Die Neutronenphysik ist ein Kind des Atomzeitalters und entwickelt worden, als man noch dachte von der Zahnpasta bis zum Weltfrieden alle Probleme des Universums mit Kernspaltung lösen zu können. Auch wenn diese Denkweise mittlerweile stark in die letzten Winkel der Meinungsbiotope zurückgedrängt worden ist, so taucht der hässliche Onkel mit den radikalen politischen Ansichten doch immer mal wieder auf einem der Familienfeste auf oder man muss sich bei einem Alltagsgespräch dafür rechtfertigen, mit DEM überhaupt verwandt zu sein.
Als Einstieg möchte ich mal eine Reihe toller Merchandising- und Fan-Artikel benutzen, die mir eine gute Freundin und Kollegin aus Oak Ridge Tennessee hat zukommen lassen. Der Y-12 Security Komplex ist der Geburtsplatz der Atombombe und auch heutzutage werden die meisten amerikanischen Atombomben dort zusammengebaut und das entsprechende Material wird dort gelagert (wenn sich nicht gerade alte Nonnen durch die Security schleichen) . Zum 70-jährigen Jubiläum der ersten Atombombe haben die stolzen und patriotischen Mitarbeiter noch mal Becher und T-shirts bestellt, die von Ihnen in ihrer Freizeit Dienstags von 10-11 Uhr am Eingang zum internen Komplex verkauft werden. Neben Tassen und Plastikbechern, die im Gegensatz zu Trumps Merchandising-Artikeln tatsächlich in den USA hergestellt wurden, gibt es auch dieses T-Shirt, was mMn wunderbar die Geisteshaltung der Menschen wiedergibt, die dort arbeiten.
Auf der Brust prangt die allgegenwärtige Flagge mit den Y-12 Logo und einem Ball auf einer Umlaufbahn, der aus irgendwelchen Gründen allgemein mit “Atom”-irgendwas assoziiert wird, über dem Slogan “Keeping America safe”. Auf dem Rücken gibt es dann ein Bild von “Little Boy” und eben anlässlich des Geburtstages eine Referenz auf das Manhattan Projekt … zusätzlich zu den Y-12 und “Keeping America safe” Slogans. Die aktuellen Mitarbeiter, die 2017 in Amerika Atombomben herstellen, halten dies nicht nur für eine wichtige Art, die Sicherheit ihres Landes zu garantieren, sondern sind darüber hinaus auch stolz auf das bislang Erreichte – wie eben auch die erste Atombombe.
Als Enrico Fermi mit seinen Kollegen die erste Kettenreaktion in Gang gesetzt hatte, war dies noch weitgehend wissenschaftlich, wurde dann aber schnellstens von den Umständen des zweiten Weltkrieges aufgefressen und auch das Atomzeitalter, das sich ja quasi direkt an den WWII angeschlossen hat, war immer reichlich durch politische Konflikte befeuert. In vielen Ländern hat man einfach mal ein paar Reaktoren gebaut und erst dann geguckt, was man damit überhaupt Sinnvolles anstellen kann. Unter anderem unser alter Forschungsreaktor (FRJ-2 DIDO) hier in Jülich wurde erst einmal gebaut (die Genehmigung soll damals auf einen Bierdeckel gepasst haben), bis man dann merkte, dass man mit Neutronenstrahlen das Gleiche machen kann wie mit Röntgen – nur besser und er uns indirekt den ersten und einzigen Nobelpreis in unserer Geschichte eingefahren hat.
Das sind die aber Geschichten meiner wissenschaftlichen Großväter, die vor zwei Wissenschaftlergenerationen die Neutronenstreuung als mikroskopische Analysemethode für Materialien etabliert haben. Heute, zwei Generationen später, haben sich die Neutronenstreuer emanzipiert und setzen Neutronenstrahlen ganz selbstverständlich als exzellente und weit verbreitete Methode in der Physik, Chemie, Biologie und den Ingenieurswissenschaften ein und auch wenn wir vielleicht irgendwann mal aus dem Atomzeitalter gekommen sind, so haben wir mit der Spallation und dem HBS- und NOVA ERA Projekt Methoden entwickelt, Neutronenstrahlen zu produzieren ohne Uran spalten zu müssen.
Daher sind wir Neutronenstreuer auf den Familienfesten vielleicht genauso weit vom Familienstamm abgekommen wie die Atomwaffen-Jungs. Wenn wir also beim Familienbarbecue im Garten in Oak Ridge Tennessee sitzen, gibt es da zwar den Onkel mit seinen wilden Ansichten, aber wir sind dann wohl die Hipster, die sich mit Solarzellen und Quantencomputern beschäftigen und darauf hoffen niemals von ihren anderen Hipster-Kumpels auf der Straße mit der buckligen Verwandtschaft gesehen zu werden. Wir sind aber auch die Hipster, die trotzdem immer noch zu den Familienfesten gehen, weil … Blut ist eben dicker als Wasser und so.
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