Ich bin Neutronen- oder besser gesagt Festkörperphysikerin “von Haus aus” und habe erst durch meine Arbeit für die HBS-Neutronenquelle die Welt der Teilchenbeschleunigern kennen gelernt, die eigentlich in die kompetenten Hände meiner Kolleginnen in der Kern- und Teilchenphysik gehört. Aber gerade durch meinen Platz im interdisziplinären Bereich habe ich einen guten groben Überblick über die verschiedensten Teilchenbeschleuniger bekommen, den die eigentlichen Fachfrauen meist nicht (mehr) haben, da sie einfach zu tief in der Materie drin stecken und sich auf “ihren” Beschleuniger spezialisiert haben und permanent in der Filterbubble stecken. Diesen allgemeinen Überblick möchte ich heute mal mit meiner geschätzten Leserschaft teilen und so einen interessanten, durchaus persönlich gefärbten Einstieg in das Thema Teilchenbeschleuniger geben.

Also grundsätzlich ist all das ein Teilchenbeschleuniger, wo geladene Teilchen elektrisch und/oder magnetisch beschleunigt werden. Also z.B. alte Röhrenmonitore oder stinknormale Röntgenröhren. Darum soll es aber hier nicht gehen, sondern wir wollen uns die interessanten Beschleuniger schnappen, die es schaffen, geladene Teilchen auf solch hohe Energien zu beschleunigen, dass diese in der Lage, sind die Coulombbarriere eines Atoms zu überwinden und damit tolle, meist kernphysikalische, Effekte in diesen Atomen auszulösen. Das ist nämlich die “Magie” eines Teilchenbeschleunigers, denn während Veränderungen im Energiebereich unterhalb der Coulombbarriere eines Atoms “nur” “einfache” Chemie sind, kommen wir bei Energien darüber in den Bereich elementarer Veränderungen (Badabum), der Metachemie, Alchemie oder eben Kernphysik *g*.

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Schema des COSY Beschleunigers im FZ-Jülich mit “meinem” Loch in der Wand und HBS Experiment.

Das ist dann auch direkt die erste große, wichtige Kenngröße eines Teilchenbeschleunigers, die Energie. Diese wird in (Mega) Elektronenvolt angegeben und beschreibt die Energie eines einzelnen Teilchens, “was hinten aus dem Beschleuniger herauskommt”. Da wir hier von kinetischer Energie sprechen, spielt die Masse der Teilchen schon eine große Rolle und Elektronen sind natürlich wesentlich einfacher zu beschleunigen als Protonen oder noch schwerere Ionen. Aber grundsätzlich kann in den großen Teilchenbeschleunigern der Welt alles beschleunigt werden, was das Periodensystem hergibt und auch solch exotische Sachen wie Uranstrahlen sind durchaus möglich. Die interessanten Teilchenbeschleuniger haben alle Energien im 100 Kilo- bzw. 1-100 MeV Bereich und die noch interessanteren Teilchenbeschleuniger haben noch höhere Energien. Abgesehen von einigen sehr spezialisierten Experimenten ist natürlich der LHC am CERN mit seinen 13TeV das Beste, was die Menschheit derzeit zu bieten hat. Es wird auch immer kontinuierlich daran gearbeitet, die möglichen Energien noch weiter hochzuschrauben, denn mit jeder neuen 10ner Potenz an Energie eröffnet sich uns ein neuer Bereich in der Experimentalphysik, der vorher nicht zugänglich war und ermöglicht neue Erkenntnisse über unser Universum, die Welt im Inneren und neue Erfindungen im Smartphonebereich *g*.

Das ist dann auch direkt der erste Kritikpunkt, den ich in der Welt der Teilchenbeschleuniger sehe. Die Jagd nach immer höheren Energien. In den 70er, 80er, 90er-Jahren hatte jede größere Universität einen eigenen Teilchenbeschleuniger im Keller stehen, mit dem man aktuelle Wissenschaft am Puls der Zeit machen konnte. Natürlich gab es damals auch schon die richtig großen Dinger in den großen Forschungszentren, aber auch jede normale Uni konnte ernsthaft zu der aktuellen Community beitragen. Das ist heute nicht mehr so. So gut wie alles, was man im Energiebereich der “Universitäts” Teilchenbeschleuniger erforschen kann, ist ausgeforscht. Es bleiben noch ein paar absolute Nischenanwendungen, aber darüber hinaus werden meistens nur noch Detektoren und andere Bauteile für die wenigen Großquellen gebaut, an denen sich die kernphysikalische bzw. Elementarteilchen-Forschung zentriert. Das wird auch auf absehbare Zeit so weitergehen und selbst die Großquellen werden immer spezialisierter oder eben aussterben. Das hat Nachteile, hat aber auch Vorteile in Richtung internationaler Kooperation und Spezialisierung… ich werde mir da als Fachfremde kein abschließendes Urteil erlauben.

Immer höhere Energien heißt immer größere Beschleuniger, wie beim LHC @ CERN Quelle: openstreetmap.org

Die nächste wichtige Kenngröße eines Teilchenbeschleunigers ist der Strom. Also wie viele Teilchen pro Sekunde beschleunigt werden können. Das wird mehr oder weniger dadurch limitiert, wieviel Teilchen man überhaupt stabil zu einem Strahl formen und ob man den Strahl dann während des ganzen Beschleunigungsprozesses in den verschiedenen Feldern auch vernünftig zusammen halten kann. Den Kernphysikerinnen ist der Strom meist gar nicht so wichtig, denn auch wenn es am Detektor natürlich linear umso mehr Zählereignisse gibt, je mehr Teilchenstrom dort ankommt, so macht ein hoher Strom meist mehr Probleme als er löst (auch aus Strahlenschutzsicht), so dass man dann die Maschine meist einfach länger laufen lässt, wenn man mehr Zählereignisse haben will. Der Strom wird in Ampere, also Teilchen pro Sekunde, angegeben und die Teilchenbeschleuniger mit den aktuell höchsten Strömen erreichen ca. 100-250mA, während die durchschnittlichen Teilchenbeschleuniger eher im µA oder nA Bereich arbeiten. Daraus ergibt sich auch, dass die meisten Teilchenbeschleuniger “nur” mit einstelligen Wattzahlen an Strahl-Leistung arbeiten, was natürlich aus Kühlungssicht erstrebenswert ist. Allerdings knacken so manchen Geräte dieses Grenze locker und um die ganzen Teilchen zu beschleunigen, sind sowieso immer riesige Mengen Energie für die Felder nötig, was die Stromrechnung der Kernphysiker immer zuverlässig an Platz 1 aller Institute eines Forschungszentrums treibt und mitunter ganze Landstriche leersaugen kann. Um ein paar Watt Strahlleistung zu erzeugen können mitunter mehrere hundert kW für die Maschine nötig werden und die ganz großen Geräte spielen im MegaWatt-Bereich.

Wieviel Energie für die Beschleunigung draufgeht, hängt natürlich essentiell damit zusammen, wie die Teilchen überhaupt beschleunigt werden und ich habe nach mehr als einer guten Seite ScienceBlog-Artikel noch kein Wort über die verschiedenen Arten von Teilchenbeschleunigern verloren, die es eigentlich so gibt und wie sie funktioneren. Das habe ich aus gutem Grund getan, denn darüber kann man jeweils mindestens einen eigenen Artikel schreiben oder eben gleich Wikipedia hernehmen. Stattdessen will ich nur ein paar wenige Worte über den Tandem verlieren, weil er für mich wichtig ist und dann mich über die Unterschiede zwischen Zyklotrons und Linacs auslassen. Der Tandembeschleuniger hat  ein hohes elektrisches Feld im Vakuum und beschleunigt geladene Teilchen, die man vorne hereingibt, schnell wieder hinten raus… fertig. Daher ist er recht einfach zu bauen und zu bedienen und wir würden gerne so einen für unsere erste Neutronenquelle als Prototyp benutzen. Typische Energien sind um die 10MeV und auch wenn die meisten alten Geräte nur Ströme im einstelligen µA Bereich können, so schaffen moderne Injektoren doch bis 100µA oder sogar einstellige mA, so dass man durchaus mehrere kW Strahlleistung bekommen kann (was für die Neutronenproduktion sehr wichtig ist). Das wäre eine sog. Universitätsquelle. Sobald wir was Größeres bauen wollen, müssen wir andere Arten von Teilchenbeschleunigern benutzen.

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Tandem für eine kleine Neutronenquelle, eigentlich ganz einfach.

Da gibt es grundsätzlich die Zyklotrone, wo die Teilchen in einem großen Magneten auf einer Kreisbahn beschleunigt werden und die Linearbeschleuniger, wo die Teilchen in einer gerade Linie von vorne bis hinten durchfliegen. Die Faustregel ist nun, dass man mit einem Zyklotron gut hohe Energien und niedrige Ströme erzeugen kann, während mit einem Linac hohe Ströme bei niedrigeren Energien möglich sind. Sehr vereinfacht liegt das daran, dass beim Zyklotron der Magnet für viele Beschleunigungsschritte benutzt werden kann, aber die Teilchen “aus der Kurve” fliegen, was um so problematischer wird, je mehr Teilchen ich in den Strahl packe.

Bei den richtig großen Anlagen werden meist mehrere Beschleunigerteile noch mit einem Speicherring kombiniert, der sicher hier den meisten Lesern vom LHC @ CERN im Kopf herumspukt, aber das ist jetzt ein Feature, auf das ich leider gar keine Zeit habe einzugehen. Manche Anlagen schalten auch einen Linac vor mehrere Synchrotrons, die dann die Energie mit jeder “Stufe” hochsetzen, wie z.B. die Anlage in RIKEN, Japan, die ich besuchen durfte. Bei Großgeräten ist da sehr viel möglich und eigentlich ist nur das liebe Geld der limitierende Faktor. Bei einem Linac kann man eigentlich pauschal sagen, dass man die Energie immer weiter erhöhen kann, indem man Bauteile hinten dran setzt. Die größten sind jetzt schon 1-3km lang und wenn man beliebig viel Geld hätte, dann kann man einfach hinten immer weiter supraleitenden Cavities dranpacken und so die Energie weiter erhöhen und trotzdem von dem hohen Strom profitieren (wobei man solche Energien mit “runden” Beschleunigern viel einfacher und günstiger erreichen könnte). Wie gesagt bei Großgeräten ist viel möglich.

In RIKEN, Japan, werden mit einem Linac und mehreren Zyklotronen hohe Ströme erzeugt, die es z.B. möglich machten, das neue Element Nihonium zu entdecken. Quelle: RIKEN

Bei kleinen Quellen (für Protonen), wie z.B. in der Medizin, will man es schön kompakt und einfach haben. Dafür sind Zyklotrons derzeit das Mittel der Wahl und man kann sie quasi “von der Stange” kaufen. Das hat den Vorteil von jeder Massenproduktion, wobei hier “Massenproduktion” eher 10-20 Stück desselben Modells heißt. In der Protonentherapie ist das dann z.B. ein Zyklotron mit 250MeV bei einigen µA von der Firma Varian aus Troisdorf am Rhein, einfach und simpel, und es gibt auch andere Firmen, die sowas zur Isotopenherstellung und ähnlichen medizinischen Anwendungen anbieten. Einen Linac kann man auch so klein und kompakt bauen, aber der ist etwas aufwendiger in der Handhabung und würde in der gleichen Größe etwa 3MeV bei 100µA liefern, was eher für Materialuntersuchungen und Neutronenproduktion auf einem fahrbaren LKW interessant ist *g*. Moderne kleine Zyklotrone und Linacs können heute das liefern, was die meisten Universitätsbeschleuniger in den 80ern und 90ern konnte, die auch heute noch betrieben werden. Leider stehen die Kosten für Upgrades bei den alten Universitätsquellen daher meist in keinem guten Verhältnis zur Neuanschaffung “von der Stange”, so dass ihre Existenzberechtigung noch weiter abnimmt, als ich es oben schon beschrieben hatte.

Idee aus Japan für eine Neutronenquelle mit einem Linac Teilchenbeschleuniger auf einem LKW

Idee aus Japan für eine Neutronenquelle mit einem Linac-Teilchenbeschleuniger auf einem LKW

Jetzt habe ich aber schon recht lange herumgeschwafelt bzw. aus meiner Nähkästchenerfahrung berichtet und will diese persönlich gefärbte Einführung in die Welt der Teilchenbeschleuniger mal zu einem Ende bringen, indem ich ein völlig neues Fass aufmache. Derzeit wird viel im Bereich der Laserbeschleunigung geforscht und es besteht die realistische Chance, dass in den nächsten 10 Jahren ein System entwickelt wird, bei dem mit Hilfe von laserinduzierter Beschleunigung eine vielversprechende Kombination aus Strom und Teilchenenergie produziert werden kann (Pulsstruktur wird wohl erst etwas später kommen), so dass ein neues System zur Verfügung steht. Gleichzeitig lassen sich die etablierten Beschleunigerleute nicht die Butter vom Brot nehmen und entwickeln ihre Konzepte in schnellem Tempo weiter, so dass sie auf der einen Seite billiger und zuverlässiger werden, um auch in fachfremden Bereichen von der Medizin bis zur Materialuntersuchung ganz regulär eingesetzt zu werden und auf der anderen Seite für die Spitzenanwendungen in Großgeräten immer leistungsstärker Konzepte zu Verfügung haben. Teilchenbeschleuniger werden schon länger nicht mehr exklusiv in der Kern- und Teilchenphysik eingesetzt, sondern sind auch in den stärkeren Varianten jenseits der magischen Coloumbbarierenpenetrationsenergie mittlerweile weit verbreitet und werden auch in Zukunft (in welcher konkreten Variante auch immer) unsere High-Tech Welt bereichern.

 

Kommentare (6)

  1. #2 roel
    28. Mai 2018

    @Tobias Cronert Interessanter Beitrag. Muss ich mal schreiben, sonst lese ich hier meistens ja nur. Etwas Feedback kann nicht schaden.

    Badabum habe ich erstmal recherchiert. Scheint doch nur Lautsprache zu sein.

    Respekt, zu deiner Berufsbezeichnung.

  2. #3 Tobias Cronert
    28. Mai 2018

    Vielen Dank

    Badabum ist ein physikalischer Fachbegriff, dessen Verwendung vor allem in der interdisziplinären Verwendung zwar populär, aber selten klar definiert ist und bewusst Interpretationsspielraum geben soll. Falls sich die Bedeutung nicht aus dem Kontext erschließt hat der Autor in der Regel einen Fehler gemacht und sollte besser schreiben lernen.

  3. #4 roel
    28. Mai 2018

    @Tobias Cronert “Badabum ist ein physikalischer Fachbegriff…” Ich bin leider kein Physiker, daher kannte ich den Begriff noch nicht. Aber … er ist jetzt gespeichert.

  4. #5 NullcoManix
    28. Mai 2018

    Hat mal jemand nachgesehen, ob es sich bei dem 13 TeV-Gerät vielleicht in Wahrheit um eine Teilschenbeschleunigerin handelt?

  5. #6 Tobias Cronert
    29. Mai 2018

    Hm, das hört sich doch glatt nach einer Expedition über den Rand der Scheibe an um einmal nachzugucken … gibt es Freiwillige?

    Wahrscheinlich hat es der kleine Kerl hier herausgefunden und musste dafür sterben: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article154898859/Marder-legt-weltgroessten-Teilchenbeschleuniger-lahm.html