o. ä. enthalten, …, da Sie eben aus der Ukraine (woher genau weiß ich nicht) stammt, regelmäßig Kontakt dorthin hat und Kleidung und Accessoires evtl. dort gekauft hat. Vielleicht ist ihr Vater sogar ein Liquidator in Tschernobyl gewesen, davon gab es ja Hunderttausende! Ich habe nun große Angst, dass ich gefährliche Stoffe abbekommen und aufgenommen habe und nun meine ganze Wohnung und Umgebung verstrahle. Dies ist ein sehr großes Problem, da ich privat, beruflich, familiär, in der Freizeit, … mit vielen verschiedenen, auch fremden, Menschen, auch Kindern und Senioren, zu tun habe.
Momentan fallen mir auch verschiedene Dinge auf, die ich in einen Zusammenhang zu dem ganzen setze:
- – mein Handy spinnt öfter als sonst
- – ich habe am Mund ein Bläschen gebildet, nur klein, aber da, obwohl wir uns nicht geküsst haben
- – ich habe den Eindruck, dass meine Stirn glatter geworden ist
- – hatte heute morgen dunkleren Urin als sonst, später war es wieder normal
- – fühle mich gelenkiger
- – fühle mich schlanker
- – fühle mich sexuell erregter
- – bin insgesamt sehr verunsichert
Dann kamen noch konkrete Fragen, die ich weiter runten bei meinen Antworten aufführen werde:
Tobias: Hallo Herr Johann,
ich habe genau zu dem Thema vor einiger Zeit mal einen Artikel geschrieben, weil eine meiner Leserinnen Angst hatte von einer Überlebenden von Tschernobyl “angesteckt” zu werden. Das sollte auf Ihren Fall auch schon recht gut zutreffen https://scienceblogs.de/nucular/2015/11/24/kann-man-mit-radioaktiv-verstrahlten-personen-gefahrenlos-umgehen-leserfrage/
Also grundsätzlich kann man sagen, dass man mit vertrahlte Personen sicher umgehen kann, falls sie dekontaminiert, sprich entsprechend gewaschen worden sind. Duschen und gründlich schrubben reicht im Allgemeinen aus, um radioaktive Partikel zu entfernen, die ja eigentlich nichts anderes als Staub bzw. Sand sind.
Jodtabletten helfen kaum und sind in Ihrem speziellen Fall sinnlos. Ich habe da auch mal einen Artikel zu geschrieben. https://scienceblogs.de/nucular/2016/04/14/kurz-notiert-jodtabletten-gegen-strahlenkrankheit/
– Welche Gefahren bestehen nun aufgrund der Kontaktsituation für mich?
Meiner Einschätzung nach keine Gefahr.
– Ist eine Unfruchtbarkeit oder eine Schädigung des Erbgutes eingetreten?
Nein, für eine Unfruchtbarkeit müsste man schon sehr sehr stark verstrahlt sein und zuerst würden andere Gesundheitsprobleme auftreten.
– Besteht nun ein erhöhtes Krebsrisiko?
Falls sie radioaktive Partikel abbekommen hätten würde ggf. ein erhöhtes Krebsrisiko bestehen. Dies ist allerdings proportional zu der Menge der Strahlung, die sie abbekommen haben. Falls ihr Kontakt seit Tschernobyl keine Gesundheitsbeschwerden durch Strahlung hat, wäre das auch dementsprechend gering und max. ein 0.01% erhöhtes Risiko.
– Was ist bei weiterem Kontakt zu beachten oder ist der Kontakt abzubrechen?
Im schlimmsten Fall nach dem Kontakt duschen/Hände waschen.
– Ist sexueller Kontakt, gefährlich?
Nein. Kontakt über die Schleimhäute ist irrelevant, da es ja um die Aufnahme von radioaktiven Partikeln geht. Oralsex wäre ggf. ein Möglichkeit zur Aufnahme, aber wenn sie beide vor dem Sex duschen sehe ich keine Gefahr.
– Ist Schleimhautkontakt gefährlicher als alltäglicher Kontakt?
Nein, s.o.
– Müssen wir beide in Quarantäne oder in eine Schutzzone?
Nein.
– Welche Vorsichtsmaßnahmen muss ich nun treffen, um keine Gefahr für andere darzustellen?
Duschen, Hände waschen. Urin und andere Ausscheidungen über die Kanalisation entsorgen.
– Soll ich getragene Kleidung waschen oder entsorgen und die Wohnung von Spezialisten reinigen lassen?
Kleidung waschen kann man gerne machen. Alles weitere ist unnötig, zu teuer, bzw gar nicht erst möglich.
– Welche Besonderheiten gibt es nun bezüglich Sport, Sauna, Restaurantbesuche, Disco, Versammlungen, Fussballstadion, Kino, Kontakt mit Dritten (Familie, Beruf, Freizeit), sexuelle Aktivität (Selbstbefriedigung und Beischlaf), Aufenthalt in der Öffentlichkeit, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (Arbeitsweg), … zu beachten?
Wenn ordentlich geduscht und die Kleidung gewaschen wurde, keine.
– Muss ich nun besondere Nahrungsmittel zu mir nehmen?
Nein. Eine Ernährung mit vielen Antioxidantien z.B. mediterane Küche hilft im Allgemeinen gegen Krebs. Auch durch strahlungsinduzierten Krebs.
– Muss ich Jodtabletten kaufen und anwenden?
Nein, siehe meinen Artikel dazu https://scienceblogs.de/nucular/2016/04/14/kurz-notiert-jodtabletten-gegen-strahlenkrankheit/
– Darf ich mich weiterhin in der Gesellschaft (Familie, Beruf, Freizeit (auch Kinder und Senioren)) aufhalten und mit Dritten ungezwungen umgehen?
Ja.
– Wo kann ich meine Strahlenbelastung messen lassen und mich ggf. dekontaminieren?
Es gibt Spezialkliniken, wie z.B. die Uniklinik Karlsruhe, aber die brauchen einen Anfangsverdacht und der ist bei Ihnen nicht gegeben, da der Kontakt zu harmlos war.
– Wie ist die gesamte Situation zu beurteilen, wenn die Frau tatsächlich ursprünglich aus Tschernobyl oder Prypjat kommt, dort verkehrt oder Besitztümer von dort mit sich führt?
Bei allen meinen Einschätzungen bin ich davon ausgegangen, dass die Frau kontaminiert gewesen ist. Im Strahlenschutz guckt man sich immer den schlimmsten Fall an. Wenn sie aus Tschernobyl kommen würde, würde kräftig duschen und abwaschen helfen.
– Ist es denn so, dass alle Ukrainer eine Gefahr darstellen? Ich habe gelesen, dass es in Deutschland über 125.000 ukrainische Staatsbürger gibt! Ist das nicht eine Gefahr für die Bevölkerung oder werden die alle an der Grenze kontrolliert? Es ist doch auch so, dass sich diese Menschen ungehindert in der Öffentlichkeit bewegen, ist das denn ungefährlich, z. B. wenn einige von denen aus Tschernobyl kommen, oder Besitztümer/Produkte von dort mit sich führen oder als Liquidatoren gearbeitet haben? Also ganz wohl ist mir bei der ganzen Überlegung wirklich nicht!
Manche Teile von Bayern waren/sind wesentlich stärker durch Tschernobyl verstrahlt als manche Teile der Ukraine. https://1.bp.blogspot.com/_oYCy5HXaKpo/R62KD9no8II/AAAAAAAACy8/PueEsazwKsc/s400/chernobyl_fallout.jpg Die Radioktivität interessiert sich nicht für Ländergrenzen und breitet sich je nach Witterung sehr unterschiedlich aus.
Mit besten Grüßen
Tobias Cronert
Danach kamen noch weitere Rückfragen, die ich wiederum beantwortet habe.
Hallo Herr Johann,,
da ich ja kaum Informationen habe (also keine Messwerte), muss ich natürlich vom schlimmsten Fall annehmen und der wäre, dass Ihre Bekannte vor 30 Jahren in Tschernobyl gewesen ist und seit dieser Zeit kontaminierten Staub mit sich herumträgt. Falls dem so wäre, dann wäre eine sehr geringe Erhöhung des Krebsrisikos plausibel.
– Ist ein Duschen und Händewaschen denn nun öfter als sonst oder nur nach Kontakt erforderlich?
Nur nach dem direkten Kontakt.
– Wie ist es bei Beischlaf und Oralverkehr mit Ejakulat, dass ja bei ungeschütztem Sex von mir in die Frau gelangen würde, ist das jetzt weiterhin risikolos? Oder bei Selbstbefriedigung, wenn man das Ejakulat selbst auf die Haut bekommt oder aufnimmt?
Ejakulat ist harmlos. Die Gefahr beim Oralsex würde für Sie darin bestehen, falls Sie mit Ihrem Mund radioaktiven Staub vom Körper Ihrer ukrainischen Bekanntschaft aufnehmen, schlucken und somit in Ihren Körper aufnehmen. Alle anderen Formen von Oralsex sind harmlos.
– Wenn ich irgendwo hinspucke, ist das problemhaft?
Nein.
– Die Kleidung habe ich gewaschen. Ist jetzt die Waschmaschine kontaminiert?
Höchswahrscheinlich nicht. Wenn sie sicher gehen wollen, dann lassen sie die Waschmaschine einmal möglichst heiß in leerem Zustand durchlaufen, um Staub und Sand in die Kanalisation zu entsorgen.
– Die Jacke habe ich noch nicht gewaschen, hat die jetzt den Schrank, das Sofa, mich und Dritte, die ich umarmt habe, verstrahlt oder kontaminiert?
Verstrahlt wahrscheinlich nicht und kontaminiert nur wenn tatsächlich radioaktiver Staub an Ihrer ukrainischen Bekanntschaft gewesen ist und bei der Abschiedsumarmung auf Ihre Jacke gekommen ist. Waschen oder in die Reinigung geben würde helfen (falls ihre ukrainische Bekanntschaft tatsächlich kontaminiert ist).
– Vielleicht sollte ich mich wirklich an die Uniklinik Karlsruhe wenden.
Selbst im schlimmsten Fall (also falls Ihre ukrainische Bekanntschaft tatsächlich kontaminiert wäre) wäre Ihr Fall sehr harmlos, so dass die Uniklinik Karlsruhe sie höchstwahrscheinlich als Patient ablehnen würde. Immerhin gibt es jede Menge Leute, die nach Tschernobyl reisen und danach nach Deutschland zurück kommen oder in deutschen Endlagern oder anderen Einrichtungen mit radioaktiver Strahlung arbeiten. Natürlich können Sie sich gerne bei einer solchen Einrichtung melden (davon gibt es noch mehr, ich weiß ja nicht, wo Sie wohnen), aber seien Sie nicht überrascht, falls Sie abgelehnt werden (die genauen Formalien dabei kenne ich auch nicht).
Mit besten Grüßen
Tobias Cronert
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