Das Universum hat ja manchmal einen großartigen Sinn für Humor und nicht selten eine ordentliche Schippe Sarkasmus dabei. Am einen Ende dieses Besens finde ich mich gerade wieder, nachdem ich vorgestern ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dann auch postwendend die Diagnose Leukämie, also “Blutkrebs” bekommen habe.
Während ich also hier auf eine recht langweilige Zeit der Chemo- und Strahlen- (HaHa) Therapie im Krankenhaus blicke, werde ich alle Ressourcen, die sich mir so zur Verfügung stellen, unter den Nagel reißen. Für die Scienceblogs heißt das jetzt vor allem, dass ich nicht nur wie bisher über Strahlungsthemen aus der Sicht des strahlungsschützenden Physikers und Hobbymediziners sprechen, sondern auch noch die gar nicht mal so leichtgewichtige Position des Krebspatienten mit in die Wagschale werfen kann. Da es sich dann bei meiner Krebsart zusätzlich auch noch um eben jene handelt, die von vielen als Musterbeispiel genommen wird, wenn sie gehäuft bei Kindern in der Nähe von Atomkraftwerken auftritt, ja dann ist das eigentlich nur noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.
Das bringt mich nun in die einmalige Situation bei Strahlenschutzthemen nicht nur argumentieren zu können “Würdest du das deinen Bruder machen lassen?” – das bislang stärkste Argument in meinem Köcher. Sondern ganz konkret zu schreiben: “Also ich als Strahlenphysiker mit Blutkrebs würde…” … ein stärkeres emotionales Argument kann ich mir kaum vorstellen und ich gedenke es bis zum bitteren Ende auszunutzen. Besonders aus meinem Freundeskreis wurden mir schon diverse komische Frisuren angedroht, die sie unbedingt – möglichst publikumswirksam – an mir ausprobieren wollen, bevor mir die Haare durch die Chemo sowieso ausfallen … ich kann’s kaum erwarten.
Ansonsten, wie gehts mir persönlich? Tja, ich habe vor zwei Tagen, nachdem man mir mit lediglich lokaler Betäubung eine dicke Stahlnadel ins Becken gejagt hat, um mir das Knochenmark auszusaugen, die sichere Diagnose gestellt bekommen, dass ich eine tödliche Krankheit habe, die nur mithilfe der heftigsten Medikamente, die die Medizin heute so zu bieten hat, bekämpft und in den meisten Fällen sogar zurückgedrängt und besiegt werden kann. Da brauche ich auch erst mal ein wenig Zeit, um damit klar zu kommen und emotional vernünftig darauf zu reagieren. Eine dieser Reaktionen ist dieser Artikel hier, in dem ich das tue, was ich sonst auch gerne mache – schreiben und bloggen – aber zu selben Zeit über meine aktuelle Situation reflektieren kann. Wenn ich dabei zeitgleich irgendeinem Leser dadurch etwas Gutes tun und ihn unterhalten kann… um so besser.
Ich versuche quasi einen Liveblog über den Fortlauf meiner Diagnose und Behandlung zu schreiben, bitte aber bereits jetzt um Entschuldigung, falls ich diesem hehren Ziel nur bedingt gerecht werden kann. Da es sich um eine sehr schnell fortschreitende Art der Leukämie handelt, muss die Therapie direkt sehr aggressiv angegangen werden und ich bekomme ab dem heutigen Tag meine ersten “Chemo-Medikamente”. Das heißt dann halt leider auch, dass die berüchtigten Nebenwirkungen recht schnell beginnen werden und ich vielleicht nicht mehr unbedingt in der Lage sein werde hier irgendwas zu schreiben, was man orthografisch sinnvoll in die Welt entlassen kann – nunja, wir werden sehen.
Ich freue mich übrigens schon sehr auf den Teil mit der Strahlentherapie. Das ist ja halt mein Steckenpferd und ich bin wirklich gespannt, wie es ist, mal auf der anderen Seite der Photonenkanone zu stehen. In dem aktuellen Behandlungsplan ist die Dosis für den Teil der Strahlentherapie einfach nur mit 4 Gray angegeben und für alles weitere wird auf die Strahlentherapie-Spezialisten verwiesen. Das lässt mir natürlich viel Platz zum Träumen, denn 4Gray sind schon enorm viel, wenn man es mit den Arbeiten in der Neutronenphysik vergleicht. Wenn man mit ein paar Faustformeln herum stümpert, dann sind diese 4 Gray an Dosis mindestens das 4000fache, das ich in meiner kompletten professionellen Karriere in der Arbeit mit ionisierenden Strahlung abbekommen habe. Das kann sich schon sehen lassen.
Aber um den Elefanten im Raum auch schon mal zur Sprache kommen zu lassen und die Frage zu beantworten, die hier sicher so einigen Lesern auf den Fingern brennt: Hat meine Arbeit mit ionisierender Strahlung meinen Blutkrebs ausgelöst?
Tja, darauf kann man natürlich – aus professioneller Sicht – keine eindeutige Antwort geben, wie ich ja schon einmal in einem entsprechenden Artikel geschrieben hatte. Wenn ich die puren Zahlen hin und herschubse, dann wäre ich ein 60jähriger Patient, der Lungenkrebs bekommen hat, im Alter von 55 mit dem Rauchen anfing und vorher keine Zigaretten angerührt hat. Ja, der Lungenkrebs könnte vom Rauchen stammen… oder auch nicht. Das werden wir leider niemals erfahren, weil der Patient keinen Zwillingsbruder hat, der nicht geraucht, oder keinen Krebs bekommen hat. Außerdem wäre selbst die Existenz eines solch hypothetischen Zwillingsbruders kein eindeutiges Kriterium bei einem solchen stochastischen Vorgang.
Die meiner Meinung nach wichtigere Komponente an der ganzen Sache ist meiner Meinung nach die Frage, ob ich in meinem Leben etwas anders gemacht hätte, wenn ich gewusst hätte, dass ich am heutigen Tage mit Leukämie im Krankenhaus sitze und um mein Leben kämpfen muss. Die relativ einfache Antwort darauf heißt – zum jetzigen Zeitpunkt – eindeutig NEIN, ich hätte nichts geändert. Auch auf die Gefahr hin einen zusätzlichen Risikofaktor für Krebs zu schaffen, hätte ich die Arbeit mit ionisierender Strahlung begonnen und so durchgeführt, wie ich es getan habe. Vielleicht wird sich diese Meinung ja noch ändern, wenn die Nebenwirkungen der Chemo ihr Gewicht in die Waagschale werfen und ich nicht als einzigen spürbaren Nachteil einen Tennisball großen blauen Fleck an meiner Hüfte durch die Gegend trage und von einem Cortison-High zum nächsten hüpfe. Aber gerade darüber werde ich euch ja jetzt hier in meinem “Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie”-Live Blog hoffentlich bestens auf dem Laufenden halten können.
- Des Strahlenphysikers Leukämie Tagebuch
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 1 – Tag 3
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 2 – Tag 5
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 3 – Tag 9
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 4 – Tag 11
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 5 – Tag 19
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 6 – Tag 23
- Strahlenphysiker hat jetzt Leukämie – Blog 7 – Tag 33
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